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Neue Westfälische 06 - Schloß Holte-Stukenbrock , 08.02.2014 :

Das schwere Erbe der Nachfahren / Kinder, Enkel und Nichten von Nazi-Tätern berichten über die Verarbeitung

Von Karin Prignitz

Schloß Holte-Stukenbrock. Sie tragen einen Namen, der mit ungeheurer Schuld behaftet ist. Ihre Väter, Großväter oder Onkel haben in den Jahren 1933 bis 1945 millionenfach gemordet. Wie lebt man damit, ein solches Monster in der Familie gehabt zu haben?

Katrin Himmler, die Großnichte des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, berichtet bei der Auftaktveranstaltung einer Themenreihe des Gymnasiums von ihrer ganz persönlichen Vergangenheits-Bewältigung. Die Nachfahren von Hermann Göring, Rudolf Höß, Hans Frank und Amon Göth äußern sich im Film "Meine Familie, die Nazis und ich".

Ein bewegendes Dokument, das deutlich aufzeigt, wie unendlich schwer es ist, mit der Gewissheit zu leben, dass die Vorfahren unermessliches Leid verursacht haben. Bemerkenswert aber auch, wie jeder der Nachfahren dieses Wissen auf seine ganz individuelle Weise zu verarbeiten versucht.

Bettina Göring, die Großnichte von Hermann Göring, hat ihren Nachnamen "immer als schwere Last empfunden". Früh ist sie nach Amerika ausgewandert, "weil die Verarbeitung in riesiger Entfernung einfacher ist". Ihren Namen hat sie abgelegt, weil sie "nicht die Last der deutschen Gesellschaft mitschleppen" wollte. Und sie hat sich, wie auch ihr Bruder, sterilisieren lassen, "damit es nicht noch mehr von diesen Görings gibt".

Völlig anders bewältigt Niklas Frank, dessen Vater zum engsten Kreis der Getreuen Hitlers gehörte, die Gräueltaten. Bücher hat er geschrieben, liest in Schulen und findet dort Worte, die von unendlichem Hass auf die Eltern zeugen. "Das Knacken deines Genicks ersparte mir ein verkorkstes Leben", ist nur einer dieser drastischen Sätzen. Einen liebevollen Umgang, den habe es nie gegeben.

Die Unerbittlichkeit der Täter ist auch gegen die eigenen Kinder gerichtet

Katrin Himmler, studierte Politikwissenschaftlerin, die ein Buch über "Himmler privat, Briefe eines Massenmörders" verfasst hat, bestätigt, dass diese Unerbittlichkeit der Täter auch gegen die eigenen Kinder gerichtet gewesen sei. Die 46-Jährige nannte es "schwarze Pädagogik" von offensichtlich gespaltenen Persönlichkeiten.

Wie anders sollte es zu erklären sein, dass Rudolf Höß, Lagerkommandant im Konzentrationslager Auschwitz, mit seiner Familie auf dem Gelände quasi Tür an Tür mit den Gaskammern lebte. Sehr emotional schildern die Szenen den Besuch seines Enkels Rainer Höß in Auschwitz und die Begegnung mit israelischen Schülern.

Der Film "Schindlers Liste" hat Monika Göth die Augen geöffnet. "Dort habe ich meinen Vater Amon wieder erkannt." Der war berüchtigt für seine besonderen Mordpraktiken. Die Tochter wähnte sich lange in einer heilen Welt, "erst nach und nach habe ich erkannt, was geschah". Eines ist ihr wichtig zu sagen: "Ich sehe so aus wie er, aber ich habe nichts mit ihm gemein."

Niklas Kolb und Jan Hendrik Gräfe übernahmen die Moderation der anschließenden Diskussionsrunde vor knapp 100 Besuchern. Wie sie selbst mit ihrer Familiengeschichte umgegangen sei, wurde Katrin Himmler gefragt. Sie haben "den Dämon aus der Flasche gelassen", indem sie recherchiert und Bücher geschrieben habe. "Viele andere Angehörige hätten ihn lieber drinnen gelassen." Zwar sei allen stets bewusst gewesen, "dass wir mit einem Jahrhundert-Verbrecher verwandt sind". Dennoch hätten es die meisten am liebsten verschwiegen.

"Dieses Schweigen", da ist sich Katrin Himmler sicher, "bewirkt, dass die Last des Erbes immer weitergegeben wird". Niklas Frank beschleicht eine andere Angst. "Ich traue den Menschen nicht", sagt er im Film. Weil er es für möglich hält, dass sich das Grauen in der nächsten großen Krise in ähnlicher Form wiederholen könnte.

Die Veranstaltung erfolgte im Zusammenarbeit mit dem Rhythmus-Filmtheater Schloß Holte-Stukenbrock und wurde gesponsert vom Rotary Club Lippstadt.

Info / Die nächsten Veranstaltungen

Am Montag, 10. Februar, um 15 Uhr wird die Ausstellung "Deine Anne - Ein Mädchen schreibt Geschichte" mit dem Leiter des Anne Frank Zentrums Berlin offiziell eröffnet.

Am 12. Februar sind ab 19.30 Uhr "Himmlers Tagebuchnotizen" Thema. Veranstalter sind die Dokumentationsstätte Stalag 326 und die Stadt.

Am Sonntag, 16. Februar, und am 23. Februar gibt es Sonderöffnungen der Ausstellung für interessierte Bürger in der Zeit von 14 bis 18 Uhr.

Bildunterschrift: Auftakt: Jan Hendrik Gräfe (v. l.) und Niklas Kolb übernehmen am Auftakt-Abend die Moderation. Katrin Himmler stellt sich im Anschluss an die Filmvorführung den Fragen der Besucher. Geschichtslehrerin Christine Kubatzki und Markus Barlage haben die Organisation übernommen.

08./09,02,2014
shs@neue-westfaelische.de

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