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Neue Westfälische , 20.11.2004 :

Ein Ort für das Gedenken / Klaus-Jürgen Hager wusste lange nichts über den Verbleib enger Angehöriger

Von Anja Sparbrod

Bielefeld. Am Volkstrauertag hat Klaus-Jürgen Hager am Grab seines Vaters im tschechischen Brünn Blumen niedergelegt. Das ist keine Selbstverständlichkeit für den 62-jährigen Bielefelder. Hager erfuhr erst 1998, wo sein Vater begraben liegt.

"Er ist 1944 eingezogen worden und am 24. März 1945 gefallen", weiß Hager heute. Jahrelang hatte er versucht, etwas über den Verbleib des Vaters zu erfahren. Als er nicht aus dem Krieg zurückkehrte, hatte Hagers Mutter ihn irgendwann für tot erklären lassen. Auch der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes konnte nicht weiter helfen. Doch 1998 kam dann auf einmal Post von der "Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der Wehrmacht". Bei der Verlegung eines Soldatengrabs durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge war eine Erkennungsmarke entdeckt worden - die des Soldaten Hager. Klaus-Jürgen Hager erfuhr, dass sein Vater nun auf dem Soldatenfriedhof in Brünn zur letzten Ruhe gebettet worden war. "Der Krieg ist erst dann beendet, wenn auch der letzte Soldat würdig begraben ist", sagt er leise. Die Erkennungsmarke ist fast die einzige Erinnerung, die er an seinen Vater hat.

Doch der Krieg hat noch mehr Leid über die Familie Hager gebracht. Auch über das Schicksal seiner Tante Karoline Hager aus dem brandenburgischen Luckenwalde weiß Klaus Jürgen Hager erst seit kurzem Bescheid. "Sie starb im Lager Ketschendorf bei Fürstenwalde", erzählt er, "genau wie ihr Bruder". Es sei nämlich nicht richtig, dass es nach 1945 keine Konzentrationslager mehr gegeben habe. "Die Russen haben diese Lager noch bis 1953 weitergenutzt", sagt er bitter.

Elf so genannte Speziallager hatte der sowjetische Geheimdienst, darunter auch die aus der NS-Zeit hinlänglich bekannten Lager Bautzen, Buchenwald, Torgau und Sachsenhausen. "Meine Patentante wurde im April 1945 abgeholt", erzählt Hager. "Nach der Anzeige eines missliebigen Nachbarn", meint er. Im Februar 1946 verstarb sie im Lager Ketschendorf. Bis April 1947 waren im "Speziallager Nr. 5" in Ketschendorf bei Fürstenwalde 10.500 Frauen, Männer und Jugendliche inhaftiert. Die meisten Internierten stammten aus Berlin und der Mark Brandenburg. Etwa die Hälfte dieser Menschen fand in dem Lager den Tod. Sie wurden namenlos verscharrt. 1952 ließen die DDR-Behörden die sterblichen Überreste aus den Massengräbern auf den Waldfriedhof in Halbe bei Berlin bringen, eine der größten Kriegsgräberstätten Deutschlands.

Erst vor wenigen Jahren gab Russland die Lagerlisten frei. Die Sterbelisten des Lagers Ketschendorf enthielten 4.620 Namen in russischer Schrift, die nach Gehör von sowjetischen Offizieren niedergeschrieben worden waren. Und so findet sich auch der Name "Chager, Karolina" in den Listen, der der Tante von Klaus-Jürgen Hager. Der Bielefelder kam erst durch das Buch "Ich hab dich so gesucht ... Der Krieg und seine verlorenen Kinder" auf die Spur seiner Tante. In dem Buch sind die ersten 40.000 Namen von Vermissten aus sowjetischen Lagern aufgeführt. "Und am 8. Mai hatte die Namenlosigkeit der in Haft Umgekommenen ein Ende", erzählt Hager. Denn da wurde in Ketschendorf eine Gedenktafel mit den Namen aller dort Verstorbenen enthüllt. Klar, dass der Bielefelder dabei war.

Klaus-Jürgen Hager möchte alle Menschen, die immer noch im Unklaren über den Verbleib ihrer Angehörigen sind, ermuntern, den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes oder die Möglichkeiten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dessen Mitglied er ist, in Anspruch zu nehmen. "Es ist nie zu spät", meint er. Erst vor zwei Wochen sprach er das erste Mal mit einem Cousin, der in Hamburg lebt. Ihn hatte er über eine Recherche nach dem Verbleib seines Onkels, der in russischer Gefangenschaft gestorben war, wieder gefunden.

20./21.11.2004
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