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Neue Westfälische 13 - Löhne und Gohfeld , 31.12.2014 :

Feuerwerksverkauf in Reichsbürger-Räumen / Anbieter Materlik: "Mit Germanitien nichts zu tun"

Von Ulf Hanke

Löhne. Im Minutentakt halten Autos auf dem Parkplatz vor der "Botschaft" des Fantasiestaats "Germanitien". So viel Aufmerksamkeit hatte das Büro der rechtsextremen Reichsbürger von der so genannten Justiz-Opfer-Hilfe in Löhne lange nicht. Der Andrang gilt jedoch nicht den Germaniten oder ihrem neuen Erscheinungsbild als "Freikirche". Seit Montag verkauft der Löhner Klaus Materlik Feuerwerk in den Räumen an der Lübbecker Straße 35 - 39. Das hat sich rumgesprochen. Die Leute stehen Schlange, um günstig Silvesterraketen und Böller einzukaufen.

Materlik weist im Gespräch mit der NW jede Nähe zu den Rechtsextremen weit von sich: "Die machen ihr Geschäft und ich meins", sagte Materlik und betonte: "Ich habe mit Germanitien nichts zu tun."

Bereits im vergangenen Jahr hatte der Frührentner in den Räumen, in denen jetzt die "Freikirche aktive Christen" sitzt, Feuerwerk zu Discountpreisen angeboten. Nun verkauft Materlik in den Räumen des Maschinenverleihs Wachsmuth. "Ich kenne Ralf Wachsmuth seit vielen Jahren", erklärte Materlik. Miete zahle er nicht, man helfe sich stattdessen gegenseitig. Wie das genau läuft, sagte er nicht.

Ralf Wachsmuth ist Inhaber des Bürokomplexes an der Lübbecker Straße 35 - 39, Geschäftsführer der gleichnamigen Maschinenvermietung und außerdem Vorstand der rechtsextremen Justiz-Opfer-Hilfe. Der Gebäudekomplex, ein ehemaliges Autohaus, steht seit längerem unter Zwangsverwaltung.

Mehrere Gläubiger, darunter die Stadt Löhne und das Finanzamt Bünde, fordern Schulden ein. Wachsmuth musste vor einigen Monaten sogar eine Woche in Erzwingungshaft, weil er seine Knöllchen nicht bezahlt hatte. Andere Mieter im Gebäudekomplex, darunter eine Pizzeria und eine Autowerkstatt, müssen seitdem ihre Mieten direkt an den Zwangsverwalter abliefern.

Der Feuerwerksverkauf zwischen den Jahren wird von der Bezirksregierung Detmold kontrolliert. Und die Beamten, die nach Auskunft des Löhner Ordnungsamtsleiters Wolfgang Greinke auch die Verkaufs- und Lagerräume an der Lübbecker Straße in Augenschein nahmen, hatten nichts Wesentliches zu beanstanden.

"Ich habe sogar sechs Feuerlöscher", sagte Materlik, der sich nicht fotografieren lassen wollte. Er sei zwar Ansprechpartner, aber nicht der Anmelder des Feuerwerksverkaufs. "Das hat Fritz Sievers ordnungsgemäß gemacht."

"Auf den letzten Drücker kommen Fernfahrer"

Die Kunden stört das dubiose Umfeld des Feuerwerksverkaufs wenig. Sie schätzen vor allem den Preis. Materlik verkauft Rückläufer aus dem Feuerwerksverkauf des Vorjahrs. Und zwar nur deutsche Markenware von den Firmen Comet und Keller. Für den Löhner Frührentner ist das Geschäft in den letzten Tagen des alten Jahres ein nettes Zubrot. Drei Tage lang hat er von 8 bis 20 Uhr geöffnet. Auch an Silvester. "Auf den letzten Drücker kommen meist Rechtsanwälte, Ärzte und Fernfahrer", sagte Materlik. Diese Berufsgruppen wollen offenbar auf keinen Fall auf Feuerwerk verzichten.

Genauso wenig wie Yvonne und Chantal Stening. Mutter und Tochter aus Wulferdingsen haben sich bereits am Vormittag mit Raketen eingedeckt, die beliebten Batterien sind schon seit Montag ausverkauft. Am Dienstagnachmittag sind die beiden Frauen noch ein zweites Mal zum Feuerwerksverkauf zurückgekehrt, um für ihren Vater und Ehemann einzukaufen. Aufmerksam geworden sind sie durch die großen Plakate an der Fensterfront und über Facebook.

Bildunterschrift: Discount-Raketen: Chantal und Yvonne Stening kaufen Feuerwerk in den Räumen des Maschinenverleihs Wachsmuth ein.

