Jost Müller ,
22.01.2005 :
Step by Step ... oder die schrittweise Herleitung und Kritik der antideutschen Ideologie
Nicht nur bei den in den letzten Jahren veröffentlichten Texten der Detmolder Georg-Weerth-Gesellschaft (GWG) verbindet sich die Unfähigkeit zu einer produktiven Selbstkritik linker Irrtümer und Schwächen mit der Aufgabe von Herrschafts- und Kapitalismuskritik, die schließlich in eine Bejahung der bestehenden globalen Verhältnisse mündet.
Um antideutsche Ideologie nicht nur auf der Ebene ihrer zum Teil unsäglichen Erscheinungsform kritisieren zu können, sondern sie auf der Basis ihrer Grundannahmen in Frage stellen zu können, soll hier parallel zu ihrer ideologischen Herleitung eine Kritik dieser Ideologie aus antifaschistischer Sicht geleistet werden.
Anhand des Positionspapieres "Furchtbare Antizionisten – Ehrbare Antinationale" der antideutschen Gruppe "Smartline" aus August 2004 soll hier die antideutsche Ideologie nachgezeichnet werden. Die nachstehenden einzelnen Denkschritte sind – so zumindest die Gruppe Smartline – jene, die aus "rechtschaffenden Linken blauweiße und blauweißrote Nationalfahnen schwenkende QuerulantInnen" machen.
Denkschritt 1
Position der Antideutschen (AD):
Die bürgerliche Gesellschaft ist widersprüchlich. Sie hat erstmals die Gleichheit und Freiheit aller Menschen denkbar gemacht. Hierin ist ihr Fortschritt gegenüber den feudalen Gesellschaften zu sehen. Sie hat diese Möglichkeit jedoch nicht eingelöst, sondern der staatlich abgesicherten Verwertungslogik des Kapitals unterworfen.
Position der Antifa (Antifa):
Diese Position ist absolut unstrittig und wird von Antifa und AD geteilt.
Denkschritt 2
AD:
Die staatliche Absicherung des Kapitalismus organisiert sich in der Form des Nationalstaates. Wie diese Nationalstaaten können für die Linke auch nationale Befreiungsbewegungen daher nicht Objekte sein, auf die man sich positiv bezieht.
Antifa:
Auch diese Position der Antideutschen lässt sich problemlos nachvollziehen. Die Zeiten, in denen sich Antiimperialisten auf nationale Befreiungsbewegungen bezogen, wie dies heute allein noch vom nationalrevolutionären Spektrum der extremen Rechten geschieht, sind tatsächlich vorbei.
Denkschritt 3
AD:
Statt einer positiven Aufhebung des bürgerlichen Nationalstaates im Kommunismus ist eine negative Aufhebung in der deutschen, völkischen Ideologie denkbar. Sie wurde mit dem NS und der von ihm inszenierten Volksgemeinschaft Realität. Eine Entsprechung zu dieser Volksgemeinschaft findet sich heute in der islamischen Welt als Gemeinschaft aller shariatreuen Muslime. Ob man sich auf der Seite der negativen oder positiven Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft positioniert, ist allein eine Frage der freien individuellen Entscheidung.
Antifa:
Einmal abgesehen davon, dass diese "Volksgemeinschaft" auch im NS außer in der Propaganda nicht existierte – wozu sonst diente der Terrorapparat des NS, wenn nicht dazu der individuellen Entscheidung nachzuhelfen – ist diesem Denkschritt der antideutschen Ideologie auf zwei Ebenen kritisch zu begegnen. Zum einen wird hier einer Relativierung des NS Tür und Tor geöffnet. Milosevic, Saddam Hussein oder irgendein anderer – zweifelsohne unsympathischer Zeitgenossen – kann so mit dem Ziel Kriege zu legitimieren als der "neue Hitler" medial aufgebaut werden. Zum anderen wird eine Analyse des NS-Faschismus verwässert, da er mit dem auf theokratische Herrschaft zielenden Islamismus in eins gesetzt wird. Ein wesentlicher Entstehungszusammenhang des NS-Faschismus, nämlich das Interesse des deutschen Kapitals an ihm, fällt so unter den Tisch. Der Gewinn für die Antideutschen, den dieser 3. Denkschritt mit sich bringt ist also zum einen eine Legitimation ihrer bellizistischen Positionen und zum anderen eine Entmaterialisierung von Faschismuskritik.
