WebWecker Bielefeld ,
22.12.2004 :
"Wir wollen Probleme lösen"
Am Mittwoch, 22. Dezember, konstituiert sich der neue Migrationsrat der Stadt Bielefeld. Er wurde im November gewählt. Zu den 14 VertreterInnen verschiedener Listen kommen noch sieben Ratsmitglieder: zwei von der CDU, drei von der SPD und jeweils eine Vertreterin der Grünen und der BfB. Der WebWecker Bielefeld sprach mit Yasin Sever. Der Politologe ist zur Zeit Projektmitarbeiter der REGE. Er war im vergangenen Ausländerbeirat stellvertretender Vorsitzender und ist in den neuen Migrationsrat wieder gewählt worden. Er trat bei der Wahl als Kandidat der 'Aktiven Liste' an. Das Gespräch führte Manfred Horn.
WebWecker: Der Migrationsrat hieß bis zur Neuwahl im November Ausländerbeirat. Was hat sich außer dem Namen geändert?
Sever: Es war ursprünglich vom Ausländerbeirat angedacht, den Ausländerbeirat in einen Ausschuss umzuwandeln. Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt aber offenbar noch nicht durchsetzen. Aber man hat sich darauf geeinigt, dass der ehemalige Ausländerbeirat eine politische Aufwertung bekommt. Nun sind auch erstmals sieben Mitglieder der Ratsfraktionen im Migrationsrat, die teilnehmen und stimmberechtigt sind. Wir erhoffen uns dadurch eine engere Zusammenarbeit mit den Parteien und dem Rat. Die Forderungen des Migrationsrates können so besser in den Rat transportiert werden, man arbeitet viel enger zusammen. Eine weitere wichtige Veränderung: Den Ausländerbeirat konnten nur Personen mit ausländischem Pass wählen. Den Migrationsrat können nun auch Migranten wählen, die inzwischen eingebürgert sind. Diese haben immer noch migrantenspezifische Problemlagen.
WebWecker: Was kann der Migrationsrat politisch bewegen?
Sever: Der Migrationsrat hat kein Entscheidungsrecht, er ist ein beratendes Gremium. Man hat aber dennoch Möglichkeiten viele Dinge durchsetzen, wenn man die Themen sachlich und mit Argumenten angeht. In der Vergangenheit ist dies hier und da schon gelungen: Zum Beispiel hat der Migrationsrat sich mit den Parteien zusammengesetzt, um auf eine Veränderung des alten Ausländerbeirats hinzuwirken. Dies war erfolgreich. Oder beim Thema Sprachförderung: Auch da gab es eine Zusammenarbeit mit den Ratsparteien.
WebWecker: Aber dennoch gab es insgesamt zu wenig Kontakt zu den politischen Entscheidern?
Sever: Insgesamt hat uns der Kontakt und die Kommunikation zu den Parteien gefehlt. Wenn einige Ratsmitglieder jetzt bei uns im Migrationsrat sind, sich für etwas einsetzen und mit abstimmen, dann müssen sie es auch in ihrer Partei und im Rat auch vertreten.
WebWecker: Ist der Migrationsrat wichtig?
Sever: Der Migrationsrat in seiner jetzigen Form ist keine Ideallösung. Aber es kommt darauf an, wie er arbeitet: Ist er gut organisiert und versteht sein Handwerk, kann er ein gutes Instrumentarium sein und viel bewegen. Viel hängt von der guten internen Arbeit des Migrationsrates ab. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten bietet der Migrationsrat der zugewanderten Bevölkerung die Möglichkeit, zumindest punktuell am politischen Entscheidungsprozess zu partizipieren.
WebWecker: Was ist das Ideal für Sie?
Sever: Mir schwebt ein Ausschuss für Migrationsfragen vor, der dann auch ein Beschlussrecht hätte. Das ist aber noch ein längerer Weg. Dringend notwendig wäre natürlich auch das kommunale Wahlrecht für Migranten.
WebWecker: Die Wahlbeteiligung war niedrig. Wird der Migrationsrat nicht ernst genommen?
Sever: Verglichen zu der vorangegangenen Wahl haben wir einen leichten Zuwachs gehabt. Aber 10,1 Prozent Beteiligung ist gering. Die Gründe? Man könnte die Migrantenbevölkerung nicht vollkommen überzeugen, dass der Migrationsrat auch etwas bewirken kann. Da hätte sich der Migrationsrat besser darstellen zu können. Einige sind auch grundsätzlich frustriert, weil sie von der Politik nichts erwarten. Aber es fehlt auch an Mitteln, die Wahl publik zu machen und die Menschen zur Wahl zu mobilisieren.
WebWecker: Wie ist denn die Zusammenarbeit im Migrationsrat auf dem Hintergrund, dass sich viele zur Wahl angetretenen Listen ethnisch oder national definieren?
