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Schaumburger Zeitung , 26.11.2004 :

26. November 1944: Als über Süntel und Auetal der Himmel brannte / Heute vor 60 Jahren: Bei Rehren stürzt der US-Bomber "Liberator 3 Q-J" ab

Von Fritz König

Auetal. "Hier muss es sein", sagt Wilhelm Hothan aus Rehren und zeigt auf ein Gartengrundstück nahe der Steinbeeke. Als Neunjähriger sah er dort am Ortsrand Rehrens heute vor sechzig Jahren, am 26. November 1944, dem Totensonntag, das fremde viermotorige Bombenflugzeug mit dem rot bemalten Heck abstürzen. Hothan zeigt mit seiner Hand über sein Elternhaus. Das große brennende US-Flugzeug flog ganz niedrig über Rehren hinweg, scheint im letzten Moment dem Haus Schütte ausgewichen zu sein. Dann bohrte es sich in die weiche Erde des Gemüsegartens hinter dem Haus, zerbarst in tausend Stücke. Mehrere Besatzungsmitglieder wurden tot aus dem Wrack herausgeschleudert oder verbrannten in den Trümmern.

Als der über Rehren abgestürzte Liberator 3 Q-J im englischen North Pickenham mit einer Bombenlast von 5 Tonnen startete, war sein Ziel Hannover-Misburg, eines der Zentren der deutschen synthetischen Treibstoffherstellung. Mit Hunderten anderer Bomber sollte die deutsche Kriegsmaschinerie lahm gelegt werden. Leutnant Weitz, der Kommandant des Bombers 3 Q-J – und wohl Nachkomme deutscher Auswanderer namens Weiß – ließ gegen 12 Uhr seine Bomben über Misburg ausklinken. Als der US-Bomberverband sich über Deister und Süntel zum Heimflug formierte, brach für ihn die Hölle los.

Szenenwechsel. Am Kopfende des langen Eichentisches im Konferenzraum des Luftfahrtmuseums Hannover-Laatzen sitzt der aus Erfurt angereiste Willi Reschke. Der heute 81-Jährige, am 26. November 1944 Pilot eines deutschen Jägers, erinnert sich: "Der Bomberstrom reichte von der Deutschen Bucht bis Hannover." Um 11.40 Uhr bestieg Reschke in Stendal seinen Jäger Focke-Wulf A 8. Hinter einer Glasscheibe sieht man im Ausstellungsraum die Umrisse des Jagdeinsitzers, den Reschke damals flog. Zwischen ihm und seinen Fliegerkameraden und der US-Armada entbrannte die größte Luftschlacht des Zweiten Weltkriegs in unserem Raum. Im Nu säumten Rauchsäulen abgestürzter Flugzeuge – von Freund und Feind – den Weg des Bomberstroms.

Bei Holtensen und Fischbeck nahe Hameln hängen zahlreiche Fallschirme am Himmel. Brennende US-Bomber stürzen bei Fischbeck, Deckbergen, Rehren und Eimbeckhausen ab. Andere schon brennende Bomber schaffen es noch, auf Westkurs bis Reinsdorf, Tallensen, Kalldorf und Dankersen zu gelangen. Absturzorte deutscher Jäger liegen bei Pohle, Hessisch Oldendorf-Krückeberg, Weibeck, Pötzen, Nettelrede und gleich zwei bei Eimbeckhausen. "Die Überzahl der US-Mustang-Jäger war erdrückend", sagt Reschke rückblickend.

Reschke selbst schoss an diesem Novembertag einen Viermotorigen ab. War es der über Rehren niedergegangene Amerikaner? Er weiß es nicht, musste sich seiner Gegner erwehren. Bereits vor dem Absturz in Rehren sprangen drei der Besatzungsmitglieder des Bomber 3 Q-J über Hattendorf ab. Ihre Fallschirme öffnen sich jedoch nicht. Auf einem Feld nahe der Autobahn werden die Piloten tot gefunden. "Alle toten Amerikaner wurden ordnungsgemäß in Einzelsärgen bestattet", weiß Heinrich Ackmann, ein Mitarbeiter des Hattendorfer Heimatmuseums. Nur zwei US-Piloten überlebten. Ein höherer Offizier war im Rehrener Spritzenhaus eingesperrt.

Reschke spricht langsamer, als die Rede auf die Opfer der Luftschlacht kommt: "Es ging für alle Beteiligten ums nackte Überleben." Am Nachmittag besucht Reschke die Gräber seiner am 26. November 1944 gefallenen Kameraden auf dem Wunstorfer Friedhof. Die vielen Kreuze dort sind stete Mahnmale für den Frieden.

Manche der amerikanischen Opfer der Luftschlacht wurden nach Kriegsende in ihre Heimat überführt; die meisten fanden ihre Ruhestätte auf dem großen Kriegsfriedhof "Les Ardennes" südwestlich von Lüttich.


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