Denkschritt 4
AD:
Sollte mit der deutschen und der mit ihr in eins gesetzten islamistischen Ideologie die bürgerliche Gesellschaft umgestürzt werden, so bedeutet dies das zumindest vorläufige Ende aller Hoffnung auf Freiheit und Gleichheit.
Antifa:
Einmal abgesehen von der unzulässigen Ineinssetzung von Ismlamismus und deutscher Ideologie, ist dieser Denkschritt innerhalb der deutschen Linken unumstritten.
Denkschritt 5
AD:
Deutsche, völkische Ideologie bezieht sich ebenso wie der Islamismus nicht auf den Nationalstaat, sondern in Deutschland auf eine völkische und im Islamismus auf eine religiöse Gemeinschaft. Eine antinationale Aufhebung des bürgerlichen Nationalstaates ist somit auch negativ denkbar und wurde im NS negativ vollzogen. Gegen eine solche negative Aufhebung sind die Nationalstaaten um jeden Preis zu verteidigen.
Antifa:
Auch hierin stimmen AD und Antifa theoretisch überein. Praktisch werden lässt diese Position jedoch allein die Antifa. Die Antifa praktiziert regionale Bündnisse mit bürgerlichen Kräften, um Nazis oder anderen Trägern der völkischen Ideologie entgegenzutreten. Antideutsche verbleiben auf der symbolischen Ebene des Fahnenschwenkens, weil ihre Praxis sich allein in der (real nicht vorhandenen) Zusammenarbeit mit den Alliierten des 2. Weltkrieges ausdrücken könnte. Denn die deutsche Gesellschaft wird, eingefroren auf den Zustand der Jahre 1933-1945, noch immer als Volksgemeinschaft gesehen, was weder historisch noch heute korrekt ist.
Denkschritt 6
AD:
Deutsche formierten sich ohne großen Druck zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Diesem Formierungsprozess folgte auch die "Arbeiterklasse", weshalb ein positiver Bezug auf die Arbeiterklasse reaktionär ist, so er nicht diesen Formierungsprozess reflektiert. Die soziale Frage kann daher solange nicht gestellt werden, wie erneut eine Formierung auch der Arbeiterklasse in der Volksgemeinschaft droht.
Antifa:
Diese AD-Position stellt eine Verhöhnung der NS-Opfer aus der organisierten Arbeiterklasse dar. Den Nazis war klar, dass sie zunächst die organisierte Arbeiterklasse aus dem Weg räumen mussten, wollten sie mit ihren antisemitischen Projekten Erfolg haben. Die KZ's und Folterkeller füllten sich zunächst mit Angehörigen der organisierten Arbeiterklasse und erst danach konnte der NS mit der Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen beginnen. Um sich von linker Politik verabschieden zu können, wird dies von Antideutschen verschwiegen. Verantwortungsbewusste AntifaschistInnen haben aus der historischen Niederlage der Arbeiterklasse gegen den NS u.a. die Lehre gezogen, dass sich antifaschistischer Widerstand nicht spalten lassen darf, auch nicht von antideutschen Sektierern.
Denkschritt 7
AD:
Allein die Nationalstaaten der Antihitlerkoalition waren in der Lage den NS zu besiegen. Weil die Deutschen im Kollektiv der Volksgemeinschaft aufgingen, war es vergeblich darauf zu hoffen, eine linke Gegenmacht könne den NS von innen heraus stürzen. Daher sind die Nationalfahnen der Antihitlerkoalition antifaschistische Symbole.