Sever: In der konkreten Arbeit des bisherigen Ausländerbeirats ist das nie zum Tragen gekommen. Wenn es um Sachthemen geht, spielen ethnische Verortungen keine Rolle mehr. Dann haben die Eltern aus Polen oder Marokko die gleichen Probleme wie die türkischen: Alle wollen die Schulerfolge ihrer Kinder verbessern. Wenn man die gleichen Probleme hat und diese thematisiert, beispielsweise auch die hohe Arbeitslosigkeit unter Migranten, dann spielt die Herkunft keine Rolle mehr.
WebWecker: In Deutschland läuft zum wiederholten Mal eine Debatte um Leitkultur, Multikulti und islamische Gefahr. Positioniert sich der Migrationsrat dazu?
Sever: Der Migrationsrat kann zu allen migrantenspezifischen Themen Stellung beziehen. Eine Hauptaufgabe des Migrationsrates ist die Integration der nicht-deutschen Bevölkerung, aber auch Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Migranten abzubauen. Wir haben in Bielefeld seit Jahrzehnten eine große islamische Minderheit. Ich weiß aber von keinen Spannungen in der Vergangenheit. Trotz der ethnischen und kulturellen Heterogenität haben wir in Bielefeld ein sehr positives Klima.
WebWecker: Spätestens seit dem 11. September 2001 sind Islam und Menschen, die islamisch glauben, immer wieder mediales Thema.
Sever: Nach dem 11. September sind einige in die Tendenz verfallen, alle Muslime als Gefahr darzustellen, zu verallgemeinern. Die meisten Muslime haben mit den Geschehnissen aber überhaupt nichts zu tun, werden aber trotzdem dazu gedrängt, sich zu rechtfertigen. Die Debatte kommt eigentlich den Leuten ganz passend, die sowieso schon Vorurteile hatten. Unter dem Deckmantel 11. September werden in dieser Debatte ausländerfeindliche Meinungen frei geäußert und gefährliche Vorurteile geschürt. Es ist schade, dass die ganze Diskussion zudem noch von den Medien emotionalisiert wird.
WebWecker: Bei der Migrationsratwahl ist mir aufgefallen, dass ich nichts weiß über die Listen, die dort angetreten sind. Sie haben für die Aktive Liste kandidiert. Wofür steht diese Liste?
Sever: Die Aktive Liste besteht überwiegend aus türkischstämmigen Kandidaten, von denen fünf Vertreter gewählt wurden. Damit ist die Aktive Liste die stärkste Gruppe im Migrationsrat. Die Aktive Liste wurde von vielen Vereinen unterstützt. Die Kandidaten waren zum Teil Akademiker, Geschäftsleute oder Studenten mit einem breiten Umfeld, die schon länger in der Migrationsarbeit tätig sind. Die ersten vier gewählten Kandidaten waren schon im vorherigen Ausländerbeirat. Wir gehören keiner bestimmten politischen Richtung an. Vielmehr haben sich Personen zusammengesetzt, die denken, dass sie genug Kompetenz und Erfahrung mitbringen, um migrantenspezifische Problemlagen zu erkennen und sie politisch zu formulieren.
WebWecker: Das hört sich nach einer Personenwahl an. Gab es keine Programmpunkte?
Sever: Wir haben kein umfangreiches Programm. Da wir im Migrationsrat keine Entscheidungskompetenz haben, können wir der Bevölkerung auch keine Veränderungen versprechen. Wir können nur versprechen, dass wir uns intensiv um die Lösung ihrer Probleme einsetzen werden. Unsere Ziele sind im Allgemeinen folgende: Verbesserung der politischen Beteiligung von Migranten, zum Beispiel durch ein kommunales Wahlrecht. Verbesserung der Schulerfolge von Migrantenkindern, Verbesserung der Elternarbeit, Schaffung von Antidiskriminierungsmechanismen, Verbesserung der Arbeitsmarktchancen. Laut Statistik ist die Arbeitslosigkeit bei Migranten doppelt so hoch wie bei den Deutschen. Die Migrantenkinder sind auf Haupt- und Sonderschulen überrepräsentiert. Auf Gymnasien und Realschulen ist das Gegenteil der Fall. Wir hören viele Beschwerden von Eltern, dass ihre Kinder in der Schule benachteiligt werden. Dass man sie zu Unrecht auf schlechtere Schulen schickt, ihnen vieles nicht zutraut. Hauptursache der hohen Arbeitslosigkeit bei jungen Migranten ist die vergleichbar schlechte schulische Bildung, die den Übergang von der Schule in den Beruf entscheidend erschwert. Daher müssen wir als politische Vertreter der Migranten vor allem den Kontakt mit den Schulen suchen.
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