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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 22.11.2004 :

Totengedenken in Schönschrift / Kalligraphisches Meisterwerk erinnert in der Altstädter Nicolaikirche an die Opfer des Zweiten Weltkriegs

Von Arno Ley

Bielefeld. Das Original ist vor fünf Jahren verschwunden. "Irgend jemand hat es aus dem Vorraum der Kirche gestohlen", sagt Pfarrer Armin Piepenbrink-Rademacher. Seit gestern nun liegt ein neues Totengedenkbuch in der Turmhalle der Altstädter Nicolaikirche aus. Der Brackweder Grafikdesigner Hans Firzlaff hat es in mühevoller Handarbeit noch einmal angefertigt. Das Totenbuch enthält die Namen der durch den Zweiten Weltkrieg getöteten Gemeindemitglieder.

"Das Totengedenkbuch bietet den Hinterbliebenen einen Ort der Besinnung und der Erinnerung an die Angehörigen, die im Krieg umgekommen sind", erklärt Piepenbrink-Rademacher. "Für viele der Toten gab es kein Grab. Viele blieben verschollen in Russland. Und auch viele Bombenopfer in Bielefeld wurden in einem Massengrab beigesetzt." In der Turmhalle, dem Eingangsbereich der Nicolaikirche, gedenke man daher der Opfer beider Weltkriege.

"Ich bin einer der letzten einer aussterbenden Zunft"

"In den sechziger Jahren hatte die Gemeinde den Kalligraphen Hans Firzlaff beauftragt, ein Totenbuch anzufertigen. Es lag in einer gläsernen Vitrine in der Turmhalle", berichtet der Pfarrer. "Doch vor fünf Jahren war es plötzlich verschwunden." Der Kirchenraub blieb unaufgeklärt. "Wir haben lange gehofft, dass uns das Buch zurückgegeben wird. Denn es dürfte doch eigentlich keinen Verkaufswert haben", meint Piepenbrink-Rademacher.

Vor einem Jahr dann wurde Hans Firzlaff beauftragt, ein neues Totengedenkbuch anzufertigen. 5.200 Euro waren durch Spenden in der Gemeinde gesammelt worden. Schon die Materialbeschaffung wurde zu einem Problem. "Ich bin einer der Letzten einer in Deutschland aussterbenden Zunft", sagt der inzwischen 84-jährige Schriftkünstler. "Es gibt doch kaum noch Kalligraphen." Firzlaff hatte einst in der Bielefelder Werkkunstschule die wohlgeformte Handschrift gelernt.

"Mein erstes Totengedenkbuch hatte ich schon als Student angefertigt. Es gedenkt, 1938 auf wertvollem Kalbslederpergament geschrieben, der Gefallenen des Ersten Weltkriegs aus Enger." Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb er ähnliche Bücher für Gemeinden in Gütersloh, "das hatte damals Bertelsmann bezahlt", für Hücker-Aschen, Werther, Steinhagen und die Bielefelder Johannisgemeinde. "Das habe ich mir vor ein paar Wochen noch einmal angeschaut."

Neues Totenbuch liegt in einer verschlossenen Glasvitrine

Als er sich jetzt an "meine Abschlussarbeit" für die Nicolai-Gemeinde setzten wollte, musste er feststellen, dass in Deutschland kein "handgeschöpftes Büttenpapier" mehr hergestellt wird. "Das maschinell produzierte könnte sich wellen, wenn es etwas feucht wird. Und in Kirchenräumen ist es ja nie so ganz trocken", erklärt der Fachmann. Aus England musste er sich die Papiergrundlage besorgen. "Dort und in den USA hat die Kalligraphie noch eine größere Bedeutung."

Firzlaff, der als selbständiger Grafikdesigner früher unter anderem für die Feldmühle, für die Stadt, die Evangelische Kirche, die Industrie- und Handelskammer, für Bertelsmann und für die Ankerwerke "seligen Angedenkens" gearbeitet hatte, der als Lehrbeauftragter für die Fachhochschule und die Berufsbildung des Druckerhandwerks tätig war, fertigte erneut 180 handschriftliche Seiten an.

"Die früheren Gemeindemitglieder sind dort nach ihren Geburtstagen aufgelistet. Für viele fehlen ja die Todesdaten", sagt Firzlaff. "Auf einigen Seiten stehen daher mehrere zusammen." Als Schrift verwendete Firzlaff wieder die "Capitalis Romana", klassische Großbuchstaben, "die erste klar ausgeformte Schrift der Römer, weil die so schöne Serifen hat." So heißen die Schwellungen an den jeweiligen Enden der Buchstaben.

Als optische Vorlage diente ihm ein Blatt aus dem ersten Buch. "Das hatte ich einmal ausbessern müssen, weil jemand ein Loch in einige Seiten gebrannt hatte." Um Beschädigungen in Zukunft zu verhindern, wird das neue Totengedenkbuch nun in einer verschlossenen Glasvitrine gezeigt. Am gestrigen Ewigkeits- oder Totensonntag, an dem in den evangelischen Gemeinden der Toten des vergangenen Kirchenjahres gedacht wird, wurde das Buch wieder in die Turmhalle gelegt.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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