Mindener Tageblatt ,
14.12.2004 :
Reise nach Jerusalem: Vom Alltag in der Stadt / Mitten im Zentrum der Weltreligionen / Jan Thomas Otte aus Porta Westfalica lebt und arbeitet für ein halbes Jahr in Israel
Jan Thomas Otte aus Porta Westfalica, ehemaliger Mitarbeiter in der Jungen Redaktion des MT, lebt und arbeitet zurzeit für ein halbes Jahr im Johanniterhospiz in der Altstadt Jerusalems. Als Volontär lernt er den Alltag einer ungewöhnlichen Stadt kennen – und hautnah den angespannten Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis.
Von Jan Thomas Otte, per e-mail aus Jerusalem
Jerusalem/Porta Westfalica (JR). "Wie kannst du bloß nach Israel fliegen?", lautet die Frage, die mir vorher oft gestellt wurde. Viele Freunde und Bekannte haben das nicht verstanden. Hass, Gewalt und Terroranschläge – durch die Medien im Ausland weit verbreitet.
Zugegeben, es gibt weit aus beliebtere Reiseziele als das Heilige Land. Aber wohl kaum ein Ort ist so voller Missverständnisse und Konflikte, wie hier in Israel und Palästina. Das hat mich herausgefordert, unsere Weltreligionen verstehen zu lernen und Einblicke in die verwirrende Politik dieses Landes zu bekommen.
Was ist mein Job? In meinem Dienst erledige ich viele klassische Hausarbeiten: Putzen, Kochen, Einkäufe, Wäsche. Nach Feierabend bleibt noch Zeit zum Arabischlernen und Freundetreffen. Während meiner freien Tage bin ich oft unterwegs. Viel in den palästinensischen Gebieten, dem Westjordanland, wo ich mit Leuten vor Ort spreche. Besuche an Unis – egal ob Ramallah oder Haifa, arabisch oder israelisch. Bei dem verstorbenen Palästinenserführer Yassir Arafat oder Vertretern der israelischen Regierung. Die verschiedenen Meinungen und Schicksale interessieren mich. Das sorgt in Diskussionen immer für genug Sprengstoff.
"Fühlst du dich auch wirklich sicher?", sind so manche Bedenken von zu Hause. Fast jeden Tag gibt es schlechte Nachrichten von Terror und Gewalt – wovon vieles im Gazastreifen passiert aber auch in Flüchtlingslagern in Nablus und Jenin. Meine Entscheidung war jedoch: "Entweder ich lebe hier, oder ich lasse es bleiben." Also denke ich nicht über jeden Bus nach, in den ich einsteige, lebe nicht in der ständigen Angst, in Menschenmassen ums Leben zu kommen. Mit Sicherheit ist das naiv, aber viele fühlen sich in Israel sicher.
Oft lese ich die aktuellen Ereignisse erst in der Zeitung am nächsten Tag und bekomme dann endlich mit, was gestern für ein Anschlag geschah. So klein ist die Welt hier doch nicht. Im Alltag ist mir noch nie so viel Militärpräsenz begegnet. Noch nie habe ich so viele Waffen auf offener Straße gesehen. Das Militär besteht übrigens auch aus Frauen, die für zwei statt drei Jahre verpflichtet werden. Da kommt es schon mal vor, einer jungen Israelin in Uniform mit Maschinengewehr und pinkem Handtäschchen zu begegnen.
Natürlich reise ich auch mal gerne als Tourist – zusammen mit anderen Volontären oder Landsleuten – durch Israel und erlebe die vielseitige Natur des Landes – von dem Mount Hermon im Norden bis hinunter nach Eilat ans Rote Meer. Im Winter kann man nach dem Ski fahren und acht Stunden Autofahrt in kristallklarem Wasser schnorcheln gehen. Und da wären noch das Tote Meer, auf dem Zeitung lesen nichts ungewohntes ist und die vielen Strände am Mittelmeer, die zum Baden einladen. Es gibt eine Menge zu sehen.
"Jerusalem prays, Tel Aviv plays und Haifa pays" meinen manche Israelis. Da ist was dran. In Jerusalem treffen jeden Tag Gläubige aller drei großen Weltreligionen zusammen. Tel Aviv steht ein für leichtes Partyleben und Szenekultur. Und Haifa mit seinem großen Hafen ist die Industriestadt Israels schlechthin.
Zurück in die Altstadt. Beim Gang durch die engen Gassen begegnen mir täglich Moslems, Juden und orientalische Christen. Ein buntes Bild, in welches sich – trotz angespannter Lage – immer wieder Pilgergruppen aus aller Welt reinmischen. Heilige Orte wie Grabeskirche, Klagemauer und Tempelberg sind starke Magnete für Touristen und erfreuen sich allgemeinem Interesse.
Als deutscher Volontär habe ich natürlich auch Kontakt zu den anderen deutschsprachigen Kollegen, überwiegend aus dem Deutschen Verein vom Heiligen Land in Köln. Viele junge Leute aus Deutschland machen hier ihren Zivildienst, zum Beispiel bei Aktion Sühne- und Friedensdienste (ASF).
Das Johanniterhospiz in Jerusalem gehört zum Johanniterorden und ist ein christliches Gästehaus für Pilger und Touristen.
mt@mt-online.de
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