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Die Glocke , 09.11.2004 :

Pogromnacht vor 66 Jahren / In Hebräisch der Toten gedacht

Rietberg (pkb). "Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, ist nicht tot. Tot ist nur, wer vergessen ist." Diese Inschrift mehrerer Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Neuenkirchen stellte Pastor Dietrich Fricke in den Mittelpunkt einer Gedenkfeier. Zahlreiche Besucher waren auf dem Gelände erschienen, um den Verstorbenen ihre Ehre zu erweisen.Auch im Hinblick auf die Pogromnacht heute vor 66 Jahren, am 9. November 1938, stellte die Evangelische Kirchengemeinde eine Veranstaltungsreihe zusammen, zu der das Zeremoniell gehörte. "Sie setzen ein schönes Zeichen mit ihrem Hiersein", betonte Fricke, an die Besucher gewandt, "es gibt ja nur noch wenige Stätten des Judentums, die im Bereich der ehemaligen Grafschaft Rietberg erhalten sind." Aus der hebräischen Bibel verlas der Pfarrer in der Originalsprache unter anderem das Glaubensbekenntnis des Judentums, das mit den Worten beginnt: "Höre Israel, der Herr Dein Gott ist einer". Der evangelische Geistliche: "Wenn der Inhalt des Bekenntnisses Wirklichkeit gewesen wäre vor 66 Jahren, dann wäre die Geschichte Deutschlands anders verlaufen. Und wir können uns nicht der Volkslüge hingeben, dass nichts geschehen ist. Dafür stehen Majdanek, Treblinka und Auschwitz." Fricke meinte weiter: "Wer heute vor der Klagemauer steht mit einer Nummerntätowierung im Arm, der weiß, was es heißt, frei beten zu dürfen." Viele Vornamen auf den Grabsteinen des jüdischen Friedhofes in Neuenkirchen belegten die enge Verwurzelung des Judentums mit dem Christentum, letzteres begründe sich schließlich auf ersterem. "Ich wünsche uns, dass die Welt so etwas wie im Dritten Reich nicht mehr mittragen wird, ganz gleich gegenüber jeglicher Person." Gemeinsam beteten die Besucher das Vaterunser, das sich, so Fricke, aus den 18 Bitten des Judentums entwickelt habe, "in Achtung, Demut und in dem Gedenken an die Verstorbenen und die eigene deutsche Geschichte". Beim anschließenden Rundgang übersetzte er jene fünf hebräischen Buchstaben, die sich auf den jüdischen Grabsteinen finden: "Dein Name ist aufgeschrieben im Buch des Lebens."


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