Antifa:
Es ist richtig, dass dem Faschismus an der Macht, der sich nun der staatlichen Machtmittel bedienen konnte, nur noch von außen, mit ebensolchen staatlichen Machtmitteln effektiv entgegengetreten werden konnte. Doch weshalb ist historischer Erfolg respektive Misserfolg das Maß aller Dinge? Weshalb kann sich beispielsweise antifaschistischer Widerstand heute nicht auf kommunistischen Partisanenwiderstand beziehen? Auch er war erfolgreich. Verglichen mit den Ressourcen, die den Partisanen im Gegensatz zu den nationalstaatlichen Armee zur Verfügung stand, sogar effektiver. Die Antifa hat es nicht nötig, sich mit Nationalstaaten zu identifizieren, denn sie will über diese Zwangsgemeinschaften der bürgerlichen Gesellschaft und Garanten des Kapitalismus hinaus. Sie bezieht sich auf einen Widerstand, der über die bürgerliche Gesellschaft hinausweisen, statt sie zu affimieren.
Denkschritt 8
AD:
Israel ist jener Ort, an dem jüdische Menschen sich zu einem wehrhaften nationalen Kollektiv zusammenschlossen, um dem eliminatorischen Antisemitismus trotzen zu können. Daraus leitet sich ein besonderes Existenzrecht Israels ab, das dessen gewaltsame Sicherung legitimiert.
Antifa:
Nur der kleinere Teil der jüdischen Menschen lebt in Israel. Für viele ist die Entscheidung gegen ein Leben in Israel auch damit verbunden, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, an dem Juden mehr in der Gefahr schweben Opfer antisemitischer Gewalt zu werden als Israel. Das Engagement von Antifaschisten zielt deshalb darauf ab, die Notwendigkeit der Existenz Israels aus der Welt zu schaffen und bleibt nicht bei der Verteidigung der Existenz Israels stehen.
Denkschritt 9
AD:
Der politische Islam stellt heute die aggressivste Form der deutschen Ideologie dar.
Antifa:
Den politschen Islam, der eine theokratische Herrschaftsform erstrebt, mit deutscher Ideologie in eins zu setzten verwässert – wie bereits oben beschrieben – eine linke Analyse des deutschen Faschismus und seiner Ursachen. Diese Einschätzung der Antideutschen wird zudem einer Analyse des politischen Islam nicht gerecht. Dieser Verzicht auf analytische Genauigkeit ist der Preis, den Antideutschen gerne bezahlen, um ihre antideutsche Verschwörungstheorie von einer Achse des Bösen zwischen Berlin und Bagdad oder wo auch immer auf der Welt zu erkaufen.
Denkschritt 10
AD:
Heute sind es bürgerlichen Nationalstaaten, zu allererst Israel, die USA und Großbritannien, die den heutigen Verfechtern der deutschen Ideologie, den politischen Islamisten entgegengetreten. Antinationalismus, der sich ihnen dabei entgegenstellt ist daher antiemanzipatorisch.
Antifa:
Wüssten wir nicht, dass eben jene Nationalstaaten zu den Förderern des politischen Islam gehörten und er erst mit Hilfe insbesondere der USA beispielsweise in Afghanistan aufgebaut wurde, um ihn gegen fortschrittlichere Kräfte in den arabischen Staaten oder gegen die Kommunisten in Afghanistan in Stellung zu bringen, könnte man geneigt sein dieser Mär von der Mission des Fortschritts und der Emanzipation der bürgerlichen Nationalstaaten Glauben zu schenken. Weil Antifaschisten aber um diesen Zusammenhang wissen, werden sie sich nicht auf die Wahl zwischen politischem Islamismus oder bürgerlichen Nationalstaaten reduzieren. Ein internationaler Kampf gegen die extreme Rechte lässt sich nur jenseits des Bezugs auf bürgerliche Nationalstaaten glaubwürdig führen.