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Neue Westfälische 13 - Löhne und Gohfeld, 24./25.12.2014:

Geschlossen gegen die Justiz-Opfer-Hilfe / Gruppe bezeichnet sich als "Freikirche aktiver Christen" / Löhner Kirchengemeinden distanzieren sich

Von Christina Nahrwold

Löhne. Die in Löhne ansässige Justiz-Opfer-Hilfe (JOH) sorgt erneut für Irritationen. Dieses Mal auch bei den Löhner Kirchengemeinden. Denn neuerdings bezeichnen sich die Germaniten als "Aktive Christen in Deutschland". Das Bürogebäude an der Lübbecker Straße ist seit dem Sommer als "Freikirche aktiver Christen" beschildert. "Wir wollen uns hiermit ausdrücklich gegen Fremdenfeindlichkeit positionieren", sagt Thomas Fründ von der Freikirchlichen Gemeinde Mennighüffen.

Die Vertreter sämtlicher evangelischer, evangelisch-freikirchlicher Gemeinden, die katholische Gemeinde sowie Mitglieder des Bündnis für Vielfalt hatten sich gestern in der Kreuzkirche versammelt, um gemeinsam Stellung zu beziehen und ein Signal der Geschlossenheit auszusenden. "Unsere erste Reaktion war, dem Ganzen keine Beachtung zu schenken", erzählte Pfarrer Peter Außerwinkler. Doch immer mehr Gemeindemitglieder, insbesondere der Freikirchlichen Gemeinden, waren auf die "Aktiven Christen" aufmerksam geworden und wünschten sich Klärung.

Seit dem Sommer ist an der Säule vor der Botschaft Germanitien das Wort "Freikirche" zu lesen, außerdem sei ein Altar mit Kreuz im Gebäude an der Lübbecker Straße eingerichtet. Einige der alten Pamphlete, die laut Bündnis für Vielfalt eindeutig menschenverachtende Propaganda sind, wurden ersetzt durch Bibelverse. "Bislang beschränkten sich die Mitglieder der JOH auf Fehlzitierungen von Paragrafen. Nun werden dazu Bibelstellen und christliche Symbole missbraucht", heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme der Gemeinden und des Bündnis für Vielfalt.

Insbesondere die Gefahr aus dem Internet sei nicht zu unterschätzen, sagte Bündnissprecher Volker Hegemann. Denn die Germaniten betreiben eine eigene Internetseite. Die Inhalte hätten sich laut Enrico Klee, Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde der Kreuzkirche, nicht wesentlich geändert. "Die haben sich nur eine neue Verpackung gegeben", sagte Pfarrer Außerwinkler und versuchten im Netz Anhänger zu ködern - unter dem Deckmantel christlicher Gemeinden.

Sogar einen eigenen "Pastor" und "Missionar" hätten die Germaniten hier berufen. Die Löhner Kirchen waren sich einig: Hier wird christliches Selbstverständnis auf den Kopf gestellt, hier wird Fremdenfeindlichkeit unter dem Deckmantel von Religion verkauft. "So etwas können wir überhaupt nicht gebrauchen, vor allem nicht an Weihnachten. Und auch nicht angesichts der steigenden Zahl der Flüchtlinge", erläuterte Thomas Fründ.

Die Botschaft der Christen sei gerade die Nächstenliebe und dass Gott für alle da sei - ganz im Gegensatz zur JOH, die fremdenfeindliche und antisemitische Hetze betreibe. "Das führt die christliche Botschaft ad absurdum", so Thomas Fründ. Dass Mitglieder der JOH tatsächlich einer christlichen Praxis nachgehen, bezweifeln die Kirchenvertreter. "Die Internetseite ist seit Monaten unverändert", berichtete Volker Hegemann. Unter den Reichsbürgen sei diese religiöse Ausrichtung ein neues Phänomen. "Dass die Germaniten den Glauben für sich entdecken, ist innerhalb der Reichsbürgerbewegung eine ziemlich einmalige Sache", erzählte Fründ.

Antisemitisch und fremdenfeindlich

Zwei Treffen hatten Bündnismitglieder und Vertreter der Löhner Gemeinden zuvor organisiert, gemeinsame Aktionen sind derzeit noch nicht geplant. "Wir wollen jetzt erst einmal die Reaktionen abwarten", so Pfarrer Peter Außerwinkler. Erfreulich ist für das Bündnis für Vielfalt, dass sich die Germaniten in Löhne auf recht dünnem Eis bewegen. "Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich in Löhne Menschen engagieren", sagte der Bündnissprecher.

Bildunterschrift: Beziehen gemeinsam Stellung: Bernd Woker (von oben links), Ramona Kämper, Pastor Enrico Klee, Detlef Wehbrink, Pfarrer Harald Ludewig, Siegfried Liebschner, Pfarrer Hubert Köhler, Volker Hegemann, Dechant Manfred Pollmeier, Pfarrer Uwe Stintmann, Hans Peters, Thomas Fründ, Pfarrer Peter Außerwinkler.

Bildunterschrift: Glaubenssymbole: An den Glasscheiben sind Bibelverse zu lesen, außerdem der Satz "Gott ist hier".

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Löhner Zeitung / Westfalen-Blatt, 24./25.12.2014:

"Altes Gedankengut neu verpackt" / Kirchengemeinden und Bündnis für Vielfalt distanzieren sich von "Freikirche" der so genannten Justiz-Opfer-Hilfe

Von Jaqueline Patzer

Löhne (LZ). Altes Gedankengut in neuer Verpackung: Dass die so genannte Justiz-Opfer-Hilfe in Löhne jetzt als "Freikirche" auftritt und unter dem Deckmantel des Christentums rechtsradikales Gedankengut verbreiten will, lassen sich die Löhner Kirchengemeinden, die Freikirchen und das Bündnis für Vielfalt nicht gefallen. Sie distanzieren sich von dieser Organisation.

