Neue Westfälische 09 - Herford ,
16.11.2013 :
Ein Stück seiner Würde zurück / Zum Volkstrauertag: Später Erfolg bei der Suche nach einem Foto
Von Stadtarchivar Dieter Begemann
Herford. "Nichts ist älter, als die Zeitung von gestern", behauptet eine weit verbreitete Redensart. Dass auch in einer älteren Zeitung wichtige Informationen zu finden sein können, erlebte jetzt die in Herford in der Tribenstraße aufgewachsene Gudrun Eussner. Die 71-jährige lebt heute in Perpignan (Südfrankreich) und beschäftigt sich zur Zeit intensiv mit ihrer Familiengeschichte.
Bei der Wehrmachtsauskunftsstelle (WAST) in Berlin hatte sie sich nach Informationen über ihren Onkel Oskar Aschoff erkundigt. Daraufhin erhielt sie den amtlichen Bescheid, dieser sei am 2. Mai 1944 in Dortmund "ums Leben gekommen".
Was sich hinter dieser Formulierung verbarg, erfuhr Gudrun Eussner, als sie anschließend im Internet nach weiteren Informationen suchte. Dabei stieß sie auf den NW-Artikel "Ein ganz unbedarfter Junge", in dem der Autor dieses Artikels vor einem Jahr zum Volkstrauertag das Schicksal Aschoffs beschrieben hatte.
Als 17-Jähriger war er vom Kriegsgericht der 176. Division in Bielefeld zum Tode verurteilt worden, weil er für sich und seine Kameraden in einem Dorf bei Minden eine Mettwurst "organisiert" hatte. Mit jugendlicher Naivität und aus Angst vor Strafe hatte er dann versucht, mit dem Zug zu seiner in Holland lebenden Schwester zu kommen, um sich dort zu verstecken. Aschoff wurde entdeckt, verhaftet und als "Deserteur" in den Abendstunden des 2. Mai mit der Fallbeilmaschine im Dortmunder Gefängnis hingerichtet.
Gudrun Eussner war erschüttert, als sie jetzt von dieser Geschichte erfuhr. Als ihr Onkel ermordet wurde, war sie zwei Jahre alt. Ihre Mutter hatte ihr nie etwas Genaueres über dessen Schicksal erzählt.
Als Oskar Aschoff starb, war er 18 Jahre alt. Er hatte nicht viele Gelegenheiten, in seinem Leben Spuren zu hinterlassen. Von ihm blieb ein Grabstein auf dem Dortmunder Hauptfriedhof, von dem niemand in Herford etwas wusste. In seiner Heimatstadt erinnert nichts an ihn. In dem Zeitungsartikel vor einem Jahr bat die NW deshalb um Hilfe, um ein Foto von ihm zu finden.
Wenig Chancen, Spuren zu hinterlassen
Ein solches Bild schickte Frau Eussner jetzt aus Perpignan. Es zeigt den jungen Soldaten, offen und freundlich in die Kamera blickend, vermutlich in der Uniform, in der er kurze Zeit später ermordet wurde.
Über 20 Jahre nachdem mit der Suche nach Informationen über Oskar Aschoff begonnen wurde, schließt sich damit ein Kreis. Den Nazis ging es darum, unzählige Menschen und ihre Geschichte auszulöschen.
Viele Schicksale sind danach tatsächlich jahrzehntelang verschwiegen, verdrängt und vergessen worden.
Es ist ein gutes Gefühl, wenn einer dieser Vergessenen mit seinem Bild auch öffentlich ein Stück seiner Würde zurückbekommt.
Die Suche geht weiter
Die Suche nach historischen Fotos und geschichtlichen Informationen braucht einen langen Atem.
Seit langem sucht Stadtarchivar Dieter Begemann auch nach Hinweisen und Fotos der Herforder Wilhelm und Willy Osterhagen, die an der Johannisstraße / Ecke Wiesestraße wohnten. Beide gehörten der KPD an und waren an Flugblattaktionen gegen die Nazis beteiligt.
Willy Osterhagen galt deshalb als politisch "unzuverlässig" und kam als so genannter 999er in ein Bewährungsbataillon, das er nicht überlebte. Sein Vater Wilhelm gehörte nach 1945 auch der ersten politischen Vertretung an, die von den Alliierten in Herford nach der Befreiung von der Nazi-Diktatur eingerichtet wurde. Wilhelm Osterhagen bemühte sich in rührender Weise um das Gedenken an seinen Nachbarn Heiko Ploeger, der ebenfalls von den Nazis ermordet worden war.
Hinweise und Fotos bitte an Dieter Begemann, Tel. (05221) 2753907.
Gedenkstunde am Bergertor
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge richtet gemeinsam mit der Stadt wieder die Gedenkstunde am Mahn- und Ehrenmal Bergertor anlässlich des Volkstrauertages am Sonntag, 17. November aus. Beginn ist um 10 Uhr mit einer Heiligen Messe in Maria Frieden oder ab 10 Uhr Gottesdienst in der Münsterkirche mit Pfarrer Dr. Olaf Reinmuth. Ab 11.30 Uhr beginnt die musikalische Einleitung am Mahn- und Ehrenmal Bergertor durch den Posaunenchor der Christus-Kirchengemeinde unter Leitung von Professor Ulrich Hirtzbruch. Die Besucher und Teilnehmer versammeln sich ab 11.45 Uhr. Nach offiziellen Ansprachen gestalten Schüler der Otto-Hahn-Realschule das Gedenken. Die Worte werden durch den Bläserkreis musikalisch unterlegt. Unmittelbar nach der Totenehrung schließt sich die Kranzniederlegung an.
Bildunterschrift: Hingerichtet: Oskar Aschoffs Nichte hatte noch ein Foto von ihrem Onkel - und war erschüttert von dessen Geschichte.
Bildunterschrift: Stummer Zeuge eines Verbrechens: Der Grabstein an Oskar Aschoffs Ruhestätte auf einem Dortmunder Friedhof.
16./17.11.2013
herford@neue-westfaelische.de
|