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Lippische Landes-Zeitung , 06.07.1993 :

Kommentar / Unsolidarisch

Von Manuela Morath-Holdt

Es stimmt nachdenklich, macht betroffen: Kein einziger Spitzenpolitiker hat es am Sonntagnachmittag für notwendig erachtet, am Protestmarsch gegen das Nazi-Zentrum in der Pivitsheider Quellenstraße teilzunehmen. Nicht einmal eine telefonische oder schriftliche Solidaritätsbekundung ist bei den Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen ein Nazi-Zentrum eingegangen. Dass fast gleichzeitig ein Fußballturnier gegen Ausländerfeindlichkeit in der Brunnenstraße stattfand, kann in heutiger Zeit wohl kaum als Entschuldigung für die fast komplette Abwesenheit von Ratsmitgliedern, Bürgermeistern und Verwaltungsspitzen herhalten.

Obwohl der Verdacht besteht, dass Rechtsextreme aus Lippe und Solingen engere Kontakte pflegen, ließ sich in Pivitsheide kein offizieller Repräsentant der Stadt blicken. Statt dessen hat ausgerechnet ein türkischer Arbeitnehmer den Mut aufgebracht, vor der Partei- und Schulungszentrale der verbotenen Nationalistischen Front (NF) eine Rede zu halten. Vor mehreren hundert Demonstrantinnen und Demonstranten rief er nach den Morden an seinen Landsleuten dazu auf, endlich wieder aufeinander zuzugehen. Er appellierte an alle Bürger, das Feuer zu löschen, bevor es zu spät ist.

Es ist schwer nachzuvollziehen, was noch passieren muss, um auch die Politiker "vor Ort" aus der Reserve zu locken. Mitglieder der Bürgerinitiative wurden vor kurzem in der Quellenstraße am hellichten Tag mit Steinen beworfen. Bisher hat sich auch noch niemand schützend vor sie gestellt. Die Verabschiedung von Resolutionen und Diskussionen in sicherer Entfernung reichen zur Eindämmung des Feuers - auch in Detmold - heute nicht mehr aus.


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