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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West , 18.07.2012 :

Steine gegen das Vergessen / In Mitte, Stieghorst und Schildesche wird an fünf Bielefelder erinnert, die von den Nazis verfolgt wurden

Von Stefan Boscher

Mitte / Stieghorst / Schildesche. `"Das Grauen begann nicht erst in Auschwitz, Treblinka oder in anderen Lagern, es begann in unserer Nachbarschaft, vor unserer Haustür." Die Bielefelder Initiative Stolpersteine setzt sich dafür ein, dass Opfer des Nationalsozialismus, die es zahlreich auch in Bielefeld gegeben hat, auch fast 70 Jahre nach Ende der NS-Diktatur nicht vergessen werden. Fünf Steine wurden gestern in mehreren Stadtteilen verlegt.

"Mehr als 65 Stolpersteine hat der Künstler Gunther Demnig bereits in Bielefeld verlegt", sagt Eva Hartog eine der Initiatorinnen des Gedenk-Projekts, das seit 2005 läuft. So wird an jüdische Mitbürger erinnert, die deportiert wurden, an politisch Andersdenkende, Homosexuelle, Andersgläubige - oder andere Menschen, die bei den Nazis aus welchen Gründen auch immer in "Ungnade" gefallen waren.

Karl Schulz kam 1924 nach Bielefeld, geboren wurde er 1894. Als offiziellen Beruf gibt er Kellner an, er soll Mitglied der KPD gewesen sein. Der Vater zweier Kinder geht um 1940 als Hilfszoll-Betriebsassistent auf die estnische Insel Ösel, vermutlich, um dort als Dolmetscher zu arbeiten. Dort wird er auch verhaftet. Ihm wird Zersetzung der Wehrmacht vorgeworfen und - was im Dritten Reich noch schwerer wog - "Beleidigung des Führers". Schulz wurde Recherchen der Initiative "Stolpersteine Bielefeld" zufolge am 21. März 1944 erschossen. Der Gedenkstein wurde gestern an seinem letzten Wohnort in Bielefeld, an der ehemaligen Horst-Wessel-Straße 44, der heutigen August-Bebel-Straße in den Fußweg vor dem Haus mit der Nummer 44 eingelassen.

Reinhard Filges wurde 1914 in Stieghorst geboren, nach Haftaufenthalten in den Konzentrationslagern Buchenwald und Ravensbrück wurde er 1943 in Auschwitz hingerichtet. Der Vorwurf: Militärdienstverweigerung und politische Unzuverlässigkeit. Sein Gedenkstein befindet sich in der Flensburger Straße 22.

Wilhelm Kappe - der Bielefelder wurde im Mai 1943 in Königsberg verhaftet, fünf Monate später dort hingerichtet. Ihm wurde Wehrkraftzersetzung, politische Unzuverlässigkeit und Selbstverstümmelung vorgeworfen. Sein letzter Wohnort, an dem seiner jetzt gedacht wird: Am Bruche 64.

Karl Spreen lebte an der Oerlinghauser Straße 6, der Bielefelder wurde hier 1943 verhaftet wegen Wehrkraftzersetzung und Hochverrates, im Mai 1944 starb er im Zuchthaus Brandenburg durch das Fallbeil.

Friedrich Beckstette - der Vater von acht Kindern arbeitete als Schleifer, bereits 1936 nahm ihn die Gestapo für neun Monate in Haft. Der Vorwurf: "Vorbereitung zum Hochverrat." Ihm wurde bereits mit einem Stein gedacht, dieser wurde gestern versetzt, da die letzte Adresse, an der Beckstette gelebt hat, erst seit Kurzem bekannt ist: Schneidemühler Straße 1a. Beckstette starb im gleichen Jahr - er erhängte sich.

Gegen Ende des Jahres werden weitere Stolpersteine in Bielefeld verlegt, geplant ist, dass am Nikolaustag, 6. Dezember, vier weitere Steine in Bielefelds Straßen verlegt werden. Mit ihnen wird unter anderem an die Familie Julius und Jenni Hesse sowie an das Ehepaar Mosberg in der Lessingstraße erinnert werden.

Stein-Pate werden

Damit ein Stolperstein gegen das Vergessen verlegt werden kann, muss sich ein Pate finden, der die Herstellung des Steines als Spender finanziert.

Nach Angaben von Eva Hartog kostet ein Stein 120 Euro, in den kommenden Monaten und Jahren sollen weitere Stolpersteine gefertigt und dann in Bielefeld verlegt werden - wenn sich genügend Paten finden. Wer sich für das Projekt interessiert oder Stolperstein-Pate in Bielefeld werden möchte, kann sich an die beiden Initiatorinnen des Projekts, Eva Hartog und Dr. Christine Biermann, wenden. Sie sind zu erreichen per E-Mail an hartog@stolpersteine-bielefeld.de

Die Paten werden benachrichtigt, wo und wann der gespendete Stolperstein verlegt wird, damit sie bei der Verlegung anwesend sein können. Seit Anfang der 1990er Jahre wurden europaweit mehr als 17.000 dieser Gedenksteine verlegt.

Weitere Informationen über die Aktion gibt es im Internet unter www.stolpersteine-bielefeld.de.

Bildunterschrift: Vor der August-Bebel-Straße 44: Gunther Demnig verlegt den Gedenkstein für Karl Schulz. Eva Hartog und Patin Dagmar Buchwald (r.) schauen zu.


bielefeld@neue-westfaelische.de

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