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Westfalen-Blatt , 17.01.2015 :

Einsatz für Roma-Familie

Paderborn (WB/ca). Der Flüchtlingsrat Paderborn, der sich als Lobby für Flüchtlinge und Asylsuchende versteht, hat Paderborns Bürgermeister Michael Dreier in einem Offenen Brief gebeten, die geplante Abschiebung einer Roma-Familie nach Serbien (Westfalen-Blatt vom 15. Januar) zu überdenken. Die Familie lebe mit kurzen Unterbrechungen seit elf Jahren in Paderborn. Die Kinder gingen hier zur Schule und seien nach Angaben ihrer Lehrerinnen gut integriert, schrieb Reinhard Borgmeier vom Flüchtlingsrat. "Überhaupt nicht hinzunehmen ist die Situation der behinderten Tochter, für die es in Serbien keine Förderung gibt", heißt es in dem Schreiben. In dieser Zeit, in der so viel über Flüchtlinge diskutiert werde, solle Paderborn "ein Zeichen der Menschlichkeit setzen".

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Neue Westfälische 15 - Paderborn (Kreis), 15.01.2015:

Zwischenruf

"Die Familie ist weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig." In schlimmstem Amtsdeutsch stellt sich die Stadt hinter ihren Rausschmiss für eine Familie, deren Kinder hier aufwachsen. Was soll man dazu sagen.

Seit Monaten, ja Jahren lebt die siebenköpfige Familie in bescheidensten Unterkünften. Trotz ständiger Sorge schaffen es die Eltern, ihre Kinder zu beliebten Mitschülern zu erziehen. Alle Achtung.

Der Vater sucht nach Jobs, hat sogar Angebote. Motiviertere Migranten kann man sich kaum vorstellen. Bekämen sie ihre Chance, sie würden sie nützen.

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Neue Westfälische 15 - Paderborn (Kreis), 15.01.2015:

Familie Selimi bangt um ihre Zukunft / Obwohl der Petitionsausschuss gegen eine Abschiebung plädiert, will die Stadt hart bleiben

Von Hans-Hermann Igges

Paderborn. Erst Krieg, dann Diskriminierung, sogar Gewalt gegen die Mutter: Die serbische Familie Selimi scheint in den letzten 15 Jahren Einiges mitgemacht zu haben. Dreimal kam sie nach Paderborn, beantragte Asyl. Ohne Erfolg. Jetzt sollen Vater, Mutter und fünf Kinder zum dritten Mal "freiwillig" zurück. In das noch vom Krieg kaputte, kleine Haus, das sie am Rande der Stadt Smederevo bei Belgrad zurück gelassen haben. In eine feindselige Atmosphäre.

"Dort beschimpft man uns, weil wir Roma sind und kein Serbisch sprechen, sondern Deutsch", sagt Tochter Mirveta, die mehr als die Hälfte ihres Lebens in Deutschland verbracht hat. Schmähungen waren nicht das Einzige: Ihrer Mutter Mirvet wurde nach Gewalterfahrungen in Serbien von einem deutschen Psychiater eine schwere Traumatisierung attestiert.

Die 17-Jährige Mirveta steht kurz vor ihrem Abschluss an der Paderborner Georg-Schule und weiß, was sie möchte: "Ich will hier bleiben und Kinderkrankenschwester werden", sagt sie. Auch den Zwillingen Senad und Semida (beide 14) werden gute Leistungen bescheinigt. "Die Kinder haben Freunde gefunden und werden von ihren Eltern nach allen Kräften gefördert", sagt Cordula Busse-Mikus, die die Familie gut kennt und Schulsozialarbeiterin ist. An der Hermann-Schmidt-Schule betreut sie die 21-jährige geistig-behinderte Tochter Engrita Selimi. "Für sie gibt es in Serbien keine Chance. Hier könnte sie in den Schlosswerkstätten der Caritas arbeiten", sagt sie.

