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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 27.01.2005 :

Von Tieffliegern beschossen / NW-Serie "Zeitzeugen berichten": Inge Sander erlebte mit 13 Jahren den Angriff auf den Löhner Bahnhof

Von Nicole Sielermann

Löhne. Es war ein wunderschöner warmer Märztag. Blauer Himmel, Sonnenschein und eine friedliche Ruhe. Inge Sander und ihre Zwillingsschwester Ilse Budde spielten auf der Straße. "Wir durften an diesem Tag schon Kniestrümpfe anziehen, weils so warm war", erinnert sich Inge Sander (73). Doch aus der friedlichen Ruhe wurde an diesem 14. März 1945 der Bombenangriff der Alliierten auf Löhne-Bahnhof.

Inge Sander sieht den Tag noch genau vor sich. "Jede Minute bleibt hängen", sagt sie. An der Deichstraße Nummer 17 wohnten die beiden Schwestern damals mit der Mutter. "Unser Vater war Soldat und das Obergeschoss war an eine Schneiderin vermietet." Auf der Straße vor dem Haus haben Inge und Ilse damals gespielt. "Weil wir bei der Schneiderin ein neues Kleid anprobieren sollten, hatte unsere Mutter bestimmt, dass wir in der Nähe bleiben sollten."

Dann kam der Voralarm. Nichts Ungewöhnliches. "So etwas gab es damals täglich", winkt Inge Sander ab. Das Spiel auf der Straße ging weiter. Bis zum Akut-Alarm. "Dann sind wir mit den Nachbarskindern bei uns in den Keller geflüchtet." Aus der Kellertür beobachteten sie die näher kommenden Flieger.

"Wir konnten die Bomben vom Himmel fallen sehen." Erst jetzt kam bei den Zwillingen die Angst und sie duckten sich in den Keller. Und hatten Glück. Ein Bombenkrater im Garten, einer im Vorgarten: "Wenn das Haus getroffen worden wäre, wären wir heute nicht mehr", ist Inge Sander überzeugt.

Die Mutter war es, die nach dem ersten Angriff alle aus dem Keller auf die Straße trieb. "Unser Vater hatte immer gesagt, raus aus dem Haus", habe sich ihre Mutter erinnert. Geduckt rannte die Familie in Richtung des heutigen Hallenbades und warf sich gegenüber der Firma Prieß an der Lübbecker Straße in den Graben. "Dort wurden wir von Tieffliegern beschossen." Inge Sanders Stimme wird leise, vorsichtig wischt sich die 73-Jährige eine Träne aus dem Augenwinkel.

Noch immer sieht sie das Erlebte vor sich. Spürt die Angst, die und ihre Schwester damals als 13-Jährige hatten. Sieht, wie ihre Schwester sich die Holzkiste mit den wertvollen Papieren schnappt und übers Feld rennt. "Plötzlich ging die Kiste auf und alle Papiere lagen auf dem Acker", sagt sie. Schnell wurde alles eingesammelt und weiter gings Richtung rettenden Graben.

Wie lange sie im Graben gelegen hat, Inge Sander weiß es nicht mehr. Erst als die Ruhe am Himmel anhält, laufen Mutter und Töchter zurück nach Hause. "Es stand alles in Flammen." Der gesamte Dachstuhl des Hauses an der Deichstraße brannte. Es galt zu retten, was noch zu retten war. "Ein junger Mann hat uns geholfen, die Möbel rauszutragen", sagt Inge Sander. Die hätten sie dann mit dem Bollerwagen zur Tante gebracht und untergestellt. Wer ihnen damals geholfen hat, die Ostscheiderin weiß es nicht: "Meine Mutter wollte sich immer bedanken, aber sie wusste nicht, bei wem."

Inge und Ilse wurden zu "Oma und Opa Wittel" geschickt. Zu Fuß bewältigten sie den Weg in die Nähe des heutigen Ratio. Ein Weg, den die beiden wohl nie vergessen werden: "In der Friedrichstraße lagen Glasscherben. Zentimeterdick." Und in Mahnen seien alle mit Bollerwagen unterwegs gewesen. "Jeder hat zusammen gepackt, was er noch hatte, und hat versucht sich zu retten." Die beiden Schwestern kamen heil auf dem Wittel an. Und sahen abends den hochragenden Mahner Kirchturm in Flammen stehen.

Jeden Tag machten sich Mutter und Kinder zu Fuß auf den Weg zur Deichstraße. "Wir hatten einen nordischen Fußboden im Haus und der war sehr wertvoll", erklärt Inge Sander. Deshalb musste der jeden Tag trocken gewischt werden. "Damit er durch die Feuchtigkeit nicht Schwarz wurde." Ein halbes Jahr bei den Großeltern, dann gings zurück ins Elternhaus.


lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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