Lippische Landes-Zeitung ,
22.01.2005 :
Die Amis im Keller erwartet / Heimatverein Horn lud Zeitzeugen zum Gesprächsabend über das Kriegsende ein
Horn-Bad Meinberg (upf). Die großen Ereignisse der Zeit vor 60 Jahren sind bekannt: Am 7. Mai 1945 unterzeichneten Militärs des "Dritten Reichs" die Kapitulation vor den alliierten Streitkräften, der Zweite Weltkrieg war beendet. Was sich vor und um dieses Datum in Lippe abspielte, war Thema eines Gesprächsabends, zu dem der Heimatverein Horn in die Burg eingeladen hatte.
Es waren keine Historiker, die sich im Halbkreis vor das etwa 30 Personen zählende Publikum gesetzt hatten, sondern Zeitzeugen, die ihr eigenes Erleben während des Krieges schilderten. Ernst Schäferjohann aus Schlangen, Jahrgang 1931, hatte das Notizbuch seines Vaters, des Dorfpolizisten von Bad Meinberg, mitgebracht, um ein paar ausgewählte Ereignisse Revue passieren zu lassen und Schlaglichter auf die Zeit von 1942 bis 1945 zu werfen. Die Überwachung der Verdunkelung, der Absturz einer JU 88 in Feldrom mit drei Toten, die Gefangennahme dreier US-Piloten, die aus ihrem abgeschossenen Bomber abgesprungen und beim Püngelsberg in Horn gelandet waren - solche Dinge hatte Schäferjohanns Vater festgehalten. Der Sohn selbst schilderte, was er als Kind mitbekommen hatte: Dass nach der Niederlage bei Stalingrad viele Familien um ihre Gefallenen trauerten ("im Stillen"), dass sich zunehmend ein Mangel an Brennmaterial, Nahrungsmitteln und Reparaturmaterial bemerkbar machte, dass sich um Weihnachten 1944 die Angst ausbreitete über den schnellen Vormarsch der Russen, die auf ihrem Weg nach Berlin Gräueltaten an der Bevölkerung verübten. Im April 1945 schließlich, so Schäferjohann, habe sein Vater mit dem Ortsgruppenleiter noch über den Bau einer Panzersperre verhandeln müssen. "Dazu ist es dann Gottseidank nicht mehr gekommen, es gab ja noch Leute, die Verstand im Kopf hatten." Er selbst sei als "Pimpf" eingesetzt worden, um Deckungslöcher an der Reichsstraße 1 zu graben, und später, um Meldungen in die Kampfstellungen in der Umgebung zu bringen - "die waren zwar da, aber gar nicht mehr besetzt", erinnert er sich.
"Alle haben sich in den Keller verzogen"
Lina Lomp
Als dann die Amerikaner nach Bad Meinberg eingerückt seien, da war es "für uns Kinder eine unvorstellbare Menge an militärischem Gerät, das die Amis da mitgebracht hatten".
Diesen Tag aus einem anderen Blickwinkel schilderte Lina Lomp. Die heute 85-jährige gebürtige Meinbergerin hatte sich aus Berlin und Stendal wieder nach Hause abgesetzt, wo sie als Bedienung im "Roten Haus" arbeitete, einem Hotel gegenüber dem Kurparkeingang. "Morgens früh waren alle sehr aufgeregt, weil es hieß, die Amerikaner seien in der Nähe", berichtete sie über den 4. April 1945, "alle haben sich in den Keller verzogen, ich bin oben geblieben." Um die Mittagszeit rollte ein US-Panzer vor den Kurpark. Ein Offizier stieg ab, um die Übergabe des Lazaretts entgegenzunehmen. Als der Panzer wendete, sprang die Kette ab. "Der Offizier kam zu uns ins Rote Haus. Er sprach einwandfreies Deutsch und verlangte eine Flasche Meinberger Wasser." Des Rätsels Lösung: Der Offizier war Deutscher und kannte Bad Meinberg, weil er lange in der Hermannsschule gewesen war.
Über denselben Tag erzählte Erika Pollmann (77), ihre Familie habe im Keller beim Abendessen einen Lautsprecher gehört, mit dem die Amerikaner den Ort zur Übergabe aufforderten. "Wir zeigten uns nicht, bis die Amis bei Strucks um Wasser zum Kaffeekochen baten." Wenige Monate zuvor hatte Erika Pollmann sozusagen vor der Haustür miterleben müssen, wie Jagdbomber einen voll besetzten Bus angriffen und viele Menschen getötet oder verletzt wurden.
Den Angriff auf die Straßenbahn beim Waldschlößchen in Horn vom Oktober 1944 schilderte die Schlängerin Lieselotte Richts, die von den schrecklichen Bildern noch immer bewegt wird - ihr Vater war einer der Fahrer der Straßenbahn und wurde bei dem Fliegerangriff schwer verletzt.
Zwar nicht aus eigener Anschauung, aber dennoch sehr detailliert und fesselnd schilderte Erika Schierkolk aus Leopoldstal die letzten Tage des Krieges in Veldrom anhand der Erinnerungen einer heute 100-Jährigen. Dort starben in einem Gefecht zahlreiche amerikanische und deutsche Soldaten, bevor der Krieg zu Ende ging.
Aus den Erzählungen ergab sich immer wieder auch ein lebendiger Austausch mit den Zuhörern über verschiedene Begebenheiten.
22./23.01.2005
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