Cordula Busse-Mikus und Lehrerin Dagmar Gröblinghoff-Mulatsch setzen sich seit Jahren für die Selimis ein, sammelten Unterschriften, wandten sich an den Petitionsausschuss des Landtages. Mit Schulleiter Thomas Bisping wurde beim Innenministerium in Düsseldorf ein Härtefallantrag gestellt. Der wurde zwar abgelehnt, doch der Petitionsausschuss stellte sich gegenüber der abschiebewilligen Stadt Paderborn - Serbien gilt ohne Rücksicht auf die besondere Situation der Roma als "sicheres Herkunftsland" - schriftlich hinter eine weitere Duldung der Selimis: "Es wäre kaum hinzunehmen, die Petenten den mit einer Rückkehr verbundenen Risiken auszusetzen", so der Ausschuss, der dabei die für nächsten Sommer erwartete Gesetzesänderung im Blick, hat, wonach speziell Familien, die schon mindestens vier Jahre in Deutschland als Asylbewerber geduldet wurden, auch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen sollen. Die Selimis bringen es inzwischen sogar auf mehr als zehn Jahre.

"Ausgerechnet die "freiwillige" Ausreise für drei Monate wird negativ ausgelegt"

"Doch ausgerechnet ihre "freiwillige" Ausreise für drei Monate, zu der sie Anfang 2012 von der Stadt gezwungen wurden, soll ihnen jetzt negativ ausgelegt werden", empört sich Rechtsanwalt Gerhard Bauer, der die Familie schon seit 2005 in ihren Asylverfahren vertritt. Deshalb käme Familie Selimi erst im Juli 2016 auf vier Jahre ohne Unterbrechung in Deutschland. "Tatsächlich sind die Kinder in Deutschland aufgewachsen und gut integriert", sagt Bauer, der auch meint: "Ausgerechnet eine Familie, die schon so lange in Paderborn lebt und sich nach Kräften müht, hier Fuß zu fassen, kalt vor die Tür zu setzen, verstehe ich nicht. Mit Aufenthaltserlaubnis könnte die Familie sich eine eigene Wohnung suchen, alle könnten arbeiten und für sich selbst aufkommen."

Doch die Stadt will hart bleiben und rückt nicht von ihrer Ausreiseanordnung zum 21. Januar ab. Sie verwies gestern in einer schriftlichen Stellungnahme darauf, dass der Petitionsausschuss in seiner Empfehlung wohl die dreimonatige Ausreise der Familie 2012 "irrtümlich außer Acht gelassen" habe. "Bei allem Verständnis" eröffne sich für die Stadt "keine gesetzliche Grundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis".

Bildunterschrift: Lächeln trotz ständiger Sorgen: Familie Selimi mit Vater Nedzip und Mutter Mirvet sowie von links den Kindern Senad (14), Engrita (21), Semida (14) und Mirveta (17). Es fehlt die 19-jährige Vaila.

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Neue Westfälische, 15.01.2015:

Familie droht nach zehn Jahren Ausweisung

Paderborn. Obwohl sie seit 1999 insgesamt zehn Jahre in Deutschland lebte, will Paderborn eine siebenköpfige Roma-Familie aus Serbien ausweisen. Auch der Petitionsausschuss des Landtages war für ihre Duldung, da Asylbewerberfamilien bald schon nach vier Jahren in Deutschland bleiben dürfen. Die Familie war allerdings 2012 für drei Monate in Serbien.

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Westfalen-Blatt, 15.01.2015:

Abschieben oder nicht? / Roma-Familie aus Paderborn soll nach Serbien - "Kinder seit Jahren integriert"

Von Christian Althoff

Paderborn (WB). In Paderborn setzen sich Lehrer für eine Roma-Familie ein, die nach Serbien abgeschoben werden soll. "Die Kinder sind seit Jahren integriert, haben Freunde und geben sich richtig Mühe", sagt Schulsozialarbeiterin Cordula Busse-Mikus.

1999 beantragte Familie Selimi in Paderborn Asyl - vergebens. Sie musste ausreisen, kehrte aber zurück. Von den vergangenen 16 Jahren verbrachten die Selimis etwa elf Jahre in Paderborn, und hier wuchsen auch die Kinder auf.

Ihre Hoffnung ist ein besseres Leben. "Ich möchte Kinderkrankenschwester werden. Das könnte ich als Roma in Serbien niemals", sagt Mirveta (17), die in Paderborn zur Hauptschule geht. Das Wort Armutsflüchtlinge - es beschreibt nur die halbe Wahrheit. Zwar hält die Bundesregierung Serbien für ein sicheres Herkunftsland, doch haben Gerichte wie zuletzt im November das Verwaltungsgericht Münster Zweifel daran, dass das auch für Roma gilt.

