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Zeitung für Gütersloh, Rheda-Wiedenbrück, Rietberg und Harsewinkel / Westfalen-Blatt , 07.03.2012 :

LWL legt Hermann Simon ab / Kein Gebäude und kein Institut soll mehr wie der Gütersloher Klinikgründer heißen

Von Stephan Rechlin

Gütersloh (WB). Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) wird seinen Gremien vorschlagen, Gebäude und Institute nicht mehr länger nach Hermann Simon zu benennen. Der Hermann-Simon-Preis wird auch nicht mehr verliehen.

Die Stadt Gütersloh hat noch eine Straße, die nach Simon benannt ist, dem ersten Leiter der 1919 gegründeten Provinzial- und Pflegeanstalt. Zwei Gütersloher hatten beantragt, den Namen zu ändern, weil sie in Simon einen geistigen Brandstifter und Vorbereiter des Massenmords an psychisch kranken Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus sehen. 39 von 43 Anwohner aber wollten keine Änderung ihres Straßennamens - der Kulturausschuss folgte ihnen und lehnte die Namensänderung ab. Das aber war vor dem Forum, das der Ausschuss extra beantragt hatte, um sich erst zu informieren und dann zu entscheiden.

Was nun? Die überraschende Abkehr des LWL von dem Gründer zweier Kliniken (Warburg und Gütersloh) beruht auf dem Meinungswechsel von Prof. Dr. Bernd Walter, dem Leiter des LWL-Instituts für Regionalgeschichte in Münster. Der teilte seinen Zuhörern im Seminarraum eins der Stadthalle am Montagabend mit, dass ihn vor allem Simons Einsatz für eine Zwangssterilisation von seiner Ansicht nach minderwertigen Patienten umgestimmt habe. Hatte Walter in einer 1998 veröffentlichten Stellungnahme noch Simons "zweifellos große Verdienste um die westfälische und deutsche Psychiatrie" höher gewichtet, so sieht er das Werk Simons nun durch dessen biologistisch-sozialdarwinistische Ideenwelt und seinen aktiven Einsatz für eugenisch-rassenhygienische Zwangsmaßnahmen diskreditiert. Walter: "Hermann Simon kommt nicht mehr als Namensgeber für eine Straße in Frage."

Astrid van Hülsen, ehemalige Mitarbeiterin der Klinik und viele Jahre Vorsitzende des Fördervereins Psychiatriemuseum, warf Prof. Walter vor, seine Fahne nach dem Wind zu hängen: "Gegenüber Ihrer ersten Stellungnahme gibt es keine neuen Erkenntnisse, keine neue Quellen. Sie haben einfach nur Ihre Ansicht gewechselt."

Zum großen Kontrahenten des Geschichts-Professors aber wurde der Psychiatrie-Professor Klaus Dörner, der mit seiner Wortmeldung zum Co-Referenten wurde und die Debatte fortan dominierte. Dörner begann mit einem "Bekenntnis": als ärztlicher Leiter der Westfälischen Klinik in Gütersloh für Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie (1980 - 1996) sei er auf die privaten Aufzeichnungen Hermann Simons gestoßen, habe sie dem heutigen LWL-Archiv übergeben und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: "Das war nachlässig. Ich hätte ahnen müssen, welche Wogen es schlägt, wenn diese Aufzeichnungen bekannt werden."

Dörner forderte Walter auf, Psychiater aus der aktiven Zeit Simons zu nennen, die sich nicht für eine Zwangssterilisation eingesetzt hätten: "Sie wurde sogar von Leuten wie Friedrich von Bodelschwingh und Viktor von Weizsäcker gefordert." Nur fundamentale Katholiken hätten diese Methode abgelehnt. Simons biologistische und sozialdarwinistische Weltanschauung habe der konservativ-nationalen Grundhaltung jener Jahre entsprochen: "Mit biologisch meinte Simon den ganzen Menschen. Und minderwertig waren für ihn Menschen, die sich nicht mit der Härte ihres Schicksals auseinandersetzten."

Eine Tötung der Patienten, wie sie dann von den Nationalsozialisten praktiziert worden sei, sei für ihn niemals in Betracht gekommen. In den privaten Unterlagen, die Dörner vorgefunden habe, sei auch ein Brief gewesen, in dem sich Simon angesichts des Genozids an psychisch kranken Menschen nach dem Krieg von seinen Äußerungen distanziert habe: "Hätte er geahnt, auf was es hinausläuft, hätte er es niemals so formuliert", referierte Dörner.

Daniel Heihoff und Hannu Peters, die beiden Gütersloher, die den Antrag auf Änderung des Straßennamens gestellt hatten, blieben bei ihrer Meinung. Heihoff: "Ich arbeite beruflich mit psychisch kranken Menschen, habe täglich mit ihnen zu tun. Als ich las, wie Simon mit Geisteskranken, Idioten, Schwachsinnigen, Psychopathen, Nervösen, Schwächlingen, Verbrechern, Säufern und Trotteln umspringen wollte, musste ich einfach diesen Antrag stellen." Prof. Dr. Bernd Walter stellte fest: "Hermann Simon war nicht irgendein Psychiater. Er war der deutsche Reformpsychiater. Was er schrieb, hatte Gewicht." In seinen Ausführungen berichtete Prof. Dörner vom vergeblichen Versuch, in den achtziger Jahren eine Tagung zur "Psychiatrie im Dritten Reich" durchzuführen. Beim Landschaftsverband sei er damit auf Granit gestoßen: keine Genehmigung. Statt dessen habe der Verband beschlossen, diesen Teil seiner Geschichte lieber selbst zu erforschen.

Bildunterschrift: Gütersloh hat noch eine Hermann-Simon-Straße. Der Kulturausschuss hat jüngst beschlossen, dass es auch dabei bleiben soll. Das war jedoch bevor Fachhistoriker Prof. Dr. Bernd Walter feststellte, dass der Name nicht für ein Straßenschild geeignet ist.

Bildunterschrift: Ehemaliger ärztlicher Leiter Prof. Dr. Klaus Dörner.

Bildunterschrift: Fachhistoriker Prof. Dr. Bernd.

Bildunterschrift: Reinhard Loer, Geschäftsführer der LWL-Klinik Gütersloh (links), berät sich mit seinem ärztlichen Leiter Dr. Klaus-Thomas Kronmüller.


guetersloh@westfalen-blatt.de

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