www.hiergeblieben.de

Schaumburger Zeitung , 05.01.2005 :

Als sich "Schwarzschlachter" das Leben nahmen / Ausstellung "Justiz im Nationalsozialismus": In Schaumburg sitzen selbst Bauernführer und Bürgermeister ein

Bückeburg/Wolfenbüttel (tw). Was Wilfried Knauer während seiner eineinhalb Monate währenden Intensiv-Recherche in den Staats- und Gerichts-Archiven zu Tage gefördert hat, ist – wie der Forscher selbst verblüfft feststellt – in Niedersachsen "einmalig". Seine Erkenntnis: "Ab dem Kriegsjahr 1941/42", so der Leiter der Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel, "kommt die Landwirtschaft in Schaumburg zeitweise völlig zum Erliegen". Der Grund: Fast alle Männer sitzen – so sie nicht Soldaten sind – als "Schwarzschlachter" im Knast, sind zu Haftstrafen zwischen zwei und sieben Jahren verdonnert worden.

Das verbotene "Schwarzschlachten" ist eines von drei Bückeburger Themen, die Knauer in der Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus" zeigt; sie wird von Mittwoch, 19. Januar, bis Mittwoch, 23. Februar, im Landgericht zu sehen sein. Das heimische Material reicht für fünf der 80 Wandtafeln; Bückeburger Original-Akten, die gleichfalls und erstmals überhaupt gezeigt werden, füllen darüber hinaus vier Tischvitrinen.

Was den Forscher und Ausstellungs-Organisator, der mit dem Thema "NS-Justiz in Bückeburg" ein noch weitestgehend unbestelltes Feld beackert, ebenfalls verblüfft: "Todesurteile an Bückeburgern sind von dem für die Residenzstadt zuständigen 'Sondergericht Hannover' offenbar nicht verhängt worden." Selbst dann nicht, als Bückeburg im Kriegsjahr 1944 ein "Ad hoc Plünderungs-Sondergericht" bekommt, im Strafgefängnis Wolfenbüttel die Guillotine klappert.

Das Schwarzschlachten indes entwickelt sich im "Dritten Reich" zu einem Riesenproblem. Weil das "Sondergericht" in Hannover ob der Vielzahl der Verurteilungen überlastet ist, muss es sogar Fälle ans Amtsgericht delegieren. "In Schaumburg", so Knauer, "sitzen selbst 'Ortsbauernführer' und Bürgermeister ein". Weil die Felder brach liegen, interveniert die Partei. Macht sich dafür stark, dass die Bauern zumindest für die Zeit der Ernte aus dem Knast kommen. Und erreicht in vielen Fällen tatsächlich einen Strafaufschub. Andere haben weniger Glück. "Es sind Fälle bekannt, wo sich Untersuchungsgefangene aus Scham in ihren Zellen erhängt haben", weiß der Forscher. Schwarzschlachten ist für sie ein Kavaliersdelikt. Als sie dann als Kriminelle an den Pranger gestellt werden, bricht für sie eine Welt zusammen. Doch die Prozesse haben für die Nazis ein Nachspiel: "Wer verurteilt wird", sagt Knauer, "tritt in der Regel aus der Partei aus. Das hat zur Folge, dass sich die NSDAP ab 1941/42 in vielen Orten Schaumburgs von selbst auflöst."

Zweiter Bückeburger Schwerpunkt der Justiz-Ausstellung: Dr. Heinrich Zwitzers, von 1925 bis 1938 Präsident des Landgerichts. Zwitzers wird 1873 in der Grafschaft Bentheim geboren, macht 1906 seinen "Dr. jur." mit magna cum laude an der Universität Göttingen. Im Ersten Weltkrieg wirkt er als Kriegsgerichtsrat in Rumänien und der Ukraine. "Als die Nazis 1933 an die Macht kommen", sagt der Forscher, "ist Zwitzers bereits 60 Jahre alt".

In der Folge geht der im Wortsinn "total begeisterte" Präsident mit Schwung daran, den "Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" in Bückeburg aufzubauen, wird selbst dessen Ortsgruppenleiter. Knauer: "Dass sich ein Landgerichts-Präsident an die Spitze der 'Bewegung''"setzt, ist in Niedersachsen einmalig." Die Masse der Vortragsnotizen Zwitzers ist erhalten geblieben. Sie kreisen um den für die NS-Ideologie zentralen Satz: "Recht ist, was dem Deutschen Volke nutzt." Der Jurist wird sogar – mit einem Monatsbeitrag von 2,50 Reichsmark – Fördermitglied der Waffen-SS.

"Dritter und letzter Ausstellungs-Schwerpunkt", so Knauer, "wird das juristische Nachspiel der Bückeburger Pogrom-Nächte sein – das nämlich gab's überhaupt nicht". Denn obwohl die Polizei in der Residenzstadt wegen Sachbeschädigung und Brandstiftung ermittelt, den Berichten sogar die Hülse einer Patrone beilegt, die auf ein "Judenhaus" abfeuert wird, werden diese Straftaten vom Gericht nicht verfolgt. Hintergrund: Aus der Reichshauptstadt ist ein Funkspruch an das Oberlandesgericht Celle gegangen, dass ihn seinerseits an Bückeburg weiter leitet. Tenor: In den Pogromnächten habe sich lediglich der "aufgestaute Volkszorn" entladen.

Spannend ist auch die Darstellung des für Sterilisierungen zuständigen "Erbgesundheits-Gerichts", das es in der Residenzstadt ab 1933 gab. Sein Wirken wird in der Ausstellung gleichfalls dokumentiert, allerdings – wahrscheinlich – nicht am Beispiel Bückeburgs. "Zwar sind auch Bückeburger zwangssterilisiert worden, aber die Fälle sind nicht so spektakulär wie an anderen Orten", so der Forscher. Und ergänzt: "In Stade etwa wird sogar ein 'Nachtblinder' als Folge eines nur drei Minuten währenden Prozesses von der NS-Justiz den Ärzten überantwortet."


sz@schaumburger-zeitung.de

zurück