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Paderborner Kreiszeitung /Neue Westfälische , 22.01.1991 :

Paderborner Gruppen zu Gegenmaßnahmen entschlossen / Anwohner zunehmend in Sorge: FAP-Zentrum an Nordstraße?

Paderborn (keer). Wird die Paderborner Nordstraße zum dritten Nazi-Zentrum in Oststwestfalen? Nach der Bielefelder Bleichstraße und dem Detmolder Zentrum Pivitsheide sprechen Kenner der Paderborner Szene jetzt von der Nordstraße als im Aufbau begriffenes Zentrum der FAP (Freiheitliche Arbeiter Partei). Belegt werden diese Vermutungen durch folgende Geschehnisse: In zunehmendem Maße werden dort vor allem Asylanten und andere ausländische Mitbürger von Skinheads oder auch auf den ersten Blick unauffällig Wirkenden attackiert. So wurde erst kürzlich ein Iraner mit einer Eisenstange ins Gesicht geschlagen, nur knapp konnte er sich in eine nahegelegene Gaststätte retten. Schon häufiger mussten sich ähnlich verprügelte Menschen in Paderborner Krankenhäusern behandeln lassen, berichten Nachbarn. Ein Bewohner geht nur noch mit Gaspistole vor die Haustür, eine Nachbarin hat Angst, ihren Hund abends in der Dunkelheit "Gassi" zu führen. Besonders hart betroffen sind die im alten Straßenbahndepot untergebrachten Asylsuchenden. Erst am Wochenende kam es, wie gestern berichtet, zu Auseinandersetzungen zwischen Skinheads und Besuchern der nicht weit entfernten Gaststätte "Treibhaus". Die 14 von der Polizei vorläufig festgenommenen Skinheads, die mit Bassballschlägern und Axtstielen und einer Schreckschußpistole bewaffnet waren, wurden nach erkennungsdienstlicher Behandlung wieder auf freien Fuß gesetzt.

Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und Mitgliedern der Freiheitlichen Arbeiter Partei (FAP) wird in Paderborn von vielen Gruppen und Einzelpersonen seit langer Zeit vermutet, darunter die Jusos, Anlieger und Mitglieder der nahen gelegenen katholischen St.-HeinrichsGemeinde. Die FAP ist im Verfassungsschutzbericht für das Land Nordrhein-Westfalen als neonazistisch und der Hitler-Ideologie verpflichtet eingestuft. Ihre Anhängerschaft verfolge weiterhin das Ziel, die NSDAP wieder zu gründen, heißt es in diesem Bericht.

Eine zunehmende Gefahrenquelle für die Nordstraße und die Umgebung sehen nicht nur die Jusos, sondern auch der Pfarrer der Heinrichskirctie, Karl-Heinz Brinkmann. Denn, wie von mehreren Anwohnern berichtet wurde, haben sich in der Nordstraße führende Mitglieder der FAP eingenistet und sorgen nun durch Skinheads und Schlägertrupps aus Detmold und Bielefeld für Angst unter den Anwohnern. Diese Angst kommt nicht von ungefähr, denn auch Thomas Brehl, der derzeitige FAP-"Gauleiter" für Ostwestfalen ist postalisch in der Nordstraße gemeldet. Auch Michael Kühnen, eine der maßgeblichen Figuren aus dem engeren Führungskreis der FAP, hatte bereits einen Wohnsitz in Paderborn.

Mögliche Ursachen für das Wiederaufleben des Rechtsextremismus, nicht nur in Paderborn, sondern im gesamten Bundesgebiet sieht ein Mitarbeiter der evangelischen Jugend vor allem in einer Orientierungslosigkeit bei Jugendlichen, der Suche nach Werten, nach einem neuen "starken Mann". Genau diese Werte würden von extremen Rechtsparteien wie der FAP vermittelt.

Er spricht von einem Strategiewandel bei den Neonazis: "Früher wurde versucht, die Leute mit billigem Bier, wie etwa in Paderborn im Drosselstübchen, zu ködern. Heute läuft das mehr über die intellektuelle Schiene, oder, indirekt, durch Angstmachen wie in der Nordstraße."

Dies bestätigt auch der Verfassungsschutzbericht, der berichtet, dass "Neonazis bemüht sind, sich und der Partei ein für die Wähler akzeptables Erscheinungsbild zu geben". "Wehret den Anfängen", meint Pfarrer Brinkmann zu diesem Problem.

Dieser Meinung ist wohl auch der Jugendwohlfahrtsausschuss (jetzt Jugendhilfeausschuss) des Paderborner Rates gewesen, als er folgende Resolution verabschiedete: "Der Jugendwohlfahrtsausschuss der Stadt Paderborn erkennt die Entwicklung der rechtsextremistischen Bestrebungen, demokratische Strukturen durch autoritäre und totalitäre Staatsformen verändern zu wollen."

Seit diese rechtsextremen Kräfte in Paderborn immer aktiver und auffälliger werden, werden immer mehr Forderungen, vor allem von Anwohnern der Nordstraße, nach breitangelegten Gegenmaßnahmen von offizieller Seite laut. Die Kripo beispielsweise fährt verstärkt Streife, was aber, so eine Nachbarin, "nicht ausreicht".

Der Jugendwohtfahrtsausschuss dazu in der schon erwähnten Resolution: "Das Jugendamt wird diesem Trend besondere Aufmerksamkeit widmen und gemeinsam mit Vereinen, Verbänden und Initiativen im Rahmen von Veranstaltungen und Fortbildungen junge Menschen befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen. Dazu tragen auch gemeinsame Veranstaltungen mit ausländischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen bei."

Genau das möchte auch die evangelische Jugend, denn, so ein Sprecher, "es sind die persönlichen Kontakte, die Vorurteile abbauen helfen. Und Vorurteile Ausländerinnen und Ausländern gegenüber sind auch ein Nährboden für neonazistische Tendenzen".

Anwohner planen eine Bürgerversammlung, die Jusos, die SPD, die evangelische Jugend und die katholische St.-Heinrichs-Pfarrei würden mitmachen. Auch die Grünen haben Interesse angekündigt. Eine Flugblattaktion in der Nachbarschaft wurde bereits gestartet, denn mehr und mehr fühlen sich die Menschen der Nordstraße bedrängt. Vor allem die Bürgerversammlung, so eine Anwohnerin, "ist nötig, denn diese Unruhen in der Nordstraße gehen alle etwas an. Wir dürfen nicht länger warten."


lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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