WebWecker Bielefeld ,
15.12.2004 :
Kleider machen Leute
Von Manfred Horn
Die Grünen in Bielefeld feierten am vergangenen Freitag ihr 25-jähriges Jubiläum. Ein Vierteljahrhundert, das die Grün-Bewegten geprägt haben, aber auch ein langes Stück Zeit, das nicht spurlos an den Grünen vorbei gegegangen ist.
Es ist schon viel geschrieben worden über den Wandel der Grünen im Laufe dieser 25 Jahre: Von einer Partei, die sich aus sozialen und vor allem ökologischen Bewegungen speiste, die anders sein wollte und die Sonnenblume in den Bundestag brachte. Von Fundamentalisten und Realos. Vergangene Konflikte, die die Partei heute nicht mehr prägen. Heute regieren die Grünen vielerorts mit, nicht zuletzt seit 1998 in der Bundesregierung. Die Parteitage sind friedlich geworden, und weitestgehend strickfreie Zone.
Die Grünen in Bielefeld hatten einen typischen grünen Start: Am Anfang stand nicht die Parteigründung, sondern eine Vielzahl von Gruppen und Listen. In Bielefeld war es die 'Bunte Liste', die sich unter anderem gegen den Bau des Ostwestfalen-Damms, für gesunde Ernährung, gegen Atomkraft und für mehr Rechte für Frauen aussprach. Die Liste kam im Februar 1979 zusammen, um zu überlegen, ob an den Kommunalwahlen im September teilgenommen werden solle. Es wurde, und die 'Bunte Liste' erreichte 5,8 Prozent und vier Sitze im Stadtrat, eine kleine Revolution im Rat, der bis dato über zweieinhalb Jahrzehnte aus SPD, CDU und FDP bestand.
Frischer Wind und rote Turnhose
Die Grünen sorgten für frischen Wind – in dem sie Themen der Bürgerbewegungen aufs parlamentarische Parkett brachten. Ihr Äußeres wirkte auf viele der anderen Ratsherren und wenigen Ratsfrauen provozierend: Lange Haare und manchmal, wie im Fall des ersten grünen Fraktionssprechers Reinhard Krämer, eine kurze rote Turnhose, mit der er an einer Sitzung des Finanzausschusses teilnahm. Wahrscheinlich war es heiß, oder Krämer kam gerade von der Arbeit aus dem Kollektiv-Schrebergarten oder es war gerade Fußballeuropameisterschaft. Wer weiß das heute noch – jedenfalls wurde er wegen eines Verstoßes gegen die Würde des Gremiums des Saales verwiesen.
Die Grünen gab es parallel ab 1980 – und es gab lange Diskussionen bis tief in die Nächte mit der 'Bunten Liste' über eine Fusion. Zur nächsten Kommunalwahl 1984 war es dann soweit: 'Die Grünen/Bunte Liste' traten zur Wahl an. In diese Zeit fiel auch der Giftmüllskandal in Brake, und die Grünen erreichten sensationelle 13,2 Prozent, neun Sitze im Rat. Spätestens da war den anderen Parteien klar: Die Grünen sind keine kurzzeitige Erscheinung.
Mit dem Ende der DDR wurde auch die Bunte Liste aus dem Namen gestrichen und das Bündnis 90 aufgenommen. Kommunalpolitisch war die Zeit von 1989 bis 1994 insofern interessant, als dass erstmals seit Jahrzehnten die CDU den Oberbürgermeister stellte. Mit der 'Bürgergemeinschaft für Bielefeld' trat eine weitere, lokale Partei, auf den Plan, und koalierte mit der CDU.
Die Themen der Zeit: Der Bau und die Eröffnung der Stadthalle, damals stark umstritten und von einer Protestbewegung begleitet, die das Großprojekt verhindern wollte. Auch das Sieker Loch tat sich damals in seinen Anfängen auf. Es war weiter die Stadtumgestaltung, die für viel Unruhe in der Stadt sorgte. Aber auch damals schon liefen die ersten Sparrunden, so wurden bereits im Haushalt 1992/1993 erste Kürzungen im Sozialbereich beschlossen, was die grüne Opposition zu verhindern versuchte.
