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Höxtersche Kreiszeitung / Neue Westfälische , 04.12.2004 :

Hart, fordernd, aber menschlich / Selbst beim Krawatte richten braucht der Vorgesetzte die Erlaubnis des Untergebenen

Von Holger Kosab

Höxter. Coesfeld hat den Anfang gemacht. Ahlen, Nienburg und Kempten folgten. Gestern wurde ein Fall in Stuttgart bekannt. Ob damit das Ende der öffentlich gewordenen Misshandlungen in der Bundeswehr erreicht ist oder die Vorwürfe sich zu einem wahren Flächenbrand ausbreiten, wird sich zeigen. Bundes- und vor allem medienweit stellt sich die Frage nach den Ausbildungsmethoden. Auch in der Höxteraner General-Weber-Kaserne.

"Ich gehe davon aus, dass es in Höxter eine ordentliche und vernünftige Ausbildung gibt. Dass aufgrund der aktuellen Situation jeder ganz besonders sensibilisiert ist", sagt Oberstleutnant Withold Pieta. Der 43-Jährige ist Sprecher des für Coesfeld und Höxter zuständigen Heerestruppenkommandos in Koblenz und für insgesamt 26.000 Soldaten. Er stellt heraus: "Jeder Kommandeur und jeder Vorgesetzte ist angewiesen, genau hinzuschauen, wie in seiner Einheit gedrillt und geschult wird."

"Ich halte es für schlimm, was in Coesfeld passiert ist. Allerdings finde ich es genauso fatal, die Bundeswehr damit gleichzusetzen", bezieht Pieta klare Stellung. Was in verschiedenen Formen aufgetreten sei, lässt, so fährt er fort, keine Rückschlüsse auf die Bundeswehr im Allgemeinen zu: "Doch wir können natürlich nicht in die Köpfe aller 12.000 Ausbilder schauen. Wir können nur Ausbilder odentlich ausbilden." Dafür steht eine umfassende Ausbildung an. Unteroffiziere werden an einer Unteroffiziersschule in die Rechte und Pflichten des Vorgesetzten eingewiesen. "Darin enthalten sind Methodik und Didaktik", erklärt Pieta. Auch die "grüne Ausbildung" sei ein Bestandteil. Die fachliche Ausbildung folge an den Truppenschulen.

Da das ABC-Abwehrbataillon 7 zunehmend unter internationaler Flagge weltweit zum Einsatz kommt, wird zusätzlich auf das jeweilige Einsatzland vorbereitet: Sprache, Kultur, Geschichte und politische Hintergründe. Pieta versichert "Schulungen vor dem Einsatz und vor Ort - auch prophylaktisch gegen Phänomene wie Lagerkoller".

Vor allem wegen des schmalen Grates zwischen hartem Körpereinsatz und dem Recht auf menschliche Unversehrtheit gestaltet sich eine Einordnung der allesamt nachträglich bekannt gewordenen Missbrauchsfälle schwer.

In Coesfeld ist die Beweislast wohl erdrückend. Was den Rest betrifft, so besteht die Gefahr des Trittbrettfahrens. Und des potenziell nachträglichen Abrechnens mit ungeliebten Ausbildern. "Schikane hat in der Bundeswehr überhaupt keinen Platz", stellt Pieta klar. "Wir müssen aber hart und fordernd ausbilden, wobei für uns die Achtung der Menschenrechte und die Gesundheit der unterstellten Soldaten das wichtigste Gut sind." Das Entscheidende dabei sei, "trotz der am jeweiligen Einsatzauftrag ausgerichteten Ausbildungsmaßnahmen immer Mensch zu bleiben".

Grundsätzlich ist jede Berührung von Soldaten unzulässig. Fällt einem Vorgesetzten beispielsweise eine unkorrekt gebundene Krawatte auf, so muss dieser sich, wie Pieta mit Nachdruck erläutert, selbst hier mit der festen Formel "Darf ich Sie anfassen?" die Erlaubnis zum Richten einholen. "Sobald wir Dienstverpflichtungen feststellen, werden diese sofort untersucht. Je nach Schwere führt das bis hin zu einem Disziplinarsverfahren", unterstreicht Pieta die Mittel der Bundeswehr: "Sie hat meiner Meinung nach von allen Armeen weltweit die meisten Möglichkeiten, sich bei Ungerechtigkeiten zu wehren. Er ergänzt aber, dass es dabei "nicht um Prinzipienreiterei geht, sondern man jeden Einzelfall im Kontext sehen muss".

Die derzeitige Stimmmung bezeichnet er selbst als "sicherlich nicht förderlich für das Ansehen der Bundeswehr". Inwieweit es dem Ansehen generell schadet, bewertet er diplomatisch: "Das wäre Spekulation." Zudem glaubt er, "dass wir in der Bundesrepublik genügend Menschen haben, die nicht auf die gesamte Bundeswehr rückschließen. So nehme ich die Resonanz auch in meinem privaten Umfeld wahr".

Als ehemals Stellvertretender Batallionskommandeur hat Withold Pieta bis vor eineinhalb Jahren selbst mitausgebildet. Das Entscheidende ist seiner Meinung nach, "Ziele in der richtigen Art und Weise zu vermitteln, damit der Auszubildende interessiert ist und bereit ist, sie aufzunehmen." Wenn schon Ausbilder zu Beginn ihrer Laufbahn in eine falsche Richtung geschult werden, könnte es sonst als Jo-Jo-Effekt zurückschlagen. Mit zwei möglichen Folgen: Pisa in Grün. Und vielen Verfahren.

04./05.12.2004
lok-red.hoexter@neue-westfaelische.de

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