Zeitung für Schloß Holte-Stukenbrock / Westfalen-Blatt ,
07.05.2015 :
Starke Symbolik / Gymnasiasten begleiten Bundespräsident Joachim Gauck den ganzen Tag
Von Monika Schönfeld, Matthias Klemann und Oliver Schwabe (Fotos)
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Es war der Tag der starken Symbole. Bundespräsident Joachim Gauck hält den ehemaligen russischen Kriegsgefangenen, Lev Frankfurt, an seiner rechten Hand, links Alexander Basanov aus Kalmückien, der das Grab seines Vaters auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof gefunden hat.
Den "Alten" folgen fünf Schüler des Gymnasiums. An sie wird die Verpflichtung weitergegeben, Widerstand gegen das Vergessen zu leisten.
Die Gäste, die gestern beim Besuch des Bundespräsidenten dabei sein durften, waren handverlesen. 20 Botschafter der ehemaligen Staaten der Sowjetunion und der westlichen Alliierten, Bundeswehrsoldaten, Polizeischüler, Politiker, Mitglieder des Drei-Schulen-Theaters und eben 48 Schüler des Gymnasiums, die Schulleitung mit Marion Blome, Michael Kößmeier, dem Religionslehrer Markus Barlage und den Geschichtslehrern Christian Schwarz, Christopher Snigula und Christina Kubatzki. Fünf Schüler rahmen in der ersten Reihe des Auditoriums Gauck, Frankfurt, Basanov, seine Frau Valentina und seinen Neffen Yury Erdniev ein. Niklas Pähler, Sebastian Lüke, Benedikt Brei, Nadja Wolfkopf und Senada Memic begleiten den Bundespräsidenten den ganzen Tag.
In seiner Rede spricht Joachim Gauck die Schüler direkt an. "Zu den Initiativen, die hier wertvolles Engagement beweisen, gehört die Geschichts-AG des Gymnasiums Schloß Holte-Stukenbrock. Es gibt das Anne-Frank-Projekt und das schulübergreifende Theaterprojekt. Alle diese jungen Menschen haben die Aufgabe übernommen, die Erinnerung weiter zu tragen." Lea Christin Potthoff fasst es später so zusammen: "Da wird man als Jugendlicher vom Bundespräsidenten in der Rede geehrt, ist ihm so nah. Und dann merkst du erst: Ja, das bin ich. Er spricht von mir." Antonia Nolte sagt, es war beeindruckend, "vor allem an diesem Ort". Die Protokollchefin des Bundespräsidenten hat jeden Schritt, jeden Weg und jeden Ablauf minütiös vorgegeben. Nachdem Gauck die Stele enthüllt hat, hält er sich nicht mehr an diesen Plan. Er schüttelt dem langjährigen Vorsitzenden des Fördervereins Dokumentationsstätte, Werner Busch (89), die Hand, um dann weiter zu den Gymnasiasten zu gehen. "Das ist ja wie ein Staffellauf", scherzt Gauck. "Das ist eine gute Botschaft. Ich wünsche der jungen Generation, dass sie sich anstecken lässt." Die Schüler lernen schon einmal Lev Frankfurt kennen, der heute mit ihnen im kleinen Rahmen an der Schule sprechen wird. Schüler Luc Flake: "Das war echt klasse. Der Bundespräsident stand neben mir. Das werde ich so schnell nicht vergessen." Jan Gräfe, Vorsitzender des Jugendparlaments und ebenfalls Schüler am Gymnasium: "Ich freue mich sehr, dass wir hier sein dürfen, dass der Bundespräsident damit unsere Arbeit so würdigt."
Schulleiterin Marion freut sich für die "Friedensbotschafter" ihrer Schule. Sie sieht das Gymnasium auf gutem Weg. "Bereits im ersten Schulprogramm wenden wir uns gegen Vorurteile und werben für ein solidarisches Miteinander. Das ist der Geist der Schule. Der Besuch des Bundespräsidenten ist auch für die Lehrer beflügelnd, die sich außerordentlich engagieren."
