Schaumburger Zeitung ,
10.12.2004 :
Blutrichter vollstrecken 80.000 Todesurteile / Ausstellung "Justiz im Nationalsozialismus" kommt / Es geht um das Strafrecht – und seine Folgen
Bückeburg (tw). Rund 80.000 Menschen haben sie bislang gesehen. In elf Städten hat sie bereits Station gemacht. Bückeburg wird die zwölfte sein – und abermals ein Publikumsmagnet werden: Von Mittwoch, 19. Januar, bis Mittwoch, 23. Februar 2005, wird im Landgericht die Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus" gezeigt. "Es geht um alle Facetten des (Fehl-)Verhaltens von Richtern und Staatsanwälten im 'Dritten Reich'; dabei werden wir auch in Bückeburg lokale Bezüge herstellen", sagt Wilfried Knauer. Der Leiter der Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel ist im Niedersächsischen Staatsarchiv auf "Material gestoßen, wie ich es in meiner ganzen Tätigkeit noch nie zuvor gefunden habe".
Zwar: "Die Justiz in der Residenzstadt hat keine große Nazi-Vergangenheit", räumt Friedrich von Oertzen, Hausherr und Präsident des Landgerichts ein. "Aber Biografien der Beteiligten sind durch Tagebücher dokumentiert, sprechen – im Wortsinn – Bände."
Wolfenbüttel ist gleichsam Geburtsstätte der Ausstellung, die das Niedersächsische Justizministerium im Jahre 2000 erstmals auf die Reise schickte. Wolfenbüttel aus "gutem" Grund, denn: "Im damaligen Strafgefängnis Wolfenbüttel hatten die Nationalsozialisten 1937 eine von zwei zentralen Hinrichtungsstätten für Norddeutschland errichtet", erinnert der Leiter. Dort – aber natürlich längst nicht nur dort – wurden viele der laut Knauer bis zu 80.000 Todesurteile vollstreckt, die NS-Richter vermeintlich im Namen des Deutschen Volkes verhängten. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum wurden im Italien des faschistischen Waffenbruders Benito Mussolini 80 Menschen exekutiert. Und um den Vergleich, der das ganze Ausmaß des Schreckens zeigt, komplett zu machen: "In den 25 Jahren, die dem 'Dritten Reich'' vorausgingen", weiß Knauer, "wurden in Deutschland nicht mehr als 400 Menschen auf richterliches Geheiß vom Leben zum Tode befördert".
Was in Bückeburg in den knapp fünf Ausstellungswochen dokumentiert wird, ist vor allem das Strafrecht des Systems. Wo es um die Verfolgung von "Schädlingen" der "Volksgemeinschaft" geht, bezieht die Justiz-Schau auch zivilrechtliche Schikanen mit ein. Ein anderes und gleichfalls großes Thema ist das Nichtaufarbeiten der NS-Vergangenheit in der deutschen Justiz nach 1945. Jahre, in denen so genannte Blutrichter ungestraft erneut hohe und höchste Positionen bekleideten – und Recht sprachen.
"Die Justiz-Ausstellung, in Bückeburg von Rechtspfleger Sascha Hupe betreut, wird durch vier hochkarätige Vorträge sowie durch zwei Filmvorführungen ergänzt", blickt von Oertzen in die Zukunft. Gezeigt – und kommentiert – werden "Der Verteidiger hat das Wort" (Deutschland, 1944) und "Das Heimweh des Walerjan Wrobel" (Deutschland, 1990), ein Kinotipp der katholischen Filmkritik. Damit Besucher von so viel geballter Vergangenheit nicht erschlagen werden, sollen Staatsanwälte, Referendare, aber auch Oberstufenschüler durch die Ausstellung führen. Eine Ausstellung, die – neben den Schülern – insbesondere auch die Soldaten der Heeresfliegerwaffenschule ansprechen soll.
"Justiz im Nationalsozialismus" war zuletzt in Hameln zu sehen und wird noch bis 2007 auf Wanderschaft durch Niedersachsen sein.
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