WebWecker Bielefeld ,
01.12.2004 :
Absurdes Theater um soziale Kälte
Am vergangenen Donnerstag erlebte die Regional Entwicklungsgesellschaft (REGe) ihr "Blaues Wunder". Eine Gruppe dieses Namens überreichte ihr im Rahmen einer "Dankbarkeitsbekundung" einen Kühlschrank als Symbol für soziale Kälte, die nach Meinung der Demonstranten auch durch die REGe und ihre 1-Euro-Jobs gefördert wird. Die Übergabe des Preises mit kabarettistischen Elementen zog ein eher absurdes Theater nach sich.
Von Mario A. Sarcletti
Etwa dreißig frierende Menschen haben sich am Donnerstag am Jahnplatz versammelt, um einen Festakt zu begehen. Der REGe wollen sie dafür "Dank sagen", dass "die sich unschätzbar um die Arbeitsbereitschaft und moralische Stärkung der Bielefelder SozialhilfeempfängerInnen verdient gemacht hat". Einige Demonstranten halten herzförmige Schilder hoch, "We love REGE" lautet ihre Botschaft. Einige Polizeibeamte in Uniform beobachten die Gruppe, ihre Kollegen in Zivil umkreisen die Kundgebung mit Knopf im Ohr.
Im Mittelpunkt der Aktion steht ein, anfangs noch verhüllter, Kühlschrank. Ein Plakat erklärt, wie der angeblich funktioniert: Hinein geht positive Energie in Form von Freizeit, Lebenslust, Selbstbestimmung oder freiwilligem Engagement. Durch die REGe wird die Energie nach Meinung der Gruppe "Blaues Wunder", die sich montags um 20 Uhr im AJZ trifft, in eine negative umgewandelt. "Soziale Kälte, Arbeitszwang, Niedriglohn und Entzug des Existenzminimums" lauten Stichworte auf dem Plakat dazu. An dem Kühlschrank könnten sich dann die Arbeitgeber bedienen, meint "Blaues Wunder".
Eine Sprecherin der Gruppe erklärt, warum es Sinn macht, auch bei lokalen Einrichtungen gegen Hartz IV zu protestieren: "Vieles von dem, was da an Einkommensraub und Entrechtung geplant ist, wird vor Ort geregelt", erklärt sie ihren Mitstreitern und den vorbei eilenden Weihnachtsmarktbesuchern. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stehen die 1-Euro-Jobs. "Diese Tätigkeiten begründen kein Arbeitsverhältnis. Sie dienen der Überprüfung der Arbeitswilligkeit", kritisiert die Rednerin. Dass die Jobs "zusätzlich" sein sollen, ist für sie kein Grund, sie positiver zu beurteilen. "Diese Zusätzlichkeit wird täglich produziert", formuliert sie ihre Einschätzung. Der "Kahlschlag in allen Bereichen des sozialen Hilfesystems und der sozialen Sicherung, die Ausdünnung von Leistungskatalogen und jede Entlassung schafft neue Zusätzlichkeiten", befürchtet die Rednerin.
Als Beispiel nennt sie unter anderem die Erzieherin, die durch Schließung ihrer Kindertagesstätte arbeitslos wurde und nach einem Jahr Erwerbslosigkeit die gleiche Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber für einen Euro, der zusätzlich zu den 345 Euro Grundsicherung bezahlt wird, statt für tarifvertragliche Bezahlung erbringen muss. Die Aufwandsentschädigung kann aber durchaus auch weniger als den einen Euro betragen. Diese Arbeitsgelegenheiten bedrohen nach Einschätzung von "Blaues Wunder" reguläre Beschäftigungsverhältnisse. "Diese Zwangsdienste beinhalten ein ähnliches Bedrohungspotenzial wie anderswo angedachte Produktionsverlagerungen", vermutet die Rednerin. Mit 1-Euro-Jobbern in der Hinterhand könnten Arbeitgeber, einschließlich von Wohlfahrtsverbänden und sozialen Einrichtungen, Lohnverzicht, längere Arbeitszeiten und Haustarife durchsetzen.
