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Neue Westfälische , 09.12.2004 :

Aus Fremden werden Freunde / Ausbildungsprojekt mit deutschen und israelischen Journalisten

Wenn sich Deutsche und Israelis treffen, ist die Stimmung oft beklemmend. Die gemeinsame Geschichte prägt. Die Bertelsmann-Stiftung bringt Journalisten aus beiden Ländern zusammen.

Von Carsten Heil

Tel Aviv/Gütersloh. Als der grauhaarige Mann leise das Sitzungszimmer im israelischen Parlament betritt, ersterben alle Gespräche. Joseph Lapid füllt mit seinem zurückhaltenden, ruhigen Auftreten jeden Raum. Und das nicht allein wegen seiner barocken Figur. Es ist die Persönlichkeit des ehemaligen israelischen Justizministers, die schon beeindruckt, bevor er gesprochen hat.

Deshalb schweigen auch die 26 deutschen und israelischen Journalisten, die an einem Fortbildungsprojekt der Bertelsmann-Stiftung teilnehmen. "Der Holocaust hat noch heute Auswirkungen auf das Leben in Israel", lautet der erste Satz Lapids. Nicht schon wieder über den Mord an Millionen Juden diskutieren, mag mancher Teilnehmer denken. Aber schließlich ist das einer der Gründe, weshalb die Gütersloher Stiftung den Austausch junger Führungskräfte und die Diskussion mit Politikern, Wissenschaftlern und Medienleuten überhaupt veranstaltet. Deutsche und Israelis lernen sich kennen, reden über die gemeinsame schwierige Vergangenheit, den Konflikt im Nahen Osten sowie über das Verhältnis von Medien und Politik. "Die Ereignisse seit dem 11. September, die weltweite Terrorismus-Gefahr und der Krieg im Irak verleihen dem Konflikt im Nahen Osten weitere Brisanz. Umso wichtiger ist die Möglichkeit zu einem offenen Austausch zwischen profilierten Vertretern aus Medien und Politik gerade jetzt", begründet Stephan Vopel, zuständiger Projektleiter der Stiftung, das Projekt.

Joseph Lapid war bis vor wenigen Tagen das einzige Regierungsmitglied in Israel, das selbst die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt hat. Familienmitglieder kamen in Konzentrationslagern um. Dennoch betrachtet der 72-Jährige die Situation sehr differenziert. Befürchtungen, dass er mit seinem ersten Satz eine Tirade an Vorwürfen gegen Deutschland startet, sind unbegründet. Die Deutschen setzten sich in vernünftiger Weise mit ihrer Vergangenheit auseinander, sagt er.

Das sieht der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk ("Der letzte Berliner") anders. Er beklagt, dass die Deutschen die von ihnen ermordeten Juden nicht vermissten. Diese Feststellung löst sofort kontroverse Debatten in der Gruppe aus. Innerhalb des deutschen Teils, aber auch zwischen Deutschen und Israelis. Das Verhältnis zwischen beiden Seiten ist im zweiten Abschnitt des Projektes schon so gut, dass die unterschiedlichen Seiten gar nicht mehr zu erkennen sind. Es argumentieren nicht Deutsche gegen Israelis und umgekehrt.

Ähnliche Erfahrungen hat Projektleiter Stephan Vopel schon zuvor gemacht. Denn es ist das fünfte Mal, dass er eine solch gemischte Gruppe zusammengespannt hat. Mal waren es Künstler und Leute aus der Politik, mal Wirtschaftsvertreter und jetzt eben Journalisten.


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