Lippische Landes-Zeitung ,
15.08.2014 :
Ein Leben in der Baracke / Die Stadt Oerlinghausen überlegt, die Asylbewerber in der ehemaligen Hellweg-Klinik unterzubringen
Von Karin Prignitz
Das Asylbewerberheim am Stukenbrocker Weg ist heruntergekommen. Als Alternative hat die Stadt die leer stehende Hellweg-Klinik ins Auge gefasst. Damit könnte sie sich einen teuren Neubau sparen.
Oerlinghausen. Seit 1983 leben Asylbewerber in dem unattraktiven Heim in der Nähe des Segelflugplatzes. Wie jüngst bekannt wurde, möchte die Stadt die in ihren Ländern verfolgten oder abgeschobenen Menschen in der ehemaligen Sucht-Klinik unterbringen und damit einen Neubau vermeiden. "Das darf auf gar keinen Fall passieren", meint Christel Uffmann (70) vom Initiativkreis Asyl der ev.-ref. Kirchengemeinde. "Völlig undenkbar. Die Asylbewerber müssen möglichst zentral untergebracht werden." Ansonsten würde ihnen die Möglichkeit genommen, an Sprachkursen teilzunehmen oder einkaufen zu gehen. "Die Buskosten wären viel zu teuer, das ist ein wichtiger Aspekt."
Der städtische Beigeordnete Hans-Jörg Düning-Gast verweist auf die offizielle Rechtslage. Die sehe so aus, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei und Integration deshalb nicht das erste Ziel. Dennoch gehe die Stadt sehr wohl humanitär mit dem Thema um.
Von den aktuell 75 Asylbewerbern, die in Oerlinghausen leben, "sind 45 in Wohnungen untergebracht worden", sagt er. Vor allem Familien. In Sachen Hellweg-Klinik sei noch nichts entschieden. "Das steht noch keineswegs fest, vieles ist denkbar", sagt Düning-Gast. Wenn eine solche Immobilie auf dem Markt sei, müsse man aber überlegen.
Müßig sei es, darüber nachzudenken, dass man schon viel früher hätte in den jetzigen Standort investieren können. "Jetzt haben wir uns klar dafür eingesetzt, dass wir eine vernünftige Unterkunft brauchen." 385.000 Euro für einen Neubau seien in den Haushalt eingestellt worden.
Dass sich etwas ändern muss, sei längst überfällig, meint Beate Schäfermeier. Die Mitinitiatorin des Initiativkreises Asyl hält die jetzige Situation in den heruntergekommenen Gebäuden schon lang für "eine Schande für die Stadt und die Bevölkerung Oerlinghausens". Die seit 1990 existierende Baracke 42 A am Stukenbrocker Weg hat das Gesundheitsamt Ende 2012 stillgelegt. "Der Fußboden war undicht", sagt Hans-Jörg Düning-Gast. Das sei nicht mehr hygienisch gewesen.
Weil alle Plätze belegt sind und die Zahl der Flüchtlinge steigt, wurden sechs Männer aus Pakistan, Bangladesch und Afrika ausquartiert in eine Wohnung in der ehemaligen Conle-Siedlung. Für Christel Uffmann eine gute Lösung. "Die meisten der Wohnblocks stehen doch ohnehin leer." Dali, Bobo, Arslan, Hannan, Barry und Salyau freuen sich, hier leben zu können. "Im Heim waren wir unter uns", sagen sie, "hier begegnen wir auch anderen Menschen". Zwei von ihnen helfen dem Hausmeister des Asylbewerberheims.
Meron (21), Tedros (24) und Bniam (21) zeigen dort ihr etwa zwölf Quadratmeter kleines Zimmer. Ein Hochbett und eine Schlafgelegenheit, ein Stahlschrank mit Schlössern davor, ein Tisch, eine Couch, ein Fernseher. Einen Gemeinschaftsraum gibt es nicht. "Das ist das große Manko", sagt Christel Uffmann. Im Flur stehen Fahrräder, die sie organisiert hat. Regelmäßig fährt sie drei der Männer mit ihrem kleinen Auto zur "Tafel" nach Leopoldshöhe. "Dorthin kämen sie sonst gar nicht."
In der abgenutzten Küche werde allerdings nicht oft gekocht, erzählt Meron. Viele Schicksale treffen im Haus mit der Nummer 42 zusammen. Einige der Bewohner auf Zeit erzählen in gebrochenem Englisch und die, die schon länger da sind, mit ihren bisher erworbenen Deutschkenntnissen von dem, was sie auf ihrer Flucht erlitten haben. Alle vermissen ihre Familien. Ein Bewohner zeigt seine Verlobte auf einem Bild. Eine Arbeitserlaubnis hat er mittlerweile. "Aber einen Job zu finden, ist sehr schwer."
