Lippische Landes-Zeitung ,
27.01.2005 :
Historie eines Henkers / Vortrag über den SS-Brigadeführer Jürgen Stroop vernachlässigt die Persönlichkeit des Kriegsverbrechers
Von Stefan Derschum
Detmold. Der Detmolder SS-Brigadeführer Jürgen Stroop sollte gestern Morgen in einem Vortrag zum heutigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus im Mittelpunkt stehen. Mit Dr. Jürgen Hensel war ein profunder Kenner jenes Mannes eingeladen worden, der den Aufstand im Warschauer Ghetto blutig niedergeschlagen hatte. Das Referat verharrte aber in historischen Kategorien, Bilder einer filmischen Dokumentation berührten zwar, doch die Erklärungen erhellten die Person Stroops kaum.
Warschau 1943, Aufstand im Ghetto: Und dann kam Stroop, der Detmolder, der SS-Brigadeführer, und beendete den Widerstand mit unfassbarer Radikalität. Er verbrannte und zersprengte den letzten Rest jüdischen Lebens im bereits zerstörten Herzen der Stadt und lieferte dem "Reichsführer-SS" Heinrich Himmler eine tagebuchähnliche und bebilderte Schilderung über die Vernichtung in schwarzem Ledereinband: den so genannten "Stroop-Bericht".
Bei der Veranstaltung "Der Detmolder Jürgen Stroop und der Aufstand im Warschauer Ghetto" wird Stroop in der ersten halben Stunde wenig thematisiert. Dr. Jürgen Hensel, Leiter des Jüdischen Historischen Institutes Warschau, zeigt zunächst eine Dokumentation über die 912 Tage des Warschauer Ghettos. Über den Kriegsverbrecher berichtet der Historiker zu Beginn lediglich, dass er ein Mensch gewesen sei, "um den es nie laut war": "Seltsam eigentlich, Stroops Karriere war eine der steilsten in der SS." Dann kündigt der in Warschau lebende Gast den Film als "Grundlage" für seinen Vortrag an. Auf dem Tisch vor ihm liegt eine Kopie des "Stroop-Berichtes" über die Auslöschung letzten jüdischen Lebens im Warschauer Ghetto.
Die Leinwand in der neuen Aula des Grabbe-Gymnasiums remittiert die Bilder von Warschau, als es noch das europäische Zentrum dieses Lebens ist; dann vom Herzen der Stadt, das die SS ab dem 15. November 1940 hermetisch abgeriegelt hat. Der beinahe voll besetzte Schulsaal sieht Kinder in Lumpen mit eingefallenen Gesichtern wie "kleine Leichen" und tote Menschenkörper in den Straßen des Ghettos. Passanten gehen in scheinbar ungerührter Selbstverständlichkeit vorbei. Solche Normalität existiert nur in der Hölle.
"Stroop wollte Juden unbedingt vernichten"
Dr. Jürgen Hensel
Diese Hölle heißt Warschauer Ghetto, in dem Hunger und Seuchen die Bevölkerung grausam dezimieren. Und schließlich Himmler. Ihm sterben die Juden nicht schnell genug, und deshalb beginnt am 22. Juli 1942 eine große "Aussiedelungsaktion", die nichts anderes als Ausrottung bedeutet. Mehr als 300.000 Menschen werden getötet, und der jüdische Widerstand, der sich am 18. Januar 1943 erstmals erfolgreich gegen die SS-Schergen stemmt, erstirbt schließlich unter Stroops Gewalt. Am 16. Mai 1943 ist sein Werk getan, und Stroop meldet Himmler den grausamen Vollzug: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr."
Der Grundstein für einen Vortrag über den Detmolder ist also gelegt, doch Hensel eröffnet dem Plenum, in dem viele Schüler sitzen, die Person Stroops anschließend kaum. Der Historiker wählt geschichtswissenschaftliche Kategorien für sein Referat. Beispielsweise bei der Frage, ob Stroop den nach ihm benannten Bericht selbst verfasst oder lediglich unterzeichnet habe.
Hensel nennt seine Hypothese, dass auch andere als Stroop an dem Bericht mitgewirkt hätten, und versucht anschließend, diese Behauptung in einem schwer nachvollziehbaren Erklärungskonstrukt aus Chronologie der Ereignisse sowie ideologischer Gesinnung Stroops zu belegen. Die Zuhörer erfahren dabei, dass Himmler bei einem Besuch des Ghettos im Januar 1943 "geschäumt" habe, weil dort noch 70.000 Juden für deutsche Unternehmen Ausrüstung im Auftrag der Wehrmacht produzierten. Dass der Reichsführer-SS daraufhin die vollständige "Aussiedlung" befohlen habe. Dass Stroop am 18. April 1943 mit der Räumung beauftragt worden sei und den Widerstand mit Abbrennen und Sprengungen des Ghettos schließlich am 16. Mai 1943 vollendet habe - "das ist das, was er getan hat". Und abschließend Bericht erstattet.
"Stroop war ein Mann, der die Juden unbedingt vernichten wollte", endete Hensel. Trotz derartiger Sätze blieb der SS-Brigadeführer gestern nur eine - wenn auch grausame und Menschen verachtende - geschichtliche Figur, die insbesondere den Schülern nicht näher gebracht, sondern nur in historischer Dimension präsentiert wurde. Der Protagonist des Grauens wurde nicht als (Un)mensch erklärt, und die Jugendlichen besaßen kaum eine Möglichkeit, das anschließenden Diskussionsangebot aufzugreifen.
Die Chance aber hätte es gegeben. Schließlich offerieren die niedergeschriebenen "Gespräche mit dem Henker" zwischen dem polnischen Offizier Kazimierz Moczarski und Stroop tiefe Einblicke in die Persönlichkeit des Mannes aus Detmold, der am 6. März 1952 in Warschau hingerichtet wurde.
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