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Die Glocke , 24.12.2004 :

Wie feiern Ausländer in Ennigerloh Weihnachten? / Wunsch nach Frieden in Heimat

Ennigerloh (gl). "Mit dem Schulchor haben wir auf dem Weihnachtsmarkt gesungen", berichtet Gajayathiri. Kerzen hat sie auch hergestellt in der Schule, in der Zeit vor Weihnachten. Doch für die Familie ist Weihnachten "ein normaler Tag", wie ihr Vater Thavarajah Vijayabalan sagt. Denn die fünfköpfige Familie ist hinduistischen Glaubens. Seit 1983 herrscht im nördlichen Sri Lanka ein Bürgerkrieg zwischen den "Befreiungstigern von Tamil Eelam" (LTTE) und Regierungstruppen. Auch die Familie Vijayabalan flüchtete aus ihrer Heimatstadt Jaffna im Norden der Insel. Seit 1995 ist der Familienvater in Deutschland, 2000 sind auch seine Frau Sugutha und die älteste Tochter Gajayathiri gefolgt. Sohn Kandipan (4 Jahre) und Tochter Gajalveli (3 Jahre) wurden schon in Deutschland geboren. Seit 2003 leben die Tamilen in Ennigerloh. An eine bestimmte Richtung des Hinduismus glaubt die Familie nicht. "Wir besuchen den Tempel in Hamm", berichtet Thavarajah Vijayabalan von ihrer Glaubenspraxis in Deutschland. Dieser Tempel, der Sri Kamadchi Ampal Tempel, ist der größte Hindu-Tempel in Europa - mit Ausnahme von Großbritannien, denn auf der Insel leben zahlreiche Hindus. Initiiert wurde der Tempelbau von einem Geistlichen aus Sri Lanka, der ebenfalls vor dem Bürgerkrieg geflohen war, fertiggestellt wurde das Bauwerk 2002. Weihnachten feiern sie also nicht, an Silvester werden es aber auch die Vijayabalans krachen lassen: Das neue Jahr wird bei den hinduistischen Tamilen in Sri Lanka mit einem Festessen, Besuchen bei Verwandten und Freunden sowie kleinen Geschenken begrüßt. Ob es in absehbarer Zeit Frieden geben wird in Sri Lanka? Die Familie ist skeptisch. Im Moment herrscht Ungewissheit. 2002 wurde zwar ein Waffenstillstand geschlossen, doch die Friedensverhandlungen stocken. Verwandte der Vijayabalans leben noch immer dort. Und auch wenn die Familie nicht Weihnachten feiert, den Weihnachtswunsch nach Frieden kennt sie ganz besonders gut.

"Das Wichtigste ist, ein guter Mensch zu sein"

