Lippische Landes-Zeitung ,
19.11.2004 :
Fünf Rezepte zur Genesung / Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel zieht beim "Phoenix-Kolloquium" 500 Besucher an
Lemgo (bas). Einen solch großen Andrang erlebt das Audimax der Fachhochschule Lippe und Höxter in Lemgo nicht alle Tage: Gestandene Unternehmer, Studenten und interessierte Bürger teilten sich gestern Abend die 350 Plätze im überfüllten Hörsaal. Weitere 150 Gäste mussten sich eine Etage höher mit einer Live-Übertragung per Großbildleinwand begnügen. Anlass für die Besucherströme war der Auftritt von Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel bei der siebten Auflage des "Phoenix-Kolloquiums".
Der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) und langjährige Top-Manager von IBM gilt als einer der renommiertesten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft. Unter dem Titel "Deutschland fit machen für den Wettbewerb" beeindruckte der 64-Jährige in Lemgo mit seiner eineinhalbstündigen Rede. Henkel verpasste dem Patienten "Deutschland" in seinem mit Anekdoten, provokanten Thesen und philosophischen Gedanken gespickten Vortrag fünf Rezepte zur grundlegenden Gesundung: Wahrheit, Freiheit, Wettbewerb, Nachhaltigkeit und eine Systemüberarbeitung.
Eines bekamen die Zuhörer allerdings nicht geliefert - ausuferndes Wehklagen über die aktuellen Beschwerden. "Sie werden heute keine Jammerei hören über Arbeitszeiten oder Steuerbelastung des Mittelstands. Ich kann das alles nicht mehr hören. Ich kann mich selbst nicht mehr hören. Es geht mir mehr um die Struktur." Seine Rezepte, so bekundete Henkel, seien allerdings unüblich in Deutschland: "Es sind Rezepte, mit denen ich auch anecke."
Stichwort Wahrheit: Diese werde in der Bundesrepublik generell nur unter vier Augen gesagt. "Darüber reden wir Deutschen nicht", sei scheinbar eine kollektive Abmachung. "Warum gehört beispielsweise ein Flächentarifvertrag zum deutschen Kulturgut? Wenn Sie hier am Tarifkartell rütteln, müssen Sie eigentlich am nächsten Tag in Großbritannien um politisches Asyl bitten." Viele Politiker würden den Menschen einreden, es gäbe einen Unterschied zwischen dem Interesse der Wirtschaft und dem Interesse der Gesellschaft. "Aber wir alle sind an der Wirtschaft beteiligt. Wir dürfen uns diesen Graben nicht einreden lassen."
Stichwort Freiheit: Hier hätten die Deutschen den Bogen im Ringen um Gleichheit total überspannt und dadurch viel Freiheit verloren. "Ich glaube, ,Soziale Gerechtigkeit' ist hier ein demagogischer Begriff. Ich kenne jedenfalls kein Land, wo der Unterschied zwischen Arm und Reich so gering ist, wie bei uns", betonte Henkel. Stattdessen müsse man den Wettbewerb wieder zulassen. "Den lieben die Deutschen aber leider nur beim Sport. Warum haben wir bei den Pisa-Studien so schlecht abgeschnitten? Weil auch der Wettbewerb in der Bildung abgeschafft wurde." Eingangsprüfungen für Hochschulen, Studiengebühren mit Stipendien für finanziell benachteiligte Begabte und Wettbewerb zwischen den Hochschulen lauteten die Henkelschen Pillen zur Gesundung des Bildungssystems.
Selbst vor einer Verfassungsreform machte der 64-jährige nicht Halt. Hier werde es in Zukunft aber eine Verbesserung der Entscheidungswege in puncto Gesetzgebung geben, prophezeite der Wirtschaftsexperte. Unter dem Strich zog er somit auch ein positives Fazit: "Wenn wir die fünf Rezepte annehmen, wird Deutschland fit für den internationalen Wettbewerb bleiben."
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