U-Bahn bauen zusammen mit der SPD
1994 war es dann soweit: Die Grünen erhielten 12,5 Prozent bei der Kommunalwahl, erhielten acht Sitze und gingen mit der SPD eine Koalition ein. Die Folge: Erstmals gab es einen türkeistämmigen Bürgermeister, Wolfgang Du Bois wurde Umweltdezernent. Die Kunsthalle wurde in den folgenden Jahren bis 1999 umbenannt, sie trägt seitdem nicht mehr den Zusatz 'Richard Kaselowsky', weil der ehemalige Oetker-Chef offensichtlich in den Nationalsozialismus involviert war. Die Unilinie wurde gebaut, eine neue Einrichtung für Drogenabhängige eröffnet. Mit der rot-grünen Zusammenarbeit war es dann kurz vor der nächsten Kommunalwahl 1999 vorbei. Die Wahl gewann dann auch die CDU, Eberhard David wurde, wie bereits von 1989 bis 1994, Oberbürgermeister. Die Grünen waren zurück in der Opposition. Ein Zustand, der sich bei den Wahlen 2004 wieder änderte: Im Rat herrscht gegenwärtig eine offene Situation, da klare Mehrheiten fehlen. Aber zusammen mit der SPD und einer der kleineren Parteien wie Bürgernähe, PDS oder BfB können die Grünen wieder Mehrheiten herstellen.
"Bitte sagen Sie jetzt nichts!"
Heute sind die Grünen etabliert. Bei der Festveranstaltung im Alten Rathaus wurde denn auch Oberbürgermeister Eberhard David geladen, um auf der grünen Baustelle warme Worte zu sprechen. Bei allen Gegensätzen hätten die Grünen in den Auseinandersetzungen "nie die gebotene Fairness vermissen lassen", erklärte David. Die grünen Themen von vor 25 Jahren, sie gehörten längst zu den anerkannten Themen der Gegenwart. Im politischen Alltag habe sich die damals noch neue Partei unbequem, kompromisslos und "immer bis zur Schmerzgrenze" engagiert. "Bei mancher Wortmeldung im Rat habe ich als Vorsitzender manchmal, frei nach Loriot, gedacht: Bitte sagen Sie jetzt nichts."
Die Grünen seien erwachsen geworden "manche behaupten sogar etwas gesetzt", hätte trotz Rotation und ausgeprägter Streitkultur zumindest in den ersten Jahren politisch überlebt. David ging auch noch mal auf die rote Turnhose des ersten grünen Fraktionssprechers Krämer ein: "Gespart werden musste auf kommunaler Ebene auch schon damals, im Jahr 1979, aber bitte nicht beim Beinkleid." David konstatierte einen langen Marsch durch die Kleiderordnung, von den berühmten Turnschuhen des damaligen hessischen Umweltministers Fischer bis zu Armani: "Ein langer Lauf zu sich selbst."
Die rund 300 BesucherInnen im Alten Rathaus jubelten dem Laudator David zu, der tapfer vom grün-alternativ geschmückten Rednerpult sprach. Ebenso willkommen mit einer analytischen Betrachtung von Wirtschaft und Umwelt und der Avantgarde-Funktion der Grünen war der Festredner Karl Fordermann vom Bielefelder 'Industrie- und Handelsclub'. Ein Beleg dafür, wie interessant grüne Positionen inzwischen auch für die Wirtschaft sind.
Alte Kisten auf dem Dachboden geplündert
Keine Feier ohne Event: Glänzender Höhepunkt war die grüne Modenschau. Was trug der Grüne und die Grüne vor 25 Jahren? Die Abgeordneten kramten auf dem Dachboden, und siehe da, es kam einiges zum Vorschein. Christian Presch, Geschäftsführer des Gebraucht-Kaufhauses 'Brings und Kauf', Nicht-Mitglied der Grünen, aber erfahrener Moderator, führte durch die Gala.
Vom zweiten Stock des Rathauses schwebten da allerlei Kuriositäten die Treppe herab: Der stellvertretende Ministerpräsident Michael Vesper, 1979 sachkundiger Bürger im Bauausschuss der Stadt, repräsentierte eine Kreuzung aus Prolet mit Pulle Bier und Öko mit passendem Lammfell. Britta Hasselmann, heute Landesvorstandssprecherin, hatte ihren demoerprobten Ostfriesennerz wieder herausgeholt, der gegen Wind, Wetter und Wasserwerfer schützen sollte. Klaus Rees, heute Geschäftsführer der Grünen im Rat, kam mit Palästinenser-Tuch, Lederjacke und Demohelm.
Die Modenschau bewegte sich dann auf die Gegenwart zu: Aus Schlabberlock und lila Hosen samt Strickutensilien wurden Jacketts, die mit Jeans kombiniert wurden. Das vorläufige Finale: Edler Zwirn mit Schlips und Kragen, ganz ohne Sticker, im besten Fall noch mit Aids-Schleife. Und die Zukunft? Sie wurde an Matthias Bolte sichtbar, seit kurzem in der grünen Ratsfraktion und jüngstes Mitglied des Rates: Er bekleidet sich lässig, ob geschichtsbewusst oder rein ästhetisch Neigungen folgend sei dahingestellt, mit einer Symbiose: Dazu gehören Jeans, Jackett und Ballonmütze. So stellen sich die Grünen wohl auch ihre Zukunft vor: Nicht abgeschnitten von der eigenen Geschichte, aber mit dem Blick nach vorne.
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