Westfalen-Blatt ,
23.11.2004 :
"Einzelfall nicht verallgemeinern" / Im Gespräch Jürgen Hermann
Bielefeld (WB). Jürgen Herrmann (CDU/Höxter), Verteidigungsexperte auf Fragen von Reinhard Brockmann.
Westfalen-Blatt: Soldaten als Geiseln nehmen, fesseln und mit Säcken über dem Kop zu vermeintlichen Verhören bringen: Gehört das zum üblichen Grundwehrdienst?
Jürgen Herrmann: Nein. So etwas kann in differenzierter Form höchstens bei Spezialeinheiten erforderlich sein, die auf bestimmte Gefahren vorbereitet werden. Was hier geschehen ist, war vollkommen überzogen und ist auch nicht Standard in der Ausbildung, wie wir sie verstehen.
WB: Darüber hinaus soll ein Soldat mit Stromstößen malträtiert, ein anderer mit herabgelassenen Hosen fotografiert worden sein. Sollte sich das bestätigen …
Herrmann: ... dann darf man den Vorfall trotzdem nicht auf die ganze Bundeswehr beziehen. Sollten sich diese beiden Punkte bewahrheiten, wäre der Schaden allerdings immens. Das Vertrauen in die Bundeswehr wäre gestört. Auch müsste man dann die Frage stellen, warum das Verteidigungsministerium, das die Vorwürfe schon länger kennt, so lange geschwiegen hat. Der Verteidigungsausschuss hätte schon längst informiert sein müssen. Ich will nicht hoffen, dass hier etwas unter der Decke gehalten werden sollte. Der Sachverhalt muss aufgeklärt werden bis zum Letzten.
WB: Schon werden Parallelen mit Abu Ghureib gezogen. Was muss die Politik jetzt tun?
Herrmann: Abu Ghureib war ein ganz anderer Fall und hat mit der Bundeswehr überhaupt nichts zu tun. Die Politik muss ganz sensibel mit diesen Vorwürfen umgehen. Zuerst muss man den Geschädigten auch psychologisch beistehen. Dann ist alles vorbehaltlos aufzuklären. Die Konsequenzen können bis zur Entlassung der verantwortlichen Soldaten reichen.
bielefeld@westfalen-blatt.de
|