Westfalen-Blatt ,
06.05.2014 :
Abschiebehaftanstalt Büren muss mit Schließung rechnen / Gutachten: Unterbringung von abgewiesenen Asylbewerbern im Gefängnis rechtswidrig
Von Bernd Bexte
Büren (WB). Deutschlands größtes und NRW-weit einziges Abschiebegefängnis, die JVA in Büren, steht vor dem Aus. Laut Gutachten des EU-Generalanwalts Yves Bot ist die Unterbringung von abgelehnten Asylbewerben in normalen Gefängnissen nicht zulässig. Die Anstaltsleitung in Büren rechnet schon in den nächsten Monaten mit Veränderungen.
Damit könnte der seit Jahren schwelende Streit um die Abschiebehaft in Justizvollzugsanstalten schon bald beendet sein. Seit 20 Jahren wird die ehemalige belgische Kaserne in Büren als Abschiebegefängnis genutzt. Derzeit warten in der einzigen Einrichtung dieser Art in NRW 44 abgelehnte Asylbewerber auf ihre Ausweisung. Sie sind räumlich getrennt von 160 Häftlingen, die dort eine Ersatzfreiheitsstrafe oder eine kurze Freiheitsstrafe verbüßen. Da es sich bei der JVA aber nicht um eine spezielle Einrichtung für die Abschiebehaft handelt, verstößt dies nach Ansicht des EU-Generalanwaltes Yves Bot gegen europäisches Recht.
Denn die EU-Rückführungsrichtlinie aus dem Jahr 2008 schreibt eigene Hafteinrichtungen für die Abschiebehaft vor. Die Unterbringung in normalen Gefängnissen sei nur in besonderen "Notlagen auf Grund eines starken Zustroms von Migranten" erlaubt. Bot rügt, dass noch in neun Bundesländern - unter anderem in Nordrhein-Westfalen - Abschiebehäftlinge in gewöhnlichen Gefängnissen untergebracht werden. Der Franzose sieht die Menschenwürde und die Grundrechte der Migranten beeinträchtigt, "deren Inhaftnahme sich ihrem Wesen nach vom Vollzug einer Strafe unterscheidet".
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in dieser Frage steht zwar noch aus - in der Regel folgen die europäischen Richter aber den Gutachten der Generalanwälte. Der EuGH war unter anderem vom deutschen Bundesgerichtshof angerufen worden.
Auch in Büren geht man davon aus, dass die Tage als gemeinsame Anstalt für Abschiebehäftlinge und Strafgefangene gezählt sind. "Wir rechnen damit, dass der EuGH so entscheiden wird", sagt JVA-Leiter Udo Wehrmeier. Dann würden die Abschiebehäftlinge anderweitig untergebracht - oder aber die Strafgefangenen in andere Anstalten überwiesen. Denn derzeit sind knapp 700 Haftplätze in NRW-Gefängnissen frei. Könnte damit der Fortbestand der gesamten JVA in Frage stehen? "Darauf haben wir keine Hinweise." Entscheidungen in allen Fragen müssten Innen- und Justizministerium in Absprache treffen.
Neue Unterkünfte für Abschiebehäftlinge könnten "beispielsweise in leer stehenden Kliniken mit einer dann noch zu schaffenden lockeren Außensicherung" eingerichtet werden, sagt Wehrmeier.
Damit würde das Land den Kritikern der bisherigen Abschiebepraxis entgegenkommen. Einer von ihnen ist Frank Gockel vom Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft in Büren". "Wir sehen durch das Gutachten unsere Auffassung bestätigt", erklärt der Detmolder. Er rechnet im Juni mit einem Urteil des EuGH.
Wie berichtet, hatte zuletzt auch das Amtsgericht Paderborn die Praxis der Abschiebehaft für rechtswidrig erklärt. Das Landgericht hatte ein Urteil aber wieder gekippt. Das NRW-Justizministerium verweist darauf, dass bislang alle Landgerichte die Auffassung des Landes geteilt hätten. "Wir warten das Urteil des EuGH ab und entscheiden dann, wie wir vorgehen", sagt ein Sprecher.
Von einer Schließung des Abschiebegefängnisses Büren wären 30 Mitarbeiter betroffen. Sie sind bei einer externen Sicherheitsfirma angestellt. Um den Betrieb des normalen Gefängnisses kümmern sich 90 Justizvollzugsbeamte.
Bildunterschrift: In der JVA Büren sind 160 Strafgefangene und 44 Flüchtlinge untergebracht. Laut EU-Generalanwalt ist dies unzulässig.
Bildunterschrift: Udo Wehrmeier ist Leiter der JVA in Büren.
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Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V., 30.04.2014:
Pressemitteilung / Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs: Abschiebehaft in Deutschland rechtswidrig
Büren / Luxemburg: Die Praxis der Abschiebehaft, wie sie in Nordrhein-Westfalen und vielen weiteren Bundesländern vollzogen wird, ist unrechtmäßig. Dieses stellte heute der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Yves Bot, fest. Mehrere tausend Menschen waren somit in Deutschland zu Unrecht inhaftiert.