Die den Toten Namen geben
"Ich war den Streit leid." Das sagt Thomas Kutschaty, Justizminister des Landes NRW und Landesvorsitzender des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Rote Fahne oder ein Orthodoxes Kreuz auf dem Obelisken: "Das Entscheidende ist doch, den Toten einen Namen zu geben und ihr Schicksal verstehbar zu machen." Deshalb seien alle an einen Tisch geholt worden. Der Besuch Gaucks kröne diese Bemühungen. "Das ist besonders schön." Der Bundespräsident hat gestern die erste Stele mit 900 Namen enthüllt. Sie sind auf Glas gelasert - eine Arbeit des Unternehmens TGK aus Schloß Holte-Stukenbrock.
André Kuper, CDU-Landtagsabgeordneter: "Erinnerung ist mit dem Namen verbunden. Wichtig ist, dass jetzt die Finanzierung der Dokumentationsstätte sicher ist."
Europa-Abgeordneter Elmar Brok: "Das Gelände erzählt die Geschichte des 20. Jahrhunderts vom Kriegsgefangenenlager über die Befreiung zum Lager für Nazi-Verbrecher zum Sozialwerk, in dem Vertriebene eine neue Heimat fanden, bis zur Polizeischule."
Viel Zeit haben sie nicht, aber die Botschafter lassen sich gern zehn Minuten in den Aufbau des Sowjetischen Ehrenfriedhofs einweisen. Das übernehmen ehrenamtlich vom Förderverein Brigitte und Peter Grundmann, Brigitte Kraatz, Elisabeth Bultmann, Friedhelm Schäffer und Brunhilde Westerhelweg.
Bürgermeister Hubert Erichlandwehr heißt den Bundespräsidenten willkommen bei den Mitarbeitern, "die den Toten einen Namen geben". Der Besuch des Bundespräsidenten sei die höchste Anerkennung für die Arbeit, die Impulse für den wissenschaftlichen und pädagogischen Betrieb gebe. An diesem Ort spielten sich dramatische Szenen von Trauer und Trost ab, wenn Nachfahren zu Besuch kommen. "Für die Vergessenen von Stukenbrock ist das ein motivierendes Zeichen."
Kommentar
Kleine Stadt, großartige Erinnerungskultur - und das vielen Schwierigkeiten zum Trotz. Vor zwei Jahren hatten der Vorsitzende des Fördervereins Dokumentationsstätte Stalag 326, Manfred Büngener, Ehrenvorsitzender Werner Busch und der Historiker Oliver Nickel die Reißleine gezogen. Ohne finanzielle Unterstützung gehe es nicht weiter. Heute sieht das anders aus, spätestens mit dem Besuch des Bundespräsidenten lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Joachim Gauck erwähnte alle, die ihren Anteil haben, "Blumen für Stukenbrock", den Förderverein der Dokumentationsstätte Stalag und andere Ehrenamtliche. Und das ist wichtig: dass Angehörige von Opfern, die nach Spuren der Erinnerung suchen, liebevoll betreut und begleitet werden.
Monika Schönfeld
Bildunterschrift: Bundespräsident Joachim Gauck mit Lev Frankfurt inmitten der Gymnasiasten und ihrer Lehrer, die sich mit dem Anne-Frank-Projekt und dem Stalag 326 beschäftigen.
Bildunterschrift: Schulleiterin Marion Blome begrüßt Lev Frankfurt, der mit dem Schriftsteller Christoph Ernst (hinten) und Bundespräsident Joachim Gauck (rechts) das Engagement der Schüler lobt.
Bildunterschrift: Mitglieder des 3-Schulen-Theaters mit Leiter Demokrat Ramadani, Bernd Gebauer und Egon Henkenjohann von der Stadt (hinten von links).
Bildunterschrift: In der Polizeischule trägt sich Joachim Gauck im Beisein von Bürgermeister Hubert Erichlandwehr ins Goldene Buch der Stadt ein.
SHS@westfalen-blatt.de
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