Es ist das erste Mal, dass wirklich alle Kirchengemeinden und Freikirchen solch eine gemeinsame Aktion starten. Sie warnen und wollen gemeinsam mit dem Bündnis für Vielfalt darüber aufklären, dass es sich bei der selbst ernannten "Freikirche WAG - Aktive Christen in Deutschland" keineswegs um eine Kirche handelt. "Hier wird christliches Selbstverständnis auf den Kopf gestellt", sind sich die Stellvertreter der Kirchengemeinden und Freikirchen einig. Auch das Bündnis schreibt in einem gemeinsam mit den Kirchen verfassten Statement: "Das Bündnis Gemeinsam für Vielfalt findet, dass die menschenverachtende Propaganda, die von den Germaniten verbreitet wird, mit christlichen Werten nicht vereinbar ist."

Seit 2012 haben die so genannten Reichsbürger an der Lübbecker Straße ein Büro. Das habe sich in letzter Zeit verändert. "Die Pamphlete, die in den Fenstern hingen, sind weg. Jetzt hängen dort Bibelsprüche. Auch ein Altar ist sichtbar", berichtet Peter Außerwinkler, Pfarrer in Löhne-Ort und Vorsitzender des Exegeticums, der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen und katholischen Pfarrer in Löhne. Überschrieben sei alles mit "Freikirche".

"Gott ist für alle Menschen gleichermaßen da."
Thomas Fründ

Daran, dass die Anhänger der so genannten Justiz-Opfer-Hilfe rechtsradikale Positionen vertreten, ließen sie selbst keinen Zweifel. Sie verbreiteten antisemitische Hetze, insbesondere auch gegen Flüchtlinge. "Die politische Ideologie der Reichsbürger-Bewegung, das Bestreiten der Bundesrepublik Deutschland, wird in einem neuen Internetauftritt in ein schein-religiöses Pamphlet verpackt. Anscheinend soll neben der Meinungsfreiheit auch die Religionsfreiheit missbraucht werden", heißt es weiter in dem gemeinsamen Schreiben. Ziel der Organisation sei es weiterhin, Menschen zu verunsichern, um ihre Situation für eigenen Zwecke auszunutzen. Bibelstellen und christliche Symbole würden dazu missbraucht. Einige Vorstandsmitglieder der so genannten Justiz-Opfer-Hilfe bezeichneten sich mittlerweile als Missionar und Pastor - "eine nicht geschützte Berufsgruppe", wie Pfarrer Außerwinkler erklärt. "Gott ist für alle gleichermaßen da. Dies führt die Justiz-Opfer-Hilfe ad absurdum", zeigt sich Thomas Fründ von der Christlichen Gemeinde Mennighüffen verärgert. "Das ist nur eine neue Verpackung." "Es hat lange gedauert, bis viele Leute verstanden haben, dass das Nazis sind", sagt Ramona Kämper vom Bündnis Gemeinsam für Vielfalt. Deshalb hätten sich alle Beteiligten genau überlegt, wie sie gegen die so genannte Justiz-Opfer-Hilfe vorgehen wollen. Der Arbeitskreis wolle nun abwarten, wie sich die Situation weiter entwickele. Doch die Reaktion sei notwendig gewesen, denn Pfarrer Enrico Klee von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde und auch Pfarrer Außerwinkler seien bereits von Gemeindemitgliedern auf "diese neue Kirche" angesprochen worden. "Doch mit denen haben wir nichts zu tun", betonen alle Beteiligten noch einmal unisono. "Das Vorgehen der Justiz-Opfer-Hilfe verstößt massiv gegen unsere Anschauungen von Recht und Sittlichkeit. Wir stehen für eine Gesellschaft des Miteinanders und des Zusammenhalts." Gerade zu Weihnachten ein Statement, das zu unterstreichen sei.

Bildunterschrift: Sie distanzieren sich von der "Freikirche" der "Justiz-Opfer-Hilfe": Bernd Woker (stehend, von links, Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde), Ramona Kämper (Bündnis), Enrico Klee (Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde), Detlef Wehbrink (Lighthouse Adventgemeinde), Harald Ludewig (Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Gohfeld), Siegfried Liebschner (Christliche Gemeinde Mennighüffen), Hubert Köhler (Eduard-Kuhlo-Heim), Volker Hegemann (sitzend, von links, Bündnis), Manfred Pollmeier (Römisch-Katholische Gemeinde St. Laurentius), Eckhart Teismann (Evangelisch-Lutherische Kirchengem. Gohfeld), Hans Peter (sitzend, von links, Freie Evangelische Christengemeinde), Thomas Fründ (Christliche Gemeinde Mennighüffen) und Peter Außerwinkler (Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Löhne-Ort).

31.12.2014/01.01.2015
loehne@nw.de

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