Neue Westfälische 01 - Bielefeld West ,
14.07.2012 :
Im Sarg heimgekehrt / 100 Jahre Sennefriedhof (7): Wie der Soldat Werner Brinkmann seine letzte Ruhestätte fand
Von Thomas Kopsieker
Senne. Wohl an keinem anderen Ort in Bielefeld wird man so unmittelbar, so intensiv an die Schrecken und die Sinnlosigkeit des Krieges erinnert wie auf dem Ehrenfeld für die Bombenopfer auf dem Sennefriedhof. 484 Männer, Frauen und Kinder, die in den Jahren 1940 bis 1945 bei Luftangriffen ums Leben gekommen sind, haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. In einem dieser Gräber ruhen die Gebeine von Werner Brinkmann, einem jungen Bielefelder, der streng genommen dort eigentlich gar nicht hätte bestattet werden dürfen.
Die NW-Serie zum 100-jährigen Bestehen des Sennefriedhofs hat NW-Leser Wilfried Brinkmann Mut gemacht, 67 Jahre nach Kriegsende die Geschichte seines Bruders zu erzählen. Die Geschichte des gefallenen Soldaten Werner Brinkmann ist eine Geschichte von Verzweiflung und Trauer, aber sie erzählt auch von Hilfsbereitschaft, Solidarität, Tatkraft und Mutterliebe.
Wann genau der erst 19-jährige Luftwaffensoldat getötet wurde, ist bis heute nicht bekannt. Er gehörte einer hastig zusammen gewürfelten Schar von Soldaten an, der man im Februar 1945 den Befehl gegeben hatte, sich im ländlichen Dürener Stadtteil Arnoldsweiler den vorrückenden, in jeder Hinsicht überlegenen amerikanischen Truppen entgegen zu stellen.
Die Zivilbevölkerung hatte man in Erwartung der militärischen Auseinandersetzung zu diesem Zeitpunkt bereits evakuiert. Als im April einer der Evakuierten, ein Landwirt, auf seinen Hof zurückkehrte, fand er dort die sterblichen Überreste eines blutjungen Soldaten.
Er wickelte den Toten in eine Plane und bestattete ihn in seinem Garten. Auf dem Grab errichtete der gläubige Landwirt ein schlichtes Holzkreuz, auf das er - wie es bei Soldatengräbern Brauch war - den Stahlhelm des Gefallenen stülpte. "Der Bauer wusste zunächst nicht, wer der junge Mann war, der dort auf seinem Grundstück gestorben war, denn der tote Soldat trug keine Erkennungsmarke mehr", berichtet Wilfried Brinkmann. Aber dann fand der Landwirt in einer der Uniformtaschen einen Feldpostbrief, dessen mit Bleistift geschriebener Absender sich mit viel Mühe gerade noch entziffern ließ. Geschrieben hatte den Brief Alma Brinkmann, die Mutter von Wilfried und Werner Brinkmann.
Mit ihr setzte sich der Arnoldsweiler Bauer schriftlich in Verbindung. Alma Brinkmann hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften gehabt. Am 11. Januar 1944 war ihr Mann Paul im Alter von 48 Jahren bei einem Luftangriff auf Bielefeld getötet worden.
Die Witwe, die seit Monaten nichts von ihren Söhnen gehört hatte, reiste so schnell, wie es in jenen wirren letzten Kriegstagen möglich war, mit der Bahn nach Düren. Dort wurde aus der traurigen Vermutung Gewissheit: Der tote Soldat war ihr 19 Jahre alter Sohn Werner.
"Mutter hat ihn an Hand von Haarresten identifiziert, die sich noch in dem Stahlhelm befanden", erzählt Wilfried Brinkmann und fügt leise hinzu: "Ich weiß nicht, wie das möglich war, aber eine Mutter kann das wohl."
Alma Brinkmann beauftragte einen Bielefelder Bestatter, die sterblichen Überreste ihres Sohnes nach Bielefeld zu überführen. "Im Juni 1945 wurde mein Bruder exhumiert und mit einem so genannten Holzkocher, einem dampfbetriebenen Leichenwagen, in einem Sarg heimgeholt", so Brinkmann.
Die ganze Aktion sei illegal gewesen, berichtet der 85-Jährige. So sollte sein gefallener Bruder nach dem Willen der dortigen Behörden eigentlich auf einem Ehrenfeld bei Düren bestattet werden. Brinkmann: "Noch viele Jahre später hat der Bestatter immer wieder zu mir gesagt, er habe meinen Bruder damals geklaut."
Zu allem Überfluss legte sich dann auch noch die Bielefelder Friedhofsbürokratie quer. Brinkmann berichtet: "Die wollten die Bestattung nicht zulassen, weil meine Mutter keinen Totenschein vorlegen konnte.“ Mit viel Überredungskunst gelang es der entschlossenen Alma Brinkmann dann schließlich doch noch, ihren toten Sohn auf dem Sennefriedhof zu bestatten. Zufällig war direkt neben der Grabstelle ihres Mannes auf dem Ehrenfeld der Bombenopfer ein Grab frei. Dort fand Werner Brinkmann nun endlich eine würdige letzte Ruhestätte. Wilfried Brinkmann bekam von all dem nichts mit. "Ich habe erst nach meiner Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft im September 1945 erfahren, dass mein Bruder tot war", sagt er.
Info / Ein Ort natürlicher Harmonie
Der Sennefriedhof ist mit einer Fläche von 104 Hektar die viertgrößte Ruhestätte Deutschlands.
Nach Hamburg-Ohlsdorf, Berlin-Stahnsdorf und München gehört der Sennefriedhof zu den weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannten Parkfriedhöfen.
Der Weitsicht von Politikern und Planern zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist es zu verdanken, dass er trotz kontinuierlicher Entwicklung in 100 Jahren seine natürliche Harmonie behalten hat.
Das Jubiläum ist Anlass für die NW, diesem einzigartigen Friedhof eine Serie zu widmen.
Bildunterschrift: Zwei Gräber einer Familie: Wilfried Brinkmann (85) zeigt die letzten Ruhestätten seines Bruders Werner und seines Vaters Paul auf dem Ehrenfeld der Bombenopfer. Werner Brinkmanns genauer Todestag ist nicht bekannt.
Bildunterschrift: Wurde nur 19 Jahre alt: Der Soldat Werner Brinkmann.
14./15.07.2012
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