Neue Westfälische ,
03.12.2004 :
Das Schweigen greift um sich / Menschenfeindliche Einstellungen haben Auftrieb
Die Feindseligkeit in Deutschland gegenüber Minderheiten wächst. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer gestern in Berlin vorstellte.
Von unserer Korrespondentin Alexandra Jacobson
Berlin. Die Menschen in Deutschland werden von Angst geplagt. Und sie nehmen mit hoher Sensibilität wahr, dass sich in sozialer Hinsicht die Ungleichheit verschärft. 40 Prozent erwarten eine Verschlechterung ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage. 90,5 Prozent der Deutschen stimmen der Aussage zu, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden.
Dass die Furcht vor Abstieg und Arbeitslosigkeit alles andere als harmlos ist, belegt der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer mit dem dritten Teil seiner Langzeitstudie "Deutsche Zustände". Die eingehende Bevölkerungsbefragung zeigt, dass fremdenfeindliche, rassistische, antisemitische und sexistische Haltungen zunehmen. Heitmeyer: "Die soziale Spaltung wirkt als Verstärker für menschenfeindliche Abwertungen."
Der Bielefelder Professor zieht ein beunruhigendes Fazit: "25 Prozent der Deutschen würden Rechtspopulisten ihre Stimme geben." 60 Prozent sind der Ansicht, dass hierzulande zu viele Ausländer leben. Vor zwei Jahren, 2002, waren es noch 55 Prozent. Und 36 Prozent bejahen eine Forderung, die bisher in der politischen Debatte allein zum Gedankengut der rechtsextremen NPD zählt: Wenn Arbeitsplätze knapp werden, soll man Ausländer wieder zurück in ihre Heimatländer schicken. Der Anstieg der Fremdenfeindlichkeit ist übrigens in der Gruppe der Personen besonders stark, die sich selbst der politischen Mitte zuordnen.
Dass muslimische Kultur nicht in den Westen passt, vertreten mittlerweile fast 70 Prozent der Deutschen. Wobei die Heitmeyer-Studie in krasser Deutlichkeit belegt, dass Fremdenfeindlichkeit überall dort am höchsten ist, wo die wenigsten Ausländer leben. Oder anders herum: Je größer der Ausländer-Anteil in einer Stadt oder einem Landstrich ist, desto weniger rassistisch äußern sich die Befragten. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kommentiert dieses Ergebnis der Studie zutreffend so: "Es geht nicht um den Ausländer, wie er wirklich ist, sondern um ein Bild des Ausländers." Für fremdenfeindliche Haltungen sind Frauen übrigens anfälliger als Männer.
Antijüdische Vorurteile bahnen sich häufig einen Weg über eine Kritik am Staat Israel. "Umwege-Kommunikation" nennt Heitmeyer dieses Phänomen. So stimmen mehr als 50 Prozent einem Vergleich der Politik des Nazi-Regimes gegenüber den Juden mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern zu. Dass sich die Mentalitäten in Deutschland schleichend verändern, macht Heitmeyer vor allem auch an dieser starken Ausbreitung antisemitischer Einstellungen fest.
Sorgen bereitet Heitmeyer „die Schweigespirale". Damit kennzeichnet er das Verhalten von Bürgern, die „gefährlichen Meinungsdominanzen" nicht entschieden entgegentreten. Hier kritisiert Heitmeyer auch besonders das Verhalten der politischen Eliten. „Das Schweigen nimmt zu."
Ein besonders großes Problem sei das im ländlichen Raum. Wo jeder jeden kennt, würden Meinungsführer eher selten kritisiert - selbst wenn sie menschenfeindliche Ansichten verträten. Kritik sei normaler in der Großstadt, wo eine gewisse Anonymität herrsche. Deshalb sei es von besonderer Bedeutung, Initiativen gegen Rechtsextremismus, die zum Beispiel auf dem flachen Land in Sachsen tätig sind, weiterhin politisch, finanziell und organisatorisch zu unterstützen.
Nach Ansicht von Wolfgang Thierse müsse sich jetzt zeigen, ob die Deutschen nur in einer "Schönwetterdemokratie" lebten oder sich Grundwerte auch in schwierigen Zeiten behaupten könnten.
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