Die älteren Kinder besuchen ihre Eltern. Die kleinen Kinder bekommen Süßigkeiten und Geschenke. Es gibt ein leckeres Festessen. Und doch sagt Mustafa Rahimoglu: "Wir feiern kein Weihnachten." Nichts Ungewöhnliches, denn die Rahimoglus sind Muslime - bei den Feierlichkeiten mit Besuchen, Geschenken und Essen handelt es sich um das Zuckerfest am Ende des Ramadan. "Wir besuchen Verwandte", sagt Zahide Rahimoglu. So verbringen sie und ihr Mann Mustafa mit ihren Kindern die Weihnachtsfeiertage. Wenn ihre Ennigerloher Nachbarn Geschenke auspacken, statten sie etwa ihrer Tochter Hülya in Stuttgart einen Besuch ab. Geschenke ausgepackt haben die Rahimoglus dann schon. "In diesem Jahr hatten wir bestimmt 50 Leute zu Besuch", freut sich Mustafa Rahimoglu über das Zuckerfest. Die Töchter Nasan, Hülya und Susanne, Sohn Yüksel, die Schwieger- und Enkelkinder, weitere Verwandte und Freunde - alle kommen sie vorbei. Dann gibt es Reis, Huhn, gefüllte Paprika, Börek und auch viel Kuchen und Süßes. Und das haben sie sich verdient - denn auch die Rahimoglus fasten während des Ramadan grundsätzlich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Allerdings sehen sie das nicht so eng: "Das macht jeder, wie er Lust hat", erklärt der Familienvater. Gläubig sind sie schon, aber Mustafa Rahimoglu sagt auch: "Den Islam zu leben, ist schwer." Inhalte seien wichtiger als das strenge Befolgen von Regeln und Ritualen: "Das Wichtigste ist, ein guter Mensch zu sein", interpretiert Mustafa Rahimoglu den Islam. Und so erklärt er, was das Wichtige am Fastenmonat Ramadan ist: Man gönne dem Körper eine Pause und stärke die Seele, indem man etwa Genussmittel wie Alkohol oder Zigaretten bei Seite schiebe. "Man bemüht sich, auf schlechte Gewohnheiten zu verzichten." Wichtig sei die Idee der Versöhnung: "Es ist schlecht, zu fasten, sich aber nicht zu versöhnen", betont der gläubige Moslem. Außerdem denke man in dieser Zeit an die Armen und helfe ihnen. Schon 1969 beziehungsweise 1970 kamen Mustafa und Zahide Rahimoglu aus Konya in der Türkei nach Deutschland, seit 1978 wohnen sie in Ennigerloh. Ihre Kinder sind alle in Deutschland geboren. In der Drubbelstadt wird etwa die Internationale Begegnungsstätte aufgesucht, um Karten zu spielen oder sich zu unterhalten. Wenn sie die Moschee besuchen, fahren sie nach Neubeckum.

Der Gottesdienst dauert normalerweise sechs Stunden

Ein festliches Gericht gibt es bei Altundags in Ennigerloh zu Weihnachten. Und eines ist auf jeden Fall enthalten: Fleisch. Denn darauf verzichten die syrisch-orthodoxen Christen in der zehntägigen Fastenzeit vor Weihnachten - ebenso wie auf alle anderen tierischen Produkte außer Fisch. Auf eine jahrtausendelange Geschichte blickt das Volk der Aramäer, dem auch die Altundags angehören, zurück. Teile der Bibel wurden im Original auf Aramäisch abgefasst. Aufgrund politischer und religiöser Verfolgung mussten viele Aramäer aus ihrer Heimat fliehen. Luise Altundag kam 1973, Fehmi Altundag 1976 aus Midyat in der Türkei nach Deutschland. Seit 1976 sind die beiden verheiratet. Seit 1982 leben sie in Ennigerloh. Durchhaltevermögen musste man schon beweisen, bei den Weihnachtsgottesdiensten in Midyat: Um etwa ein Uhr traf man sich in der Nacht von Heiligabend auf Weihnachten, die Messe dauerte etwa sechs Stunden. In Ennigerloh feiert die aramäische Gemeinde in der St.-Ludgerus-Kirche - und der Gottesdienst geht über drei Stunden. Weil die Kirche nicht der aramäischen Gemeinde gehört, lassen die Besucher ein Ritual ausfallen: Vor dem Altar wird kein kleines Feuer angezündet, das an das Feuer der Hirten vor Jesu Krippe erinnert. "Nach der Messe fängt die eigentliche Weihnachtszeit an", berichtet der älteste Sohn, David Altundag. Dann gibt es Geschenke und auch einen Tannenbaum. Der allerdings ist ein deutscher Kultur-Import, bei den syrisch-orthodoxen Christen eigentlich nicht bekannt. An den Weihnachtsfeiertagen dann ist man viel unterwegs: Den Verwandten und den anderen Gemeindemitgliedern werden Besuche abgestattet. "Das ist eine nette Geste, um den Leuten zu gratulieren", erläutert David. Und Fehmi Altundag berichtet: Bis zum Dreikönigstag lautet der normale Gruß "Edo bricho" - "Frohes Fest". Nach Schätzungen gibt es etwa eine Million Aramäer auf der Welt, die meisten sind syrisch-orthodoxe Christen. Die Mehrheit lebt in Westeuropa, in Deutschland wohnen etwa 70.000. Christen syrisch-orthodoxer Konfession gibt es weltweit zirka 3,5 Millionen, die meisten leben in Indien, wie Fehmi Altundag berichtet.


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