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Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische , 18.01.2005 :

"Apokalyptische Zeit" / Die erste der Gedenkveranstaltungen zu den Bombenangriffen von 1945 wurde von Schülern gestaltet

Paderborn (st). "Was wollen wir heute?", fragten die Goerdeler-Schüler Dennis Dellschow und Wiebke Fischer. "Wachrufen? Informieren? Erinnern? Als junge Menschen zeigen, dass wir noch betroffen sind? Dass wir nicht einfach die Augen verschließen? Zeigen, dass die Ereignisse auch heute noch aktuell sind?" Die Antwort lieferten die beiden Sprecher der Projektgruppe Gedenkfeier ihres Gymnasiums mit: "Vielleicht von alledem etwas."

Schüler gestalteten am 60. Jahrestag des ersten großen Bombenangriffs von 1945 auf Paderborn die Gedenkstunde. "Uns mahnen 827 Opfer des Bombenkrieges 1940-1945", heißt es in der Inschrift des Mahnmals Busdorfwall. Es wurde 1953 errichtet. Inzwischen geht die Stadt von fast 900 Opfern aus.

"Heute vor 60 Jahren genau um 12.24 Uhr begann eine apokalyptische Zeit für die alte Kaiser- und Bischofsstadt und ihre Menschen, die schlimmste Katastrophe der über 1.200-jährigen Stadtgeschichte", sagte Bürgermeister Heinz Paus. Mehr als 200 Bürger waren gekommen. "Das ist das Drei- oder Vierfache als sonst am 27. März", zeigte sich Paus später zufrieden mit der Teilnehmerzahl.

Auch bei kleineren Angriffen gab es Tote

Neben dem 17. Januar und dem 27. März ist der 22. März ein weiterer Gedenktag dieses Jahres. Dies seien die drei unter der Totenleuchte des Domes in Stein gemeißelten Daten der großen Angriffe 1945, erläuterte Paus. Es dürfe aber nicht ausgeblendet werden, dass es am 23. Februar und 20. März weitere Großangriffe mit jeweils mehr als 100 Bombern gegeben habe. Auch bei weiteren kleineren Angriffen auf Paderborn seien Menschen getötet worden.

Die Totenleuchte am Dom brannte gestern. Um 12.24 Uhr stimmten die Totenglocken aller Kirchen in das Gedenken ein.

Da waren Paus und zahlreiche Bürger bereits unterwegs zu den Bildtafeln, die an 16 Standorten der Innenstadt an die Kriegszerstörung erinnern. Auch manche Paderborner, die 1945 Zeuge dieser Zerstörung waren, machten sich mit auf den Weg.

Einer unter ihnen: Der pensionierte Pädagoge Werner Trienens (79). "Fliegeralarm gehörte damals mit zum Leben", schilderte er den Goerdeler-Schülern beim abschließenden Gespräch im Rathaus.

Trienens war als junger, im Krieg verletzter Soldat an diesem 17. Januar 1945 auf Genesungsurlaub daheim, wollte gerade seine Brieffreundin am Westerntor besuchen. Da heulten die Sirenen. Er flüchtete in einen Luftschutzgraben an der Promenade, da, wo heute das Arosa steht. Ganz nahe, an der Marienstraße, schlugen kurz danach Bomben ein. Auch an der Borchener Straße. Dort kam seine Tante Elisabeth Kramps ums Leben. Seine Eltern hingegen überlebten, und auch das Elternhaus an der Widukindstraße überstand den Angriff. "Nur Fensterscheiben und Dachpfannen gingen zu Bruch."

Dann erinnert sich Trienens noch an die Kühe, die ein Bauer an diesem Mittag zum Melken zu seinem Hof an der Promenade trieb. Nach dem Angriff standen die verängstigten Tiere brüllend am Westerntor.

Über seine eigene Vernichtung Buch geführt

Heinz Paus rief Bürger, die die Zerstörung der Stadt miterlebt haben, zur Teilnahme am Zeitzeugen-Gespräch am 20. Februar auf. Er bat sie ferner, "soviele Informationen und Bilder wie möglich" für das geplante Gedenkbuch und damit "für unser Stadtgedächtnis" zur Verfügung zu stellen. Stadtarchivleiter Rolf-Dietrich Müller wurden im Rathaussaal weitere Fotos und zu Papier gebrachte Erinnerungen übergeben. Bei ihm im Archiv hatten die Goerdeler-Schüler die Kriegschronik studiert. Dennis Dellschow: "Diese Chronik wurde wie eine Bestandsaufnahme begonnen und endete mit der Dokumentaton der Vernichtung Paderborns. Ohne die Ereignisse zu bewerten – rein faktisch als Dokument der Ordnung eines fatalen Regimes, das über seine eigene Vernichtung Buch führte."


lok-red.herford@neue-westfaelische.de

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