Dürfen Abschiebegefangene in Deutschland mit Strafgefangenen zusammen untergebracht werden wenn es Abschiebegefängnisse gibt, in denen das nicht der Fall ist? Mit dieser Frage setzt sich aktuell der EuGH (Aktenzeichen: C-473/13) auseinander. Heute hat der Generalanwalt Bot sein Schlussantrag gehalten. Er äußerte sich klar und deutlich dazu, dass die Praxis, wie sie in Deutschland in vielen Bundesländern vollzogen wird, unrechtmäßig ist. Bot dazu wörtlich: "Nach alledem ist daher Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie meines Erachtens dahingehen auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaates entgegensteht, die es auf Grund seiner föderalen Struktur den Bundesländern erlaubt, abzuschiebende Drittstaatenangehörige in einer gewöhnlichen Haftanstalt in Haft zu nehmen."
In 80 Prozent der Fälle folgt der EuGH dem Schlussantrag des neutralen Generalanwaltes, so dass davon auszugehen ist, dass auch das Urteil, welches im Sommer erwartet wird, gleichen Inhalt hat. In vielen Bundesländern wäre Abschiebehaft damit unrechtmäßig vollzogen worden, unter anderem in der Justizvollzugsanstalt Büren, Deutschlands größtes Abschiebegefängnis.
"Mehrere Tausend Menschen sind somit unrechtmäßig inhaftiert worden", so Frank Gockel, Pressesprecher des Vereins "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.", "dieses war den Verantwortlichen auch bewusst". Gockel kritisiert, dass der Grundsatz in dubio pro libertate (im Zweifel für die Freiheit) nicht eingehalten wurde. Er fordert das Innenministerium für Inneres und Kommunales NRW auf, die Abschiebehaft aller Betroffenen bis zur endgültigen Entscheidung des EuGH auszusetzen.
Hintergrund:
Die Rückführungsrichtlinie der EU (2008/115/EG) sieht in Art. 16 folgendes vor:
Die Inhaftierung (Abschiebehaft) erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht
Diese Richtlinie hätte bis zum 24. Dezember 2010 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Deutschland besitzt einige Gefängnisse, in denen nur Abschiebegefangene untergebracht werden, wie zum Beispiel in Berlin, Ingelheim oder Rendsburg. Somit ist es nicht erlaubt, Abschiebegefangene und Strafgefangene zusammen in einem Gefängnis unterzubringen, wie es in den meisten Gefängnissen der Fall ist (zum Beispiel JVA Büren oder JVA Frankfurt). Dieses führt zu wesentlich schlechteren Haftbedingungen.
Der deutsche Gesetzgeber hat versucht, die Richtlinie zu umgehen, in dem er bei der Umsetzung in § 62a AufenthG den Begriff "Mitgliedsstaat" in "Land" ersetzt hat. Gemeint ist damit das Bundesland. Wäre der Generalanwalt dieser Aussage gefolgt, hätte dieses weitergehende Konsequenzen gehabt. In allen Richtlinien der EU, in dem Mitgliedsstaat steht, wäre nun nicht die Bundesrepublik, sondern das Bundesland gemeint.
Dass dieses so nicht richtig ist, glaubt auch der Bundesgerichtshof (BGH). In einem Beschluss vom 11. Juli 2013 (V ZB 40/11) hat er daher dem EuGH die folgende Frage vorgelegt:
"Ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008 Nr. L 348/98) auch dann die Verpflichtung eines Mitgliedstaates, Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu vollziehen, wenn solche Einrichtungen nur in einem Teil der föderalen Untergliederungen dieses Mitgliedstaats vorhanden sind, in anderen aber nicht?"
Welche Meinung der BGH dazu hat, äußerte er auch in den Beschluss: "Der vorlegende Senat neigt mit Blick auf den Wortlaut der Richtlinie dazu, dass auf die Mitgliedstaaten und nicht auf föderale Untergliederungen abzustellen ist."
Unter dem Aktenzeichen C-473/13 beschäftigt sich aktuell der EuGH mit dieser Frage. Heute hat der Generalanwalt Bot sein Schlussantrag gestellt. Damit ist die mündliche Verhandlung abgeschlossen, so dass in wenigen Wochen mit einem Urteil gerechnet werden kann.
Folgt der EuGH dem Schlussantrag, was er in circa 80 Prozent der Fällte macht, würde dieses bedeuteten, dass alle Abschiebegefangenen, die seit dem 24. Dezember 2010 mit Strafgefangenen zusammen in einem Gefängnis untergebracht worden sind, unrechtmäßig inhaftiert waren. Dieses dürften mehrere tausend Menschen gewesen sein. Sie alle können nun feststellen lassen, dass sie unrechtmäßig inhaftiert waren und eine Schadensersatz nach Art. 5 EMRK fordern.
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