Mindener Tageblatt ,
26.11.2003 :
Rechtsradikale Druckschrift im Visier der Staatsanwaltschaft / "Collegium Humanum" vom Staatsschutz durchsucht / Holocaust verharmlost / 76-Jährige beschwert sich beim Landgericht
Von Stefan Koch
Vlotho/Bielefeld/Minden (mt). Das "Collegium Humanum" in Vlotho bekam gestern Besuch von der Polizei. Grund: Der rechtsradikale Kreis steht im Verdacht, die Vernichtung der europäischen Juden durch Druckschriften öffentlich in Frage gestellt zu haben.
Sie soll kooperativ und freundlich gewesen sein, als die Polizei gestern um 10 Uhr an ihrer Vlothoer Wohnungstür klingelte: Ursula Haverbeck-Wetzel ist die Vorsitzende des amtsgerichtlich eingetragenen Vereins "Collegium Humanum". Da ihre Organisation bei der Pflege braunen Gedankengutes über das gesetzlich beschränkte Maß hinausging, durchsuchten Kräfte der Bielefelder Staatsanwaltschaft und des Staatsschutzes nicht nur ihre Wohnung, sondern auch die zu einem Seminargebäude umfunktionierten Schule in Vlotho sowie eine Druckerei. Die 76-Jährige tat gestern bereits kund, dass sie gegen die Aktion beim Bielefelder Landgericht Beschwerde einlegen werde.
Hintergrund: Vor einigen Wochen erhielt die Staatsanwaltschaft Bielefeld einen Hinweis auf die Ausgabe Nummer 5 der Vereinspostille "Stimme des Gewissen". In dem Druckerzeugnis nimmt Ursula Haverbeck-Wetzel Bezug auf Untersuchungen der Opferzahlen des Holocaust und bezeichnet die Vernichtung der europäischen Juden durch die Machthaber des Dritten Reiches als Lüge. Zudem beschreibt ein weiterer Artikel des Blattes ein Treffen der "Human-Collegiaten" im Sommer auf der Wartburg, wo ähnliche Behauptungen gefallen sein sollen.
Hermann Simonsen, der zuständige Staatsanwalt in Bielefeld: Damit sei gegen Paragraph 130 des Strafgesetzbuches verstoßen worden, der den Tatbestand der Volksverhetzung behandele. Darin mache sich unter anderem strafbar, wer den Holocaust verleugne oder verharmlose.
Pikantes Detail am Rande: Bei ihrer Durchsuchung nahmen die Beamten nicht nur zehn Exemplare der Septemberausgabe mit, sondern auch einen PC und ein handgeschriebenes Anschriftenverzeichnis. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass es bis zu 2500 Abonnenten der "Stimme des Gewissen" gibt - jetzt läuft die Sichtung des Materials. Simonsen: "Die Namen der im Verteiler befindlichen Personen werden nicht veröffentlicht." Der bloße Besitz der Zeitschrift sei nicht strafbar.
Das "Collegium" gibt seit mehr als 30 Jahren seine "Stimme des Gewissens" heraus, deren Schriftleiter gestern ebenfalls Besuch von der Polizei in Rotenburg an der Wümme bekam. Der Verein verfügt über zahlreiche Kontakte zu rechtsradikalen Organisationen. Im April 2001 fand eine Schulungswochenende mit einschlägig bekannten Neonazis aus Ostwestfalen statt, wie aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen hervorgeht. Auch andere, als Seminare deklarierte Veranstaltungen gab es in Vlotho - begleitet vom Echo antifaschistischer Gruppen. Ansonsten soll die Organisation an ihrem Stammsitz kaum in Erscheinung getreten sein.
mt@mt-online.de
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