Bildunterschrift: Die Baracke des Asylbewerberheimes: Das mit braunem Holz verkleidete Haus am Stukenbrocker Weg ist in einem bemitleidenswerten Zustand. Die Stadt überlegt, ob die ehemalige Hellweg-Klinik als Unterkunft für die Asylbewerber in Frage kommt.
Bildunterschrift: Spartanisch eingerichtet: Meron, Bniam und Tedros (von links) in ihrem kleinen Zimmer im Asylbewerberheim am Stukenbrocker Weg. Sie bemühen sich, alles sauber und ordentlich zu halten.
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Neue Westfälische 05 - Bielefeld mit Oerlingh., 13.08.2014:
Leben in der Baracke / Asylbewerberzahl steigt / Noch keine Entscheidung über Umzug in Hellweg-Klinik
Von Karin Prignitz
Oerlinghausen. Wer auf dem Stukenbrocker Weg fährt und in Richtung Segelflugplatz abbiegt, hat die umzäunten Baracken in direkter Blickrichtung. Das vordere Gebäude ist mit braungestrichenem Holz verkleidete, daneben stehen zwei Container, an denen der Rost nagt. Ein weiterer Trakt auf dem hinteren Teil des umzäunten Geländes steht ebenso schäbig und verwaist da, wie die Spielgeräte vor ihm. Seit 1983 leben Asylbewerber in dem unattraktiven Heim mit der Nummer 42.
Wie jüngst bekannt wurde, möchte die Stadt die in ihren Ländern verfolgten oder abgeschobenen Menschen in der leerstehenden Hellweg-Klinik unterbringen und damit einen Neubau vermeiden. "Das darf auf gar keinen Fall passieren", meint Christel Uffmann. "Völlig undenkbar."
Die 70-Jährige gehört dem vor gut einem Jahr gegründeten Initiativkreis "Asyl" der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde an und ist mittlerweile fast die einzige, die sich dort regelmäßig ehrenamtlich engagiert. Uffmann sagt: "Die Asylbewerber müssen möglichst zentral untergebracht werden." Ansonsten würde ihnen die Möglichkeit genommen, an Sprachkursen teilzunehmen oder einkaufen zu gehen. "Die Buskosten wären viel zu teuer, das ist ein wichtiger Aspekt."
Ein Spaziergänger mit Hund, der am Heim entlangkommt, meint: "Durch Außenvorschieben nach dem Motto "Aus den Augen, aus dem Sinn" kann man die Menschen nicht integrieren." Die Arbeit in der Südstadtschule sei das beste Beispiel dafür, wie das Miteinander gut gelingen könne. Warum die Asylbewerber nicht an verschiedenen Orten in der Stadt wohnen, fragt sich der Mann, "oder man könnte die leerstehenden Räume über dem Jugendzentrum an der Hermannstraße nutzen". Klar für ihn ist: "Es muss etwas geschehen."
Der städtische Beigeordnete Hans-Jörg Düning-Gast hält dem die offizielle Rechtslage entgegen. Sie sehe so aus, dass Deutschland kein Einwanderungsland und Integration deshalb nicht das erste Ziel sei. Dennoch gehe die Stadt sehr wohl humanitär mit dem Thema um. Von den aktuell 75 Asylbewerbern, die in Oerlinghausen leben, "sind 45 in Wohnungen untergebracht worden". Vor allem Familien. In Sachen Hellweg-Klinik sei noch nichts entschieden. "Das steht noch keineswegs fest, vieles ist denkbar." Wenn eine solche Immobilie auf dem Markt sei, müsse man aber überlegen.
Müßig sei es, darüber nachzudenken, dass man schon viel früher hätte in den jetzigen Standort investieren können. "Jetzt haben wir uns klar dafür eingesetzt, dass wir eine vernünftige Unterkunft brauchen." 385.000 Euro für einen Neubau seien in den Haushalt eingestellt worden.
"Die meisten Wohnblocks stehen doch ohnehin leer"
Dass sich etwas ändern muss, sei längst überfällig, meint Beate Schäfermeier. Die Mitinitiatorin des Initiativkreises "Asyl" hält die jetzige Situation in den heruntergekommenen Gebäuden schon lang für "eine Schande für die Stadt und die Bevölkerung Oerlinghausens". Schon die Einzäunung drum herum sei nicht hinzunehmen.
Die seit dem Jahr 1990 existierende Baracke 42 A ist Ende 2012 stillgelegt worden. Vom Gesundheitsamt. "Der Fußboden war undicht", sagt Hans-Jörg Düning-Gast. Das sei nicht mehr hygienisch gewesen. "Ich habe dort zwölf Jahre gelebt", erzählt Nihal aus Aserbaidschan. "Alles ist kaputt gewesen, hat geschimmelt, eine Katastrophe."
