www.hiergeblieben.de

Lippische Landes-Zeitung , 10.11.2004 :

Der Nenner, der ein Leben rettete / Die Gemeinsamkeit mit einem Wehrmachtsoffizier verschonte Blanka Ferber - Ihr Sohn sucht ihn nun

Von Martin Hostert

Detmold. Weil sie in Detmold Deutsch gelernt hatte, überlebte Blanka Ferber - und weil ein hoher Wehrmachtsoffizier, vermutlich ein Oberst, aus Detmold stammte. Oder hier stationiert war. Solche Details sind in den vielen Jahren verloren gegangen. Doch Blanka Ferber überlebte. "Es ist eine große Geschichte, eine Geschichte über Menschlichkeit in einer äußerst unmenschlichen Zeit", charakterisiert Miklos Ferber aus Michigan/USA das Ereignis, das seiner jüdischen Mutter in den Wirren des Zweiten Weltkrieges das Leben gerettet hat. Jetzt hat der Amerikaner sich auf die Suche nach dem Mann gemacht, der das Leben seiner Mutter rettete - dem Detmolder Oberst.

Diese große Geschichte soll erzählt werden - recherchiert von Ferber und vom Detmolder Stadtarchivar Andreas Ruppert, den Ferber um Hilfe bat.

Miklos' Mutter Blanka Gelber wird am 6. Dezember 1907 in Janosi, Österreich-Ungarn, geboren. Ihr Vater schickt sie 1922 für zwei Jahre nach Detmold, wo sie - für Osteuropäerinnen ein unschätzbares Wissen - auf einem der Pensionate Deutsch lernt, wie Ruppert nach den Angaben des Amerikaners annimmt. Sicher ist das allerdings nicht, denn auch von diesen Mädchenpensionaten für "höhere Töchter " - es existierten in Detmold zwei - gibt es keine Unterlagen mehr.

1924 heiratet Blanka Gelber in Gice/Slowakei den Weltkriegsveteran Gyula (Julius) Ferber. Nach dem Münchner Abkommen fällt der Landstrich 1938 an Ungarn. "Mein Vater war hochdekoriert - daher war meine unmittelbare Familie von den Jüdischen Gesetzen ausgenommen. Meine Eltern und mein Bruder entkamen dem KZ", erklärt Ferber heute rückblickend. Und dennoch: Die Ferbers bekommen den Hass der ungarischen Nazis, der "Pfeilkreuzler", zu spüren. Der Vater und der Bruder flüchten im Herbst 1944 in die Karpaten, überleben dort in einer Gruppe von Deserteuren, Juden und Antifaschisten.

Das Martyrium endet jedoch nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Slowaken stempeln Gyula Ferber als ungarischen Verräter ab und vertreiben die Familie 1949 nach Ungarn. Dort muss er als "Feind der arbeitenden Klasse" fünf Jahre Zwangsarbeit leisten. "Seine Gesundheit war gebrochen, er starb 1959 und ist in Budapest begraben", schreibt Ferber. Sein Bruder emigriert in die USA. Er, damals 18 Jahre alt, und die Mutter folgen 1963.

Zurück zur Mutter und zur Geschichte ihres Überlebens. Sie weigert sich, in die Berge zu gehen. Und als im Oktober 1944 die Deutschen auf dem Rückzug sind, wählen sie in Gice das Haus der Ferbers zum Hauptquartier. "Sie suchten einen Übersetzer. Meine Mutter meldete sich und der Kommandant fragte sie, woher sie ein so gutes Hochdeutsch könne. Als meine Mutter antwortete, sie habe es in Detmold gelernt, war das für den Offizier wie ein Schock: Denn er kam aus Detmold", schildert Ferber die Ereignisse. Der Oberst habe die Mutter getestet, nach der Schule und ähnlichem gefragt.

Später wollen dann ungarische Nazis die Frau mit zum Verhör nehmen, doch der deutsche Oberst interveniert: "Sag ihnen, sie haben zehn Sekunden Zeit, um zu verschwinden, oder sie werden erschossen", befiehlt er der Mutter, und nimmt sie unter seinen persönlichen Schutz. Zwei Wochen später, kurz bevor die Russen einmarschieren, verschwinden die Deutschen - wie Ferber berichtet, gab es für seine Mutter sogar noch ein Abendessen. "Er musste wissen, dass sie Jüdin war. Die Torah-Rolle war im Haus. Offensichtlich interessierte ihn das nicht. Es muss unglaublich für ihn gewesen sein, in einem abgelegenen ungarischen Dorf jemanden mit Detmolder Wurzeln zu finden."

Die Verbindungen des Obersten zu Detmold kann Andreas Ruppert jedoch nicht klären. "Möglicherweise war er hier nur stationiert", vermutet der Archivar. Seine Nachforschungen beim Militärarchiv in Freiburg haben ergeben, dass in jener Zeit die 154. Feldausbildungs-Division in der Nähe von Hucin stationiert war. Offensichtlich war der Oberst eher zufällig in diese dort aus versprengten Einheiten zusammengesetzte Division geraten, die 154. hatte mit Detmold nichts zu tun.
Miklos Ferber weiß, dass seine Suche derjenigen nach einer Nadel im Neuhaufen entspricht. Seine Mutter starb 1974, er kann sie nicht mehr nach Details fragen. Ferber: "Ich romantisiere nichts, es war ein unglaubliches, zufälliges Zusammentreffen. Da war ein Hauch von Menschlichkeit, das auf einem gemeinsamem Band zwischen dem Offizier und meiner Mutter und ihrer Nützlichkeit als Dolmetscherin basierte. Aber: Sie wäre sonst ermordet worden. A small miracle (ein kleines Wunder)."

Andreas Ruppert hält es für sehr unwahrscheinlich bis unmöglich, den Namen des Offiziers herauszubekommen. Die in Detmold stationierten Einheiten seien sehr oft umstrukturiert worden, Karrieren der Einheiten und der Offiziere seien kaum zu rekonstruieren. Kriegstagebücher auf Divisionsebene reichen nur bis Dezember 1943.

Miklos Ferber, der sich Ruppert für dessen Bemühungen "tief verpflichtet fühlt" und ihm überaus dankbar ist, will das "sehr emotionale Kapitel" seines Lebens im kommenden Jahr schließen. Im Mai nimmt der Universitätsprofessor an einer Konferenz der ungarischen Hochschule in Rumänien teil, dann will er Detmold besuchen. Miklos Ferber ist guter Hoffnung, dann jemanden aus der Offiziersfamilie zu treffen: "Schließlich hat auch Kanzler Schröder herausgefunden, wo in Transsylvanien sein Vater beerdigt worden ist. Ich bin guter Hoffnung, dass die Identität des Obersts in Detmold gelüftet werden kann. Meine Familiengeschichte ist beispielhaft für die fürchterlichen Umwälzungen in Europa im 20. Jahrhundert. Lass uns hoffen, dass das neue Jahrhundert ein besseres wird."


detmold@lz-online.de

zurück