Höxtersche Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
18.11.2004 :
"Die Zukunft Europas hängt von uns ab, von uns persönlich" / Dr. Otto von Habsburg als Gast des Freundeskreises Corveyer / Dynamiker über das Leben in und mit Europa
Von R. Hoffmann-Wittenburg
Höxter. "Es werden Wunder geschehen! Sie werden sehen!" Das ist keine Beschwörung und kein Versprechen. Dr. Otto von Habsburg stellt es fest – kraft seiner Überzeugung, Lebenserfahrung und seiner Kenntnisse von Politik und Geschichte.
Die Begegnung mit dem bekennenden Europäer, Sohn von Kaiser Karl I. und einstigem Kronprinzen von Österreich-Ungarn, im Kaisersaal von Schloss Corvey ist nicht nur für die Gastgeber, den Freundeskreis Corveyer Dynamiker unter Vorsitz von Thomas Schöning, eine Ehre. Sie ist darüber hinaus beeindruckendes Erlebnis und geeignet, eigene Sichtweisen zu überdenken.
"Ich bin ja schon alt", sagt Otto von Habsburg und weist auf seinen 92. Geburtstag in der nächsten Woche hin. Das ist vielleicht das Einzige, das man angesichts seines Auftretens, seiner geistigen Frische und der sich vermittelnden Zuversicht, was die Entwicklung Europas betrifft, bezweifeln möchte.
Otto von Habsburg hält keinen Vortrag, er erzählt. In freier Rede berichtet er von Erlebnissen, Begegnungen mit den politischen Größen des 20. Jahrhunderts, die er persönlich kennt, kannte oder sich durch sein großes Interesse am Weltgeschehen kenntlich gemacht hat. Erinnerungen und Anekdoten stehen nicht einfach nebeneinander, sondern sind so miteinander verwoben, dass sie eine große Geschichte darstellen: die Geschichte Europas. Er nennt Namen und Daten, die an diesem Abend wohl kein anderer außer ihm so parat haben dürfte, bringt Ereignisse von gestern und heute in Zusammenhang, zeigt Ursachen und Wirkung auf und verknüpft alles mit seinen Gedanken und Schlussfolgerungen. Und er geht auf die Gedanken, aber vor allem die Ängste derer ein, die sich mit ihm als Zeitzeugen auf Zeitreise begeben. Deutlich wird vor allem: Die Reise ist längst nicht zu Ende. Die Menschheit hat Zukunft, Europa hat Zukunft. Aber: "Die Zukunft Europas hängt von uns ab, von uns persönlich", stellt er klar.
"Es war ein wunderschöner 1. Mai", leitet er seine Stellungnahme zur EU-Erweiterung um zehn Staaten in diesem Jahr ein. Obwohl: Neun hätten ihm auch gereicht, räumt er ein und erklärt, dass er über Zypern nicht erfreut sei. Nicht alles sei positiv, und am Beispiel von Griechenland und der Türkei, wo es in Volksabstimmungen jeweils 70 Prozent Zustimmung bzw. Ablehnung gegeben hat, habe sich gezeigt, dass Regierungen das Gegenteil von dem machen, was die Leute wollten. "Griechenland ist drin und die Türkei draußen", stellt er kopfschüttelnd fest. Seine Überzeugung kann das jedoch nicht erschüttern: "Der Beitritt der zehn neuen Staaten ist ein großer Fortschritt für Europa."
Eindeutig spricht er sich gegen die Angst aus und nennt Beispiele. "Ängste bestehen, seit Europa begonnen hat zusammenzuwachsen", aber keines der beschriebenen Horrorgemälde sei tatsächlich eingetreten. Natürlich habe die Entwicklung Europas große wirtschaftliche Bedeutung, doch davor Angst zu haben, sei unnötig.
Wichtig sei, die Dinge und die Welt so zu sehen, wie sie sind. "Ein großes Europa bedeutet großen Sicherheitsschutz." Wichtig sei auch, sich mit dem zu befassen, was die Gegenseite denkt. "Um nicht zu erkennen, dass Russland diese Gegenseite ist, muss man schon sehr blind sein", führt Otto von Habsburg aus.
Auch dem Phänomen des deutschen Pessimismus rückt Otto von Habsburg zu Leibe. Vor allem seien es die Massenmedien, die Trübsal blasen. Gäbe es tatsächlich einmal keine "Katastrophe des Tages oder Monats" zu melden, ließe sich garantiert eine deutsche Mannschaft finden, die irgendwo ein Spiel verloren habe.
"Ich bin kein Pessimist", erklärte er. "Gott sei Dank, dass ich das alles erlebt habe, kann ich heute mit 92 Jahren sagen. Am Anfang war es furchtbar, aber jetzt ist es wunderschön."
Im Anschluss an den offiziellen Teil der Veranstaltung, die feierlich mit einem musikalischen Vortrag der Mezzosopranistin Maren Fliegel und Linda Wiebe am Klavier sowie dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Höxter eingeleitet wurde, war es lange möglich, auch persönlich mit Otto von Habsburg ins Gespräch zu kommen. Eine Gelegenheit, die sich auch Hausherr Franz Albrecht Herzog von Ratibor und Fürst zu Corvey, nicht entgehen ließ. War es doch das erste Mal, dass ein Habsburger den Mauern Schloss Corveys einen Besuch abstattete.
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