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www.german-foreign-policy.com , 28.11.2004 :

Allgemeingut

Bielefeld (Eigener Bericht). Deutsche Neonazis führen in der Tschechischen Republik sowie in der Slowakei bewaffnete Kampfübungen durch und treten dabei als ,"Leibstandarte SS Adolf Hitler" auf. Zur Ausrüstung der rund 80 Personen umfassenden Gruppe gehören Maschinengewehre und bombentaugliche Explosivstoffe, heißt es in Polizeiberichten vom vergangenen Freitag. Die Mitglieder der bewaffneten NS-Nachfolgeorganisation sind deutschlandweit tätig (Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern) und mit diversen nationalistischen Organisationen vernetzt. Der Anführer der NS-Gruppe ist den Strafverfolgungsbehörden bereits seit den 1990er Jahren bekannt. Damals arbeitete er für den Inlandsgeheimdienst der Bundesrepublik(Verfassungsschutz/VS). Für die jetzige Auslandstätigkeit des NS-Provokateurs ist der Bundesnachrichtendienst (BND) zuständig. Die Auslandsaktivitäten deutscher Rechtsextremisten werden von neonazistischen Terrorakten in der Bundesrepublik begleitet. In weiten Teilen der politischen Klasse nimmt die Bereitschaft zu, bislang als rechtsextrem geltende Positionen zu integrieren.

Wie die Polizei im westdeutschen Bielefeld mitteilt, haben die Behörden Hausdurchsuchungen bei mehreren bewaffneten Mitgliedern eines ,"Europäischen Darstellungsvereins für lebendige Geschichte" durchgeführt. (1) Der in Bad Oeynhausen unweit von Bielefeld ansässige Verein führt regelmäßig ,"Nachstellungen" von NS-Kampfhandlungen auf dem Territorium der Tschechischen und der Slowakischen Republik durch und nutzt dafür ein Anwesen in Tschechien. Bei den Kampfsimulationen treten die rund 80 Mitglieder des Vereins, von denen nach Angaben der Behörden ,"nur ca. 30" den ,"Ideen des Nationalsozialismus nahe stehen", in SS-Uniformen auf und führen auch schwere Waffen (MG 42) mit sich. Die Tätigkeit der neuen ,"Leibstandarte SS Adolf Hitler" scheint im benachbarten Ausland nicht aufgefallen zu sein oder wurde dort hingenommen.

Duldung

Der Anführer der Gruppe, der nach Angaben der Lokalpresse seit 1993 für den staatlichen Verfassungsschutz (VS) tätig gewesen ist( 2), hat bereits in den 1990er Jahren in der Nähe von Bielefeld Kriegsübungen militanter Neonazis organisiert. Schon damals wurden bei zahlreichen Rechtsextremisten, die sich als ,"Leibstandarte Adolf Hitler" bezeichneten, Waffen und SS-Uniformen gefunden, ein ,"Heimatschutzcorps Ostwestfalen" trainierte den militärischen Kampf. Neonazis aus dem Bielefelder Gebiet führen nach Angaben von örtlichen Beobachtern solche Kriegsübungen ("Wehrsport") ,"immer wieder" durch. (3) Dies entspricht der Praxis von Neonazi-Gruppierungen im gesamten Bundesgebiet, die sich bei ihrem Kampftraining auf entsprechende Vorbilder der 1920er und 1930er Jahre beziehen können (NSDAP, SA). Von neuer Qualität ist die Ausweitung dieser Aktivitäten auf ehemals okkupierte Staaten Osteuropas, in denen die Berliner Auslandsspionage (BND) tätig ist. Offenkundig sieht sich der BND nicht in der Lage, diese NS-Aktivitäten durch Meldung an seine ausländischen Partnerdienste zu verhindern oder hält die Duldung aus außenpolitischen Gründen für geboten.

Staatliche Fremdsteuerung

Die Geheimdienst-Tätigkeit des jetzt wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommenen Rechtsextremisten bestätigt Beobachter, die seit geraumer Zeit eine massive Präsenz staatlicher "Agenten" in neonazistischen Organisationen wahrnehmen. Erst im vergangenen Jahr war ein Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gescheitert, weil das Bundesverfassungsgericht wegen der hohen Anzahl von geheimdienstlich tätigen Personen auch in der Führungsebene der Partei eine ,"mögliche staatliche Fremdsteuerung der NPD" nicht ausschließen konnte.( 4) Die NPD hatte jüngst erstaunliche Wahlerfolge im Bundesland Sachsen errungen; wie dort sind auch im Landesparlament von Brandenburg seit Oktober 2004 mehrere Rechtsextremisten vertreten. (5)

Nicht scheuen

Im politischen Establishment steigt nach den Wahlerfolgen in Dresden und Potsdam die Bereitschaft, bislang als rechtsextrem geltende Positionen für akzeptabel zu erklären. Noch im September hatte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, keinen Anlass gesehen, die Präsenz neofaschistischer Parteien in deutschen Parlamenten "überzubewerten". (6) Anfang November stimmten bei der Wahl des sächsischen Ministerpräsidenten mehrere Abgeordnete, die dem staatstreuen Spektrum zugerechnet werden, für den Kandidaten der extrem nationalistischen NPD. Erst kürzlich erklärte der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) zu ausländerpolitischen Forderungen einer rechtsextremistischen Organisation: ,"Ein Teil davon ist inzwischen sicher Allgemeingut." (7) ,"Wir dürfen nationale Rhetorik nicht scheuen", sagte Herr Schönbohm unter Verweis auf die Wahlerfolge neofaschistischer Parteien in Deutschland. (8)

1) Gemeinsame Presseerklärung von Staatsanwaltschaft und Polizei. Waffenfund bei zwei Rechtsextremisten in Bad Oeynhausen, 26.11.2004
2) Kriegswaffen nach Razzia sichergestellt; Neue Westfälische Bad Oeynhausen, 27.11.2004
3) Wehrsport in westfälischen Wäldern; www.antifa-west.org
4) s. dazu ,"Staatliche Fremdsteuerung"
5) s. dazu Reformen
6) Rogowski mehr über PDS als über NPD und DVU besorgt; Freie Presse, 24.09.2004
7) ,"Wir müssen uns zur Nation bekennen"; Berliner Zeitung, 24.11.2004
8) Neuer Streit um deutsche Leitkultur; Spiegel online, 20.11.2004


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