Denkschritt 11
AD:
Antiamerikanismus von links wie von rechts ist in seinem Kern antisemitisch, da er vielfach mit antisemitischen Bildern gegen die USA mobilisiert.
Antifa:
Linke erkennen in den USA jenen bürgerlichen Nationalstaat, der heute über die größten ökonomischen und militärischen Machmittel verfügt, um kapitalistische Verwertungslogik weltweit aufrecht zu erhalten. In diesem Sinne kritisieren Antifaschisten die USA. Ihre konkrete antifaschistische Arbeit gilt aber den Strukturen im eigenen Land, die nicht minder – ja in Bezug auf Deutschland gar mit einem noch größeren Aggressionspotential bei geringerer militärischer Potenz – imperialistische Ziele verfolgen. Wer eine solche Einschätzung und die aus ihr abgeleitete Praxis als antisemitisch bezeichnet, muss sich fragen lassen, ob er es ernst meint mit seinem Kampf gegen Antisemitismus, oder ob sich sein Kampf nicht vielmehr gegen die Linke richtet, gleichwohl er ihn als Kampf für den Kommunismus deklariert.
Denkschritt 12
AD:
Antikapitalismus der Ausbeutungsverhältnisse personifiziert (böse Spekulanten) statt das System der kapitalistischen Ausbeutung zu kritisieren, stellt den Kern antisemitischer Ideologie dar. Solche "Antikapitalisten" bekennen (ihre braune) Farbe, wenn sie mit Israelfahnen konfrontiert werden.
Antifa:
Dem ist entgegenzuhalten, dass Antifaschisten nicht auf Israelfahnen allergisch reagieren, sondern auf jene Deutschen, die sich dieser Fahnen bemächtigen. Sie sollten die Kritik, die ihnen entgegengehalten wird persönlich nehmen, denn so ist sie gemeint und sich als junge Deutsche nicht in unzulässiger Weise mit Israel in eins setzen. Wer - wie die GWG am 14. Januar bei einer Kundgebung auf dem Detmolder Marktplatz - der persönlichen Aufforderung von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde die Israel-Fahnen bitte einzurollen, nicht folgt und der Jüdischen Gemeinde als Mitveranstalter sogar die Störung der Kundgebung androht, zeigt einmal mehr, dass eine kritische Distanz zu den Okkupanten der Israelfahne mehr als angebracht ist.
Denkschritt 13:
AD:
Solange die negative Aufhebung der Nationalstaaten droht, die die antisemitische deutsche Ideologie auch in Form des politischen Islamismus zum Inhalt hat, ist bedingungslose Solidarität mit den Nationalstaaten Israel und bedingte Solidarität mit den USA notwendig.
Antifa:
Damit wird ein Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse auf den St. Nimmerleinstag verschoben, als sei ein antifaschistischer und linker Kampf gegen sie nicht eingedenk der Möglichkeit dieser negativen Aufhebung möglich und in der Linken längst Praxis. Insbesondere Antifaschisten, die sich mit nationalrevolutionären Strömungen in der extremen Rechten auseinandersetzen ist diese Gefahr schon viel länger als den antideutschen Sektierern bewusst.
Schließlich sei den Antideutschen in ihrem manichäischem Weltbild ein Zitat Adornos ins Stammbuch geschrieben: "Der neutestamentarische Satz: 'Wer nicht für mich ist, ist wider mich' war von jeher dem Antisemitismus aus dem Herzen gesprochen. ( ... ) Die apriorische Reduktion auf das Freund-Feind-Verhältnis ist eines der Urphänomene der neuen Anthropologie. Freiheit wäre, nicht zwischen Schwarz und weiß zu wählen, sondern aus solcher vorgeschriebenen Wahl herauszutreten." (Adorno, Theodor: Minima Moralia)
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