Deshalb müsste die Umsetzung von Hartz IV verhindert oder zumindest behindert werden, fordert die Rednerin und verweist auf die Schwierigkeiten der Agentur für Arbeit mit der "Umsetzung des 1-Euro-Arbeitsdienstes". "Es ist unser Anliegen, diese Schwierigkeiten noch zu erhöhen und ihnen noch ganz andere zuzufügen", kündigt sie weitere Aktionen der AktivistInnen an. Eine solche Aktion soll am ersten Werktag nach Inkrafttreten des Hartz IV genannten Gesetzespakets zur "Reform des Arbeitsmarktes" stattfinden. Bundesweit rufen Erwerbsloseninitiativen für den 3. Januar zum "Agentur-Schluss" auf, auch in Bielefeld soll an diesem Tag die Agentur für Arbeit lahmgelegt werden.
Auf den kämpferischen Redebeitrag folgen eher kabarettistische Einlagen. Erst singen die Demonstranten ein Dankeslied zur Melodie eines Kirchenliedes. Sie bedanken sich bei der REGe für Arbeitszwang und für den 1-Euro-Job: "Denn ohne Arbeit werde ich sofort bekloppt", lautet der etwas holprige Reim. "Danke, das Laub, das werd ich haken, danke, dass ich jetzt nützlich bin. Danke, gemeinsam kriegen wir den Arbeitsdienst schon hin", schließt das Lied.
Das intoniert einer der Kundgebungsteilnehmer auch immer wieder, als ein "Professor für Arbeitsethik" namens Wörka Hullig in einer Laudatio die Verleihung des Kühlschranks an die REGe begründet. Die städtische Gesellschaft habe es schon früh geschafft, "virtuos auf der Klaviatur der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik" zu spielen. "Sie setzte das Prinzip "Fordern und Fördern" mit der gleichen innovativen Schwerpunktsetzung auf den ersten Aspekt schon routiniert und entschlossen um, lange bevor Clement, Merz, Schröder und andere Fachleute es bundesweit für verbindlich erklärten", lobt Professor Wörka Hullig. Die REGe habe es in den vergangenen vier Jahren geschafft, dass jede/r arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger deren Chancen nutzen kann, "zum Beispiel Bewerbungstrainings, kostenneutrale Kurzqualifikationen, mal ein Niedrigstlohnjob oder der Einblick in den reichhaltigen REGe-eigenen Stellenpool".
Seit 2003 habe die REGe dieses "Angebot" um das Modul "Arbeitsgelegenheiten zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft" erweitert. Im Januar 2004 sei dieses noch durch das "Bielefelder Konzept zur Beschäftigung arbeitsloser Sozialhilfeempfänger" ergänzt worden, weiß der Darsteller des Professors Wörka Hullig. Für ihn nicht genug des Lobes, er verweist auf weitere innovative Projekte der REGe. So sei sie den Landesprogrammen "Für aktiv" und "Plus-Lohn" beigetreten. "Diese Programme zahlen den Institutionen, die völlig selbstlos zusätzliche Arbeitsgelegenheiten für 1 Euro schaffen, ein Kopfgeld von 500 Euro monatlich - abzüglich des einen Euro an Lohn und Sachkosten wie z.B. 50 Euro Vermittlungsgebühr an die REGe", beschreibt er den Vorteil für REGe-Unterstützer.