Die Zustände in Serbien, die einige Gerichte kritisieren - die Selimis haben sie nach eigener Schilderung zuletzt 2012 erlebt, als sie eine Aufforderung des Ausländeramts zur Ausreise befolgten. Tochter Mirveta (17): "Meine Geschwister und ich wurden dort wie Dreck behandelt, weil wir Roma sind und nicht serbisch sprechen." Ihre Mutter Mirvet (43) soll in Serbien Opfer einer Gewalttat geworden sein, über die sie nicht sprechen will. Und: Für Tochter Engrita (21), die geistig behindert ist, habe sich dort keine Schule gefunden, sagt Vater Nedzip Selimi (44). So reiste die Familie nach drei Monaten zurück nach Paderborn - illegal. Arbeiten darf Nedzip Selimi hier nicht. Die Familie lebt von Sozialleistungen, die etwa Hartz IV entsprechen. Kindergeld bekommt sie nicht. Das Ausländeramt hat Vater, Mutter und die fünf Kinder jetzt zur Ausreise aufgefordert und droht für den Weigerungsfall mit einer Abschiebung.

Anwalt Gerhard Bauer aus Lichtenau: "Die Stadt handelt nach Recht und Gesetz. Sie hätte aber auch die Möglichkeit, statt Härte Milde zu zeigen und der Familie ein Bleiberecht einzuräumen." Denn der Petitionsausschuss des Landtags, angerufen von Engritas Lehrerin Dagmar Gröblinghoff-Mulatsch, empfiehlt, die Familie nicht abzuschieben. Der Ausschuss sehe eine Ausreise der Familie mit den Kindern, "die sich in Deutschland schulisch sehr gut entwickelt haben", als "sehr problematisch", heißt es in einem Schreiben des Petitionsausschusses. Er empfiehlt der Stadt, die Änderung des Aufenthaltsgesetzes abzuwarten, die von der Großen Koalition beabsichtigt ist. Danach sollen Familien, die seit mindestens vier Jahren in Deutschland leben und deren Kinder im Unterricht mitmachen, ein Bleiberecht bekommen können.

Im Fall der Familie Selimi lehnt Bürgermeister Michael Dreier ein Entgegenkommen ab. Er verweist darauf, dass die mehrfach illegal eingereiste Familie die vergangenen vier Jahre nicht ununterbrochen in Deutschland gelebt hat. Rechtsanwalt Bauer: "Wäre die Familie 2012 der Aufforderung zur Ausreise nicht gefolgt, sondern in Deutschland untergetaucht, hätte sie jetzt einen Bleibeanspruch. Das kann doch nicht richtig sein!"

Der Anwalt sagte, er bewundere die Eltern, die trotz extremer Enge im Asylbewerberheim dafür sorgten, dass ihre Kinder immer ihre Schularbeiten machten. "Politiker klagen ständig, dass es zu wenig Rentenbeitragszahler gibt. Wir brauchen Kinder wie die Selimis, die integriert sind und lernen wollen."

Zuspruch bekommt die Familie auch aus der Hermann-Schmidt-Förderschule, in der Engrita betreut wird. Lehrerin Dagmar Gröblinghoff-Mulatsch: "Frau Selimi kümmert sich hervorragend um ihre behinderte Tochter und kommt zu allen Elternsprechtagen. Das kann man nicht von allen Eltern sagen."

Rechtsanwalt Bauer: "Ich habe schon hunderte von Asylbewerbern vertreten, aber ich bin noch nie mit einem Fall an die Öffentlichkeit gegangen. Bei Familie Selimi erscheint mir das aber angebracht. Vielleicht überdenkt die Stadt die Sache ja noch einmal."

Bildunterschrift: Schulsozialarbeiterin Cordula Busse-Mikus (l.) und Lehrerin Dagmar Gröblinghoff-Mulatsch (r.) mit Schülerin Engrita.

Bildunterschrift: Anwalt Gerhard Bauer hofft auf die Stadt.

Bildunterschrift: Die Eltern Mirvet (43) und Nedzin Selimi (44) mit ihrer behinderten Tochter Engrita (21, hinten). Vorne Tochter Mirveta (17) und die Zwillinge Senat und Semida (13). Tochter Vaila (18) fehlt auf dem Foto.

17./18.01.2015
wb@westfalen-blatt.de

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