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Tageblatt für Enger und Spenge / Neue Westfälische , 21.01.2005 :

Über die Erinnerung stolpern / Stolpersteine als Zeichen der Existenz jüdischer Menschen in Enger und ihres Schicksals im Dritten Reich

Enger. Ein interessanter Antrag wird am 7. Februar auf der Tagesordnung des Engeraner Haupt- und Kulturausschusses stehen. Darin geht es um "Stolpersteine" des Kölner Künstlers Günter Demnig, die auf ehemalige Wohnungen jüdischer Einwohner in Enger aufmerksam machen sollen. Gemeint sind dabei Juden, die im Zusammenhang mit der Naziherrschaft ums Leben kamen. Die Historikerin Angelika Tiemann aus Enger kam bei ihren Nachforschungen teilweise zu anderen Ergebnissen als die Autoren des 7. Bändchens zur Engeraner Stadtgeschichte von 1991 und stellte nun an die Stadt den Antrag auf Erlaubnis zum Verlegen solcher "Stolpersteine".

Bürgermeister Klaus Rieke nannte diese Idee auf Anfrage der NW "eine gute Sache", die "von allgemeinem Interesse" sei und kündigte für die nächste Ausschusssitzung einen positiven Beschlussvorschlag der Verwaltung an.

Die Genehmigung sei im Rahmen des Straßenrechts notwendig, weil die "Stolpersteine" auf öffentlichen Verkehrsflächen verlegt würden. Das sei jedoch kein Problem. Darüber hinaus müsse die Stadt Enger entscheiden, ob sie diese Gedenksteine und die damit verbundene politische Aussage haben will. Darum sei Tiemanns Antrag ein Thema im Ausschuss.

Stolpersteine gibt es auch schon in Bielefeld und Bünde

Günter Demnigs "Stolperstein"-Aktionen sind aus vielen anderen Städten bekannt. Seit 1993 hat er sie auch in Ostwestfalen unter anderem in Bielefeld, Bünde, Höxter und Gütersloh in Form kleiner Metallplatten verlegt - auf den Bürgersteigen vor den Wohnhäusern jüdischer Opfer des NS-Regimes.

Die zehn mal zehn Zentimeter großen Platten tragen den Namen des jeweiligen Opfers, um es aus der Anonymität herauszuheben. Private Paten übernehmen die Kosten für die Herstellung und das Verlegen eines "Stolpersteins".

Wirklich stolpern kann man über diese "Steine" nicht. Angelika Tiemann weist in ihrem Schreiben an den Bürgermeister darauf hin, dass es darum geht, "zum intellektuellen Stolpern anzuregen" - "an einem Ort, den jeder zu jeder Zeit betreten kann".

Denn das Verbrechen geschah auch zu jedem Zeitpunkt und an jedem ganz 'normalen' Ort." Dem Namen des Opfers wird deshalb auch das Geburtsdatum hinzugefügt und das Todesdatum oder der Tag der Deportation.

Sieben "Stolpersteine" werden in dem Antrag für Enger vorgeschlagen: zur Erinnerung an Max Spanier, Bertha Marx, Helene de Vries, Jonas de Vries, Ludwig Lehmann de Vries, Josef van Pels und Ernst van Pels. Bisher habe man sich in Enger nicht intensiv genug mit dem Schicksal dieser Menschen beschäftigt, meint Angelika Tiemann und fordert die alltägliche Erinnerung:

"Denn ... jeden Tag wurde das Verbrechen des Völkermordes vorbereitet und dann ausgeführt. Und dies begann nicht erst in den Vernichtungslagern, es begann auch hier in Enger: jeden Tag ein kleines Stückchen mehr Entwürdigung, jeden Tag ein Mensch mehr, der nicht mehr grüßte. Die Wohnungen wurden immer kleiner, weil immer mehr Menschen dort wohnen mussten. Der Besitz immer weniger, weil man immer weniger haben durfte, dann wurde den Opfern noch ihr Name genommen und durch eine Nummer ersetzt und zum Schluss durften sie nicht einmal mehr ihr Leben behalten."

Die Antragstellerin zitiert bei ihrer Zielformulierung den Landesrabbiner Dr. Henry Brandt: " ... bitte baut keine Mahnmale, dass sich die Juden erinnern sollen, sondern damit ihr selbst euch erinnert", denn im Bewusstsein der überlebenden Juden seien die Ereignisse sowieso fest verankert.

Wenn sich die Stadt Enger für die Durchführung der "Stolperstein"-Aktion entscheidet, will Günter Demnig nach Auskunft von Angelika Tiemann die sieben Metallplatten herstellen und verlegen.

Die Schicksale der deportierten und dabei ums Leben gekommenen Engeraner Juden und ihre ehemaligen Adressen wird die NW in loser Folge in ihren nächsten Ausgaben anhand der vorläufigen Ergebnisse der intensiven aktuellen Nachforschungen darstellen.


lok-red.enger@neue-westfaelische.de

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