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Schaumburger Zeitung , 22.01.2005 :

Verbrechen im Namen des deutschen Volkes / Ausstellung "Justiz im Nationalsozialismus" im Landgericht Bückeburg / Originaldokumente zur Schaumburger Geschichte

Von Frank Werner

"Der Führer schützt das Recht ... Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum." Carl Schmitt, Professor für öffentliches Recht und akademische Speerspitze der deutschen Juristen, hat die Rechtswissenschaft 1934 mit wortreichen Abhandlungen auf NS-Kurs gebracht. Richterliche Unabhängigkeit wurde abhängig vom Führerwillen, das Recht des Einzelnen dem Schutz der "Volksgemeinschaft" untergeordnet.

Die deutsche Richterschaft war stramm voranmarschiert. Der autoritären Tradition des Kaiserreichs verpflichtet, weinte sie dem Untergang der Weimarer Republik kaum eine Träne nach. Schon im März 1933 bot der Deutsche Richterbund der Regierung Hitler volle Unterstützung beim "nationalen Aufbauwerk" an. In den Chor nationaler Treueschwüre fielen auch der "Deutsche Notarverein" und der "Deutsche Anwaltsverein" ein.

Dabei hatte die Aushöhlung des Rechtsstaats zu diesem Zeitpunkt längst begonnen: Mit der "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" hatte die NS-Führung am 28. Februar 1933 (nach dem Reichstagsbrand) wesentliche Grundrechte außer Kraft gesetzt. Die gleichzeitig erlassene "Verordnung gegen Verrat am deutschen Volk und hochverräterische Umtriebe" schuf die Möglichkeit, Kritik am Regime mit der Todesstrafe zu ahnden. Auch als später das "Ermächtigungsgesetz" den Reichstag zum Debattierclub degradierte, schwiegen die Richter.

Hitler forderte in seiner Reichstagsrede am 23. März 1933, die "Elastizität der Urteilsfindung" zur Erhaltung der Volksgemeinschaft zu nutzen, "Volksverrat" sollte "mit barbarischer Rücksichtslosigkeit ausgebrannt" werden. Die Richterschaft applaudierte, löste den eigenen Berufsverband auf und schloss sich dem "Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" (BNSDJ) an. Um einem Verbot zuvorzukommen, hatte sich zuvor der "Republikanische Richterbund" selbst aufgelöst.

Wenig Protest löste auch die Arisierung aus: In vorauseilendem Gehorsam hatten die Justizminister der Länder bereits am 1. April 1933 - noch bevor das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" in Kraft trat - mit einem "jüdischen Abwehrboykott" jüdische Richter, Staats- und Amtsanwälte beurlaubt. Die "deutsche Rechtsfront" wurde rasch geschlossen, unliebsame Juristen ausgestoßen - ein Volk, ein Reich, eine Justiz.

Die Ausstellung "Justiz im Nationalsozialismus", die ihre Pforten am Mittwoch im Bückeburger Landgericht öffnete, dokumentiert die institutionelle und geistige Selbstgleichschaltung der Justiz auch am Beispiel Schaumburg-Lippes. Zum ersten Mal zeigt die Wanderausstellung im Rahmen ihres lokalgeschichtlichen Teils Originalquellen, darunter den umfangreichen Nachlass von Dr. Heinrich Zwitzer, der von 1925 bis 1938 Präsident des Landgerichtes Bückeburg war.

Die aus dem Staatsarchiv stammenden Dokumente erlauben präzise Einblicke in die Arbeit der Bückeburger Ortsgruppe des BNSDJ, die mit Vorträgen und KdF-Reisen die "Rechtsfront" auch in Schaumburg-Lippe festigte. Gezeigt wird unter anderem ein Brief des Bückeburger Rechtsanwaltes Dr. Ernst Roempler, der alle Juristen bis zum 15. Januar 1934 zum Übertritt in den BNSDJ bewegen wollte. "Wer nicht mitmacht, sabotiert den Wiederaufbau Deutschlands", schrieb Roempler. Großes Engagement für die Ortsgruppe zeigte auch Zwitzer selbst - in ihm erkennt Wilfried Knauer, Leiter der Ausstellung und NS-Gedenkstätte Wolfenbüttel, den Prototypen des nationalkonservativen deutschen Juristen, der sich mindestens zum Teilkonsens mit den Nationalsozialisten bereit fand. In einem Referat zum "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das Zwitzer 1935 im "Berliner Hof" hielt, plädierte er dafür, "den Volkskörper zu reinigen und die krankhaften Erbanlagen allmählich auszumerzen".

Einen weiteren lokalen Schwerpunkt bilden die Pogromnächte von 1938: Auch in Schaumburg-Lippe hat die Staatsanwaltschaft gemäß der Direktiven aus Berlin und Celle stillgehalten, als die Synagogen in Bückeburg und Stadthagen brannten, Juden in "Schutzhaft" kamen und ihr Eigentum demoliert wurde.

In den Urteilen des Bückeburger Gerichtes erkennt Knauer - verglichen mit der allgemeinen Spruchpraxis - keine besonderen Schärfen. Insgesamt gehen 50.000 bis 80.000 Todesurteile auf das Konto der NS-Justiz, die Dunkelziffer ist hoch. Vor allem die Sondergerichte und der Volksgerichtshof hinterließen eine beispiellose Blutspur. Die Ausstellung beleuchtet die Arbeit des Sondergerichtes Hannover, das auch für Schaumburg-Lippe zuständig war. Ein Todesurteil aus Bückeburg ist nicht bekannt.

Nach Kriegsbeginn stieg die Zahl der Hinrichtungen drastisch an. Eine juristische Grundlage lieferte die "Verordnung gegen Volksschädlinge" von 1939, die für alle Straftaten die Todesstrafe ermöglichte, wenn sie nach "gesundem Volksempfinden" als besonders verwerflich galten. Selbst Diebstahl konnte jetzt als Verrat am Volk eingestuft und mit dem Tode bestraft werden. Ebenso hagelte es Todesurteile in Bagatellsachen gegen ausländische Zwangsarbeiter. Rund 30.000 Exekutionen hat allein die Militärjustiz vor allem gegen Deserteure und "Wehrkraftzersetzer" zu verantworten - ein Bereich, den die Ausstellung allerdings komplett ausklammert.

Als "Schaumburger Besonderheit" wertet Knauer die Vielzahl von Verfahren wegen "Schwarzschlachtens". Die massenhaften Verurteilungen des Sondergerichtes Hannover führten ab 1942 im Raum Hagenburg zur "Entvölkerung ganzer Dörfer", heißt es dazu in den Gerichtsakten.

Die Ausstellung, reich an Fallbeispielen von Opfern und Tätern, zeigt auch die Handlungsspielräume von Richtern im Nationalsozialismus auf. Ein Amtsrichter, der gegen Euthanasie-Morde entscheidet, erleidet keine größeren Sanktionen als den vorzeitigen Ruhestand. "In der Regel passierte den Richtern, deren Urteile als 'zu milde' galten, gar nichts", sagt Knauer. Umso erklärungsbedürftiger, dass abweichendes Verhalten die seltene Ausnahme blieb.

"Die meisten waren keine Nazis", bewertet Knauer die Einstellung auch der Bückeburger Richter, die schon aus Karrieregründen in die Partei eintraten. Wenig beruhigend ist die daraus resultierende Erkenntnis, dass die NS-Führung gar keine in der Wolle gefärbten Nazis benötigte, um nationalsozialistisches Unrecht in die Tat umzusetzen.

22./23.01.2005
sz@schaumburger-zeitung.de

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