Neue Westfälische 08 - Verl ,
12.10.2015 :
Farhad macht den Menschen Mut
Themenabend: Ein junger Mann aus dem Iran gewinnt die etwa 80 Zuhörer im St.-Anna-Haus für sich / Barbara Menne und Artur Springfeld steuern viele Informationen zur Situation der Flüchtlinge bei
Von Robert Becker
Verl. Kann die Flüchtlingskrise gemeistert werden? In Verl jedenfalls scheint man sich weitgehend gut auf die Lage eingestellt zu haben, wie sich aus Ausführungen ergibt, die Barbara Menne vom Amt für Soziales der Stadt Verl und Arthur Springfeld, Diakon in Sürenheide, rund 80 Zuhörern im St.-Anna-Haus während eines Themenabends der Kolpingfamilie zuteil werden ließen.
Mut machte auf jeden Fall der kurze Auftritt zweier in Verl aufgenommener Flüchtlinge. "Ich heiße Farhad", stellt sich der 21-jährige Iran-Flüchtling vor, dessen Nachname mit Bigham angegeben wird. Mit nur zwei angehangenen Wörtern gewann er den Saal für sich. "Farhad, nicht Fahrrad!", lachte da der frühere Student, der nach acht Monaten in Deutschland bereits recht frei Deutsch sprechen kann. Ganz so weit ist sein 31-jähriger Landsmann, vor fünf Monaten herübergekommen, noch nicht. Er las sein Statement ab, lächelte dabei aber ebenso gewinnbringend. Gern hätte Arthur Springfeld auch Yonathan Kiffle auf dem Podium als gutes Beispiel für Integration gehabt. Kiffle, der seit vier Jahren in Sürenheide lebt und gerade eine Ausbildung in der Altenpflege begonnen hat, weilte aber zu einem Gospelauftritt in Berlin.
"Wir versuchen immer, ein Haus im Voraus zu sein"
Den größten Teil des Abends bestritt Barbara Menne. Sie erklärte das Asylverfahren, skizzierte die aktuellen und die kalkulierten Zahlen und beschrieb, wie sich die Stadt und verschiedene Institutionen in Verl um Unterkünfte und Hilfsmittel bemühten. Mit 180 Menschen habe man vor einem Jahr für 2015 kalkuliert. Zu jenem Zeitpunkt seien 75 Flüchtlinge in Verl untergebracht gewesen. Aktuell ist die Marke von 300 überschritten. Für 2016 kalkuliert Menne, wie sie später sagte, mit rund 600 Flüchtlingen in der Stadt. Derzeit sind die Neuankömmlinge in 13 verschiedenen Unterkünften untergebracht. "Die dezentrale Unterbringung ist uns wichtig, es klappt mit der Integration dann besser", sagte Menne. Nennenswerte Probleme habe es bislang nicht gegeben. Eine Belegung von Turnhallen sei derzeit nicht geplant. "Wir versuchen immer, ein Haus im Voraus zu sein", beschrieb Menne den Wettlauf um neue Unterkünfte. Erst kürzlich hat die Stadt ein Haus in Kaunitz gekauft. Das Haus Bökamp mit fünf Wohneinheiten bezeichnete Menne als "Glücksgriff".
Bezüglich der Turnhallen sagte Menne, dass ein Signal für eine Notaufnahme in Einrichtungen dieser Art vom Land nicht vorliege. "Wenn es doch kommen sollte, werden wir es, ohne den Schulbetrieb zu stören, hinbekommen."
Menschen aus 38 Ländern in Verl untergebracht - "von Angola bis Zaire", so Menne. Sprachlich komme man gut klar. Ein Hausmeister beispielsweise spreche Arabisch und Kurdisch. Dennoch sei Sprache der Schlüssel zum Erfolg. "Wir versuchen mit aller Macht, den Spracherwerb möglich zu machen", unterstrich auch Arthur Springfeld und wies auf Angebote von Libelle, VHS und Integrationskursen für anerkannte Asylbewerber hin. Springfeld berichtete, wie er über Facebook viele Hilfsangebote bekommen habe. Ein Fahrrad zu vermitteln, dauere momentan ein bis zwei Wochen. Busfahrten für vier Euro beispielsweise von Verl nach Kaunitz könnten sich die Flüchtlinge nicht leisten, deshalb sei ein Fahrrad lebensnotwendig. Aktuell werde daran gearbeitet, ein System für Patenschaften aufzubauen. Flüchtlinge zu Ämtern oder zum Arzt zu begleiten, sind einige der Aufgaben, die Paten übernehmen könnten. "Ein großer Teil der Flüchtlinge ist froh, dass sie hier gelandet sind", sagte Springfeld. Er würde Flüchtlingen sogar ein Wochenende lang seine private Wohnung überlassen "und mein Portemonnaie auf dem Tisch liegenlassen", stellte Springfeld sein Vertrauen in die Menschen heraus. Er berichtete von zwei Beispielen, wonach ihm Flüchtlinge geschenktes Geld zurückgebracht hätten, weil sie angenommen hätten, dass es nur geliehen gewesen sei.
Bildunterschrift: Gewinnbringend: Iran-Flüchtling Farhad (21) schildert mit Witz beim zweistündigen Themenabend der Kolpingfamilie im St.-Anna-Haus seine Situation. Sein 31-jähriger Landsmann Said und Diakon Arthur Springfeld (r.) lauschten interessiert.
Stadt zahlt die reguläre Durchschnittsmiete
- Barbara Menne beantwortete viele Fragen nach Hilfsmöglichkeiten und Ausstattung der Flüchtlinge.
- Diese bekämen finanzielle Hilfen aus der Stadtkasse, die sich an Hartz-IV-Sätzen orientieren. Dazu gibt es 140 Euro Taschengeld monatlich (neue Regelung ab 1. November).
- Der aktuelle Integrationskurs in Verl über 600 Stunden läuft noch bis Mai.
- Für die angemieteten Wohnungen zahle die Stadt Verl in der Regel die übliche Durchschnittsmiete, sagte Menne und bezifferte diese mit 6,50 Euro pro Quadratmeter.
- Die zunächst von den Kommunen getragenen Kosten werden durch einen Landeszuschuss aufgefangen. Für das laufende Jahr 2015 seien 600.000 Euro für Verl zugesagt.
Bildunterschrift: Expertin: Barbara Menne von der Stadt Verl.
verl@nw.de
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