Westfalen-Blatt ,
23.11.2004 :
Leitartikel / Bundeswehr in Misskredit / Hornochsen und Grünfutter
Von Reinhard Brockmann
Wenige Hornochsen bringen eine ganze Armee in Misskredit. Mit der möglichen Demütigung und Erniedrigung von Rekruten haben zwei Dutzend "Ausbilder" denjenigen einen Bärendienst erwiesen, für die nur eines zählt: Die Schlagzeile "Folter bei der Bundeswehr".
Da nutzt es wenig, wenn der zuständige Oberstaatsanwalt klarstellt: "Den Begriff Folterungen halte ich für maßlos übertrieben."
Bevor die Ermittlungen überhaupt richtig beginnen, haben sich andere schon ihr Vorurteil erfüllt. Fakten stören da nur. Grünen-"Experte" Winfried Nachtwei hat allerdings ein Problem: Zu gerne würde er seiner Klientel die Vorlage für die Behauptung liefern, "Coesfeld ist überall". Aber selbst er weiß, dass eine solche These mehr als abenteuerlich ist.
Deshalb drechselte er gestern den Satz, der in seiner bundeswehrfeindlichen Tendenz am weitesten geht und gut als Grünfutter taugt: "Ich habe zwar keine Hinweise, dass dies die Spitze eines Eisbergs ist, aber es wäre auch verharmlosend, einfach von Einzelfällen zu reden. Denn es sind so viele Beteiligte als mutmaßliche Täter und Opfer, es ist mehrfach dazu gekommen, und es haben so viele davon gewusst und keiner hat sich beschwert und gemeldet, dass wir von einem Gruppenphänomen sprechen müssen."
Unstrittig: Was vorgefallen ist, muss aufgeklärt werden. Aber erst danach darf geurteilt werden.
"Den Begriff 'Folterungen' halte ich für maßlos übertrieben."
Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer
Die Öffentlichkeit kennt zur Genüge die Prozedur aus lautem Anprangern und leisem Rückzug von "spontanen" (Falsch-)Behauptungen. Vieles ist im Rückblick nicht mehr haltbar. So waren weder die im März im Kosovo in Bedrängnis geratenen deutschen Soldaten die "Hasen vom Amselfeld" (Spiegel) noch gibt es im deutschen Offizierskorps eine stramme Tendenz nach Rechtsaußen - wie noch vor einem Jahr von "Monitor" bis "taz" als gemeinhin bekannt behauptet.
Es muss Schluss sein mit den Generalisierungen über "die" Bundeswehr. Das wird Tausenden Berufssoldaten wie Wehrpflichtigen nicht gerecht. 150 Standorte werden soeben geschlossen oder ihre Auflösung ist für die kommenden Jahre vorgesehen, die Stärke wird reduziert, die Aufgabenstellung umgekrempelt: Nur zu gern wird übersehen, dass sich die Bundeswehr in einem ähnlich dramatischen Umbauprozess befindet wie etwa das Ruhrgebiet in den 80er Jahren. "Der Lokomotive in voller Fahrt die Räder wechseln" lautete damals die zweckoptimistische Parole. Der Strukturwandel in NRW ging bekannter weise gründlich daneben.
Kein Wunder also, dass trotz aller Besonnenheit, die der Verteidigungsminister auszustrahlen in der Lage ist, unterschwellig Verzweifelung und Angst umgehen. Vielleicht erklärt das, weshalb einzelne die Nerven verlieren. Umso erstaunlicher ist es, dass die übergroße Mehrheit in der Bundeswehr bei alledem die Ruhe bewahrt. Denn Niemand kann sicher sein, dass die Radikal-, Schrumpf- und Rosskur gelingt.
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