Westfälisches Volksblatt / Westfalen-Blatt ,
21.03.2013 :
"In meiner Jugend gab es kein Auschwitz" / Eva Sternheim-Peters berichtet über ihre Kindheit in der NS-Zeit
Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Lebensberichte von Zeitzeugen des Nationalsozialismus stehen bei den Paderborner Schulen hoch im Kurs. Nach "Hitlerjunge Salomon" (Sally Perel) berichtete jetzt Eva Sternheim-Peters über ihre Jugend im "Dritten Reich".
Die heute in Berlin lebende Autorin des Buches "Habe ich denn allein gejubelt? - Eine Jugend im Nationalsozialismus" ist in Paderborn groß geworden. Die 1925 geborene Lehrertochter besuchte zunächst die St.-Michael-Schule und machte 1943 am Pelizaeus-Gymnasium das Abitur. An beiden ehemaligen Schulen war Sternheim-Peters, die in der kommenden Woche ihr 88. Lebensjahr vollendet, in den vergangenen zwei Tagen mit einer Kombination aus Vortrag und Lesung zu Gast.
Ihre jugendliche Begeisterung für den "Reichsführer" Adolf Hitler begründete die rüstige Seniorin mit den schon im Alltag sichtbaren Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation. Die vielen Arbeitslosen, die Anfang der dreißiger Jahre auch in Paderborn das Straßenbild bestimmten, seien zusehends wieder in Arbeit und Brot gekommen. "Bei uns zu Hause hat es in der Weimarer Zeit täglich bis zu zehn Mal geklingelt - das waren Arbeitslose, die bettelten", erzählt Sternheim-Peters.
Die Nationalsozialisten hätten es in der Folgezeit geschafft, durch staatliche Arbeitsmaßnahmen die Leute von der Straße zu holen. In Paderborn seien die Kanalisation erneuert, Straßen ausgebaut und Häuser saniert worden. "Es machte sich ein allgemeines Gefühl der Sicherheit breit. Die Mehrheit der Bürger war von der Regierung und auch dem dann folgenden Krieg überzeugt."
Selbst die Nürnberger Gesetze von 1934, die den Juden die Bürgerrechte entzogen, seien begrüßt worden. "Diese Gesetze liefen in Paderborn offene Türen ein. Ein Katholik konnte hier sowieso keinen Ungetauften heiraten." Die Katholische Kirche habe sich jedenfalls in der Juden-Frage sehr zurückgehalten. Sie selbst habe auf Grund der Propaganda Juden immer "mit einer Mischung aus Mitleid und Grauen angeschaut", bekannte Sternheim-Peters, die nach dem Krieg selbst einen Juden geheiratet hat. Wie irrational die NS-Propaganda für Jugendliche gewesen sei, verdeutlichte sie an einem Beispiel aus ihrer Schulzeit: "Wir lernten die Herkunft der Vornamen. In meiner Klasse gab es damals nur drei Mädchen mit deutschen Vornamen, und eine von ihnen, Irmgard, war Jüdin."
"Der verlorene Krieg wurde als nationale Katastrophe gesehen."
Eva Sternheim-Peters
Wann ihr selbst denn Zweifel am NS-System gekommen seien, wurde Sternheim-Peters gestern im Pelizaeus-Gymnasium gefragt. Einer direkten Antwort wich die Autorin aus. "Ich kenne niemanden, der sich 1945 befreit gefühlt hat. Der verlorene Krieg wurde als nationale Katastrophe empfunden." Auch den Holocaust habe sie erst nach dem Krieg in seiner ganzen Tragweite begriffen. "Die ersten Meldungen über Konzentrationslager im Osten haben wir lange nicht geglaubt. Das waren für uns ausgedachte Gräuelmärchen. In meiner Jugend gab es Auschwitz nicht."
Eva Sternheim-Peters steht zu ihrer Vergangenheit und distanziert sich ausdrücklich von manchen Mitläufern ihrer Generation, die nach der Kapitulation versucht hätten, sich als heimliche Nazi-Gegner auszugeben. Ihre Jugenderinnerungen schrieb sie 1987 in ihrem Buch "Habe ich denn allein gejubelt?" nieder, das zwischenzeitlich vergriffen war und jetzt wieder in einer Neuauflage im Karin-Kramer-Verlag (Berlin) erschienen ist.
Mit dem Juden Sally Perel, der im vergangenen November im Pelizaeus-Gymnasium von seiner unglaublichen Geschichte als "Hitlerjunge Salomon" berichtete, sei sie noch vor einiger Zeit in ihrem Haus in Berlin zusammengetroffen, sagte Eva Sternheim-Peters am Rande der Veranstaltung. "Wir haben bei mir in der Küche gesessen und gemeinsam Lieder aus der Hitler-Zeit gesungen", verriet die ehemalige Jungmädelführerin. "Viele kann ich bis heute auswendig - alle zehn Strophen."
Bildunterschrift: Eva Sternheim-Peters ist an der Neuhäuser Straße aufgewachsen.
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