Die Tätigkeit der Beschäftigungsgesellschaft sei dabei auch für ihre Klienten von Vorteil: "Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Arbeit erst ist es, was den Menschen zum Menschen macht. Ohne Arbeit geht der Mensch zugrunde und mit ihm die Moral", sagt Wörka Hullig. Deshalb seien auch moralische Grenzen bei der Suche nach Arbeit unmoralisch. Die REGe biete mit ihren Programmen allen Gestrauchelten einen Weg zurück zur Tugendhaftigkeit. Dass diese Tätigkeit auch Erfolg hat, verschweigt Herr Hullig nicht: "Die REGe hat in 2003 fast 1.000 Menschen in Arbeit - oder so etwas Ähnliches – gebracht." Mit ihren Initiativen habe sie das berühmte perpetuum mobile geschaffen, freut sich Wörka Hullig: "Erhält auf der einen Seite ein REGe-Klient einen echten Job, so fällt auf der anderen Seite des Arbeitsmarktes mit Sicherheit jemand heraus, den die REGe dann punktgenau vermitteln kann."
Während die Rede gewollt kabarettistischen Charakter hat, entwickelt sich die darauf folgende Aktion zum absurden Theater. Der blaue Kühlschrank soll der REGe übergeben werden. Während die Demonstranten die drei Stockwerke im Haus Niederwall 8 erklimmen, warnt einer: "Wir sind hier verkehrt, die Geschäftsführung sitzt in Haus Nummer 26." Dennoch wird der Kühlschrank den Beratern der REGe übergeben, bei der Geschäftsführung fehle ein Aufzug, um das Haushaltsgerät zu transportieren, begründet das einer der Demonstranten. Die Mitarbeiter lassen die Protestierenden ein, fordern aber nach einiger Zeit die zwei Polizeibeamten, die den Protest begleiten, auf, das Büro zu räumen. "Das ist schon interessant: Erst lassen sie die rein und wir sollen die dann rausschmeißen", wundert sich einer der Beamten.
Eine dramatische Zuspitzung erhält der Protest, als die Tür des Kühlschranks geöffnet wird, Als sichtbares Symbol der sozialen Kälte fällt Eis aus dem Gerät, auf dem Teppich bildet sich eine Wasserpfütze. Der Einsatzleiter der Polizei befürchtet eine Sachbeschädigung des Teppichbodens, die eilig herbeigerufene Verstärkung versucht daraufhin an der Haustür die Personalien der Beteiligten festzustellen. Es wird geschubst, ein Beamter biegt einer Frau die Hand auf den Rücken, bei mehreren Frauen sollen per Durchsuchung die Personalien festgestellt werden. Polizisten und Demonstranten diskutieren aufgebracht die Rechtsgrundlage der Maßnahme. "Die gehen gegen die ja schlimmer vor als gegen Autonome", wundert sich ein Passant. "Bei derart aggressivem Verhalten mussten wir die Mittel ein bisschen raufschrauben", begründet ein Beamter das Vorgehen.
Endlich steht das corpus delicti auf dem Bürgersteig vor der REGe und ein beteiligter Polizeibeamter gibt Entwarnung: Die Polizei hat die Beschädigung des Teppichbodens und damit die Straftat, die die Personalienfeststellung begründete, verhindert. "Die Kollegen haben den Kühlschrank rechtzeitig heruntergetragen", meldet der Beamte. Tatsächlich haben Umzugshelfer in Grün das Gefriermonster in Blau wieder aus dem Haus gewuchtet.
Dennoch hat die Polizei ein Problem. Der Besitzer der Sackkarre, mit der der Kühlschrank in Richtung REGe transportiert worden sein soll - ein Beamter beschuldigt ihn, ein Mittel zur Begehung einer Straftat bereit gestellt zu haben - ist inzwischen nach Hause gegangen. Zudem will der Einsatzleiter den Kühlschrank nur dem rechtmäßigen Besitzer aushändigen. Darüber entsteht ein großes Palaver, schließlich tragen die AktivistInnen den Kühlschrank einfach Richtung Rathaus. Mehrere Staatsschützer in Zivil verfolgen sie, die Polizei vermutet, dass der böse Kühlschrank für weitere Proteste vor dem Rathaus verwendet werden sollte. Mindestens vier Zivilbeamte können dann aber beobachten, dass das Haushaltsgerät nur in den Räumen der Ratsgruppe der PDS, die die Proteste unterstützte, zwischengelagert werden soll.
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