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Mindener Tageblatt , 28.01.2005 :

Einsatz für den Brückenschlag / Dr. Andreas Müller berichtet über das Wirken der Deutschen Christen in Minden

Minden (mt). Über das Wirken der "Deutschen Christen" (DC) in Minden sprach in diesen Tagen Dr. Andreas Müller im Rahmen einer Veranstaltung der Volkshochschule.

Seit einem Jahr forscht Andreas Müller im Auftrag des Kirchenkreises Minden über die "Geschichte des Kirchenkreises im Dritten Reich". Einige Ergebnisse seiner Forschung präsentierte er jetzt in der reformierten Petri-Kirche.

"Die DC stellten die kirchenpolitisch-gleichgeschaltete Bewegung während des Dritten Reiches" dar. "Nach 1945 haben sich mehrere Führer der DC im Mindener Raum angesiedelt. Zahlenmäßig ließen sich aber nur unbedeutende Gruppen in Minden beobachten", so der Referent. Als kirchenpolitische Partei hätten sich die DC - im Gegensatz zu den meisten Teilen Deutschlands - in Minden jedoch nicht durchsetzen können. Ab 1935 gab es keine DC-Pfarrer mehr vor Ort.

"Dass die Deutschen Christen in Minden trotz ihrer geringen Mitgliederzahl nicht vollkommen verdrängt worden sind, mag damit zusammenhängen, dass ihre Mitglieder sich aus hochgestellten Vertretern aus Verwaltung, Industrie und Handel sowie intellektueller Elite der Stadt zusammensetzten", führte Pfarrer Andreas Müller aus.

Die Mindener Gemeindegruppe habe nachweislich ab 1936 in der Aula der damaligen Knabenmittelschule mit Hilfe der Staatsgewalt auch in Kirchen eigene Gottesdienste gefeiert. Silvester 1937/38 habe der erste Gottesdienst in der Simeonis-Kirche stattgefunden, ab Mai 1939 hätten die DC dann regelmäßig Gottesdienste in der Petri-Kirche abgehalten, so der Referent.

Theologisch hätten die DC auch im Mindener Raum keine einheitliche Größe dargestellt. Es lässt sich nicht nur die grundsätzliche Spannung zwischen der überkonfessionell ausgerichteten "Nationalkirchlichen Bewegung" (in Hausberge und Barkhausen) und dem gemäßigten Flügel der westfälischen Deutschen Christen unter der "Geistlichen Leitung Fiebig" feststellen. "Dieser machte die Mehrheit der DC in Minden aus", unterstrich Dr. Müller. Selbst innerhalb des zweiten Flügels sei eine große Bandbreite von Positionen festzuhalten.

Prof. Karl Wentz, der selber vor 1933 politisch und religiös liberal eingestellt gewesen sei, habe im Dritten Reich "ein Ereignis christlicher Heilsgeschichte und in Hitler eine messianische Gestalt gesehen", betonte der Referent. Er habe einen engen Brückenschlag zwischen Volk und Evangelium befürwortet.

Den Gedanken eines solchen Brückenschlags habe die Bekennende Kirche als einen Angriff auf Schrift und Bekenntnis verstanden. Über Wentz hinaus habe es unter den DC aber auch "Verfechter einer Germanisierung des Christentums gegeben, die das Alte Testament in weiten Teilen als völkische Offenbarung" für das Volk Israel verstanden und Hinweise auf Christus auch in der germanischen Sagenwelt suchten.

"Der Kirchenkampf" zwischen den DC und der Bekennenden Kirche "sei nicht nur aus theologischen und kirchenpolitischen Motiven, sondern auch aus ganz persönlichen Interessen heraus geführt worden", so Müller. Ein Beispiel dafür sei der Fall des Petershäger Pfarrers Wilhelm Patze. Aufgrund seiner Position im Kirchenkampf hatte er vermutlich Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Sie suchte für ihre der Bekennenden Kirche zuneigende Position Unterstützung bei Superintendent Heinrich Thummes. Dass der Superintendent sich mit Frau Patze einig wurde, dürfte die kämpferische Haltung ihres Gatten verstärkt haben.

Mit der Möglichkeit, Pfarrer wegen ihrer kirchenpolitischen Stellung zu denunzieren, gewannen unter den DC neue Kreise an Einfluss und Macht in der Kirche.

Durch den Vortrag Müllers wurde auf bestürzende Weise deutlich, dass nicht unbedingt die nationalistisch und geistig eher eng ausgerichteten Kräfte in Minden die DC getragen haben, sondern vielmehr auch die politisch und religiös liberal orientierten Intellektuellen. "Sie versuchten einen gefährlichen, volksmissionarisch ausgerichteten Brückenschlag zwischen den Größen Volk und Kirche." Gegen die Gleichschaltungstendenzen des Hitler-Regimes stellten sich zum Teil sowohl deutschnational ausgerichtete als auch durch die Erweckungsbewegung geprägte Pfarrer.


mt@mt-online.de

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