Weil alle Plätze belegt sind und die Zahl der Flüchtlinge steigt, sind derzeit sechs Männer aus Pakistan, Bangladesch und Afrika ausquartiert worden in eine Wohnung in der ehemaligen Conle-Siedlung. Für Christel Uffmann eine gute Lösung. "Die meisten der Wohnblocks stehen doch ohnehin leer." Dali, Bobo, Arslan, Hannan, Barry und Salyau freuen sich, hier leben zu können. "Im Heim waren wir unter uns", sagen sie, "hier begegnen wir auch anderen Menschen". Zwei von ihnen helfen dem Hausmeister des Asylbewerberheims.
Meron (21), Tedros (24) und Bniam (21) zeigen dort ihr etwa zwölf Quadratmeter kleines Zimmer. Ein Hochbett und ein einzelne Schlafgelegenheit, ein Stahlschrank mit Schlössern davor, ein Tisch, eine Couch, ein Fernseher. Einen Gemeinschaftsraum gibt es nicht. "Das ist das große Manko", sagt Christel Uffmann. Im Flur stehen Fahrräder, die sie organisiert hat. Regelmäßig fährt sie drei der Männer außerdem mit ihrem kleinen Auto zur "Tafel" nach Leopoldshöhe. "Dorthin kämen sie sonst gar nicht."
In der abgenutzten Küche werde allerdings nicht oft gekocht, erzählt Meron. Viele Schicksale treffen im Haus mit der Nummer 42 zusammen. Einige der Bewohner auf Zeit erzählen in gebrochenem Englisch, die, die schon länger da sind, mit den bisher erworbenen Deutschkenntnissen von dem, was sie auf ihrer Flucht erlitten haben. Alle vermissen ihre Familien. Ein Bewohner zeigt seine Verlobte auf einem Bild. Eine Arbeitserlaubnis hat er mittlerweile, "aber einen Job zu finden, das ist sehr schwer".
Info / Belegung
Am Stukenbrocker Weg leben derzeit 23 junge Männer in acht Zimmern. Die meisten wohnen zu dritt in einem Raum.
Weitere sechs Plätze gibt es am Kopphof in Helpup. Dort lebt derzeit auch eine Familie.
Die Asylbewerber am Stukenbrocker Weg erhalten 329 Euro monatlich.
Die Asylsuchenden, die in der Wohnung der ehemaligen Conle-Siedlung leben, bekommen 362 Euro - inklusive Stromkostenzuschuss.
Bildunterschrift: Spartanisch eingerichtet: Meron, Bniam und Tedros (v. l.) in dem kleinen Zimmer, in dem ein Hochbett, eine weitere Schlafgelegenheit, eine Couch, ein Tisch mit Stuhl und ein Stahlschrank mit Schlössern davor steht. Die Männer bemühen sich, alles sauber und ordentlich zu halten.
Bildunterschrift: Die Baracke: Das mit braunem Holz verkleidete Haus mit der Nummer 42 am Stukenbrocker Weg ist in einem bemitleidenswerten Zustand. Davor steht ein Wäscheständer, auf dem Kleidung trocknet.
Bildunterschrift: Kümmert sich: Christel Uffmann ist seit gut einem Jahr Ansprechpartnerin.
Kommentar / Unterbringung der Asylanten in Oerlinghausen / Ein Schandfleck
Karin Prignitz
Seit gut 30 Jahren ist die braune Holzbaracke am Stukenbrocker Weg Symbol dafür, dass Menschen aus Afrika, Pakistan, Syrien, vom Balkan oder in welchen Krisengebieten sie sonst auf der Welt leben, verfolgt, gefoltert oder abgeschoben werden. Viele von ihnen haben Unvorstellbares durchgemacht, um der Gewalt zu entfliehen. Auch in Oerlinghausen haben sie Zuflucht gefunden. Eine sichere Unterkunft, aber auch einen Ort, den die Stadt schlichtweg hat verkommen lassen. Seit Jahrzehnten gibt die umzäunte Unterkunft ein jämmerliches Bild ab - ein Bild zum Fremdschämen. Ein Schandfleck. Nach so langer Zeit zu erkennen, dass die Baracken- und Containerlösung nicht von Dauer sein kann und eine vernünftige Unterkunft her muss, zu dieser Erkenntnis hätte man schon vor dem Containerbau im Jahr 1990 kommen können.
Ob es eine kluge Lösung ist, Asylbewerber weit weg am Rand der Stadt unterzubringen, darüber sollte dieses Mal frühzeitig nachgedacht werden.
kap@neue-westfaelische.de
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