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Neue Westfälische ,
01.11.2004 :
Was der Kosovo-Krieg lehrt / Ethische Überlegungen auf einer Bielefelder Tagung
Von Manfred Strecker
Bielefeld/Paderborn. 78 Tage lang dauerte der Luftkrieg, den die NATO ab dem 24. März 1999 gegen Jugoslawien führte, um die Serben an der mutmaßlich geplanten ethnischen Säuberung des Landesteils Kosovo von der albanischen Bevölkerung zu hindern. Über die Kriege in Afghanistan und im Irak wurde diese Kampagne längst vergessen, ist sie aber auch bewältigt? Moralisch, völkerrechtlich, weltpolitisch?
Philosophen, Rechtswissenschaftler und Friedensforscher haben daran ihre Zweifel. Der Kosovo-Krieg ist für sie ein Beispielfall für die Frage, inwieweit militärisches Eingreifen überhaupt gerechtfertigt werden könnte, um manifeste Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten zu unterbinden, die etwa die souveräne Staatsgewalt gegen einen Teil des eigenen Staatsvolks verübt.
Für die Deutschen war diese so genannte "humanitäre Interaerition" im Kosovo besonders prekär, weil daran erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten an einem Kampfeinsatz, dazuhin jenseits von Beistandspflichten aus der NATO-Mitgliedschaft beteiligt waren. Bedenklich nicht nur aus historischen Gründen; die "deutsche Wehrmacht" hatte die serbisch-jugoslawische Hauptstadt Belgrad 1942 bei der blitzkriegartigen Eroberung des Balkan auch schon einmal aus der Luft bombardiert. Das Grundgesetz jedoch stellt die Vorbereitung eines Angriffskriegs unter Strafe.
Die weltpolitische Dimension des Kosovo-Kriegs ergibt sich daraus, dass ein Militärbündnis, die NATO, ohne Deckung und Auftrag durch den Weltsicherheitsrat der UN den Angriff auf einen souveränen Staat unternahm, damit völkerrechtliche Gepflogenheiten unterlief, sich aber zumindest moralisch - sozusagen als Nothelfer für die von Tod und Vertreibung bedrohte albanische Bevölkerung des Kosovo - gerechtfertigt sah.
Haben so genannte humanitäre Interventionen, hatte der Kosovo-Krieg tatsächlich Moral? Die Bilanz einerTagung von Philosophen und Friedensforschern am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld, veranstaltet im Jahr 2002, fällt denkbar ungünstig aus - nachzulesen in einem jetzt erschienenen Band des Paderborner "mentis"-Verlags, der einen ersten Teil der überarbeiteten Vorträge enthält.
Einigkeit herrscht allerdings nicht Trotz schwerer Verstieße gegen die Regeln des "gerechten Kriegs", wie ihn die NATO begangen habe, sei der Angriff auf Serbien gerechtfertigt gewesen, bekräftigt Ulrich Steinvorth, Universität Hamburg.
Mit diesem den Luftkrieg bejahenden Urteil steht er allerdings allein. Für Georg Meggle, Universität Leipzig, zum Beispiel ließen sich zwar humanitäre Interventionen zur Beendigung massiver Menschenrechtsverletzungen moralisch rechtfertigen. Doch im Fall des Kosovo nahmen Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der albanischen Bevölkerung erst nach Beginn der NATO-Bombardierungen nicht mehr tolerierbare Ausmaße an, sodass die Intervention das Übel erst einmal hervorgebracht hat, dem sie begegnen sollte.
Unschuldige Opfer nicht auszuschließen
Der Bielefelder Philosoph Rüdiger Bittner dagegen bewertet die Bezeichnung "humanitäre Intervention" als eine Beschönigung. Wer mit modernen Gewaltmitteln interveniere, führe Krieg. Trotz angeblich präziser Lenkwaffen sind für Bittner Opfer unter Unschuldigen und Unbeteiligten nicht auszuschließen - die Luftbombardements in Serbien haben es bewiesen. Daher seien humanitäre Interventionen bei allen gut gemeinten Absichten immer Unrecht.
Die Aufsätze des Bandes behandeln nicht nur ethische, sondern auch völkerrechtliche Grundsatzfragen. Immer wieder gehen die Autoren auf die Begleitumstände des Kosovo-Kriegs ein - auf die zweifelhafte Ausgangslage für das NATO-Bombardement, die ungeklärte Rolle der albanischen UCK, die an der Eskalation der Gewalt nicht unschuldig schien, oder auf die Strategien, die deutsche Öffentlichkeit auf den Kriegsgang durch die Suggestion einzustimmen, es ereigneten sich im Kosovo Verbrechen im Ausmaß von Auschwitz.
Bei aller Ungeklärtheit der Probleme handelt es sich bei dem Aufsatzband um ein wichtiges Buch. Kriege um Menschenrechte werden die Weltpolitik bestimmen, und die Bundeswehr wird dabei eine Rolle spielen.
Georg Meggle (Hrsg.): Humanitäre Interventionsethik. Was lehrt und der Kosovo-Krieg. Mentis, 290 S. , 34 Euro.
01./02.11.2004
redaktion@neue-westfaelische.de
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