Neue Westfälische 15 - Paderborn (Kreis) ,
03.02.2012 :
Die Sätze treffen ins Herz / Bewegende Hommage an Mascha Kaléko von Paula Quast und Henry Altmann
Kreis Paderborn (NW). Auf der Bühne standen lediglich ein kleiner Tisch mit einer Kerze, ein zerbrechlich wirkender Stuhl und ein altehrwürdig anmutender Kontrabass, beinah lässig angelehnt an ein Klavier. Ein lyrisch-musikalisches Portrait von Mascha Kaléko stand auf dem Programm.
Über 150 Zuschauer warteten im Burgsaal der Wewelsburg. Dann kamen sie: Paula Quast und Henry Altmann. Beide mit einer Präsenz, die Raum und Zeit verschwinden ließ. Quast erzählte zu Beginn von der kleinen Mascha, die im "Interview mit sich selbst" offenbart, kein "einwandfreies Mutterglück" gewesen zu sein und in einer "klatschbeflißnen Stadt" sehr früh lernte, "unauffällig zu sterben".
Fast schien es so, als ahnte das kleine jüdische Mädchen bereits in frühen Jahren all jene Verluste, die das Leben für sie bereit halten sollte. Altmann unterstrich die rezitierten Gedichte, ließ ihre heitere Melancholie hörbar werden. Beiden Künstlern gelang es in nur wenigen Minuten, die Zuschauer für eine Dichterin zu faszinieren, die mit ihrer glasklaren und schnörkellosen Sprache die großen und kleinen Episoden des Lebens einzufangen verstand.
Weder Kitsch noch Kommerz, weder Pathos noch Plattitüden sind in ihren Zeilen zu finden. Der Schauspielerin Paula Quast und dem Musiker Henry Altmann gelang die Hommage an eine Dichterin, die eine der ganz Großen hätte werden können, wenn nicht die Nazis ihre Karriere beendet hätten.
Mascha Kaléko wurde 1907 als Tochter einer österreichischen Mutter und eines russischen Vaters in Galizien geboren. Die jüdische Dichterin wird Anfang der 30er Jahre im Berlin der Weimarer Republik entdeckt und mit Morgenstern, Kästner oder auch Ringelnatz in einem Atemzug genannt. Doch ihr verbleibt keine Zeit in diesem Deutschland. 1938 muss sie schweren Herzens nach New York emigrieren. Der Verlust des Ruhmes war ihr nie wichtig. Aber den Verlust ihrer Wurzeln und ihres Publikums, das ihre Sprache spricht, hat sie nie überwunden.
Zwar reist sie 1956 nach Deutschland. Wird wieder zu Lesungen und Interviews eingeladen. Doch als die Berliner Akademie der Künste Kaléko 1959 den Fontanepreis übergeben will, lehnt sie ab, weil eines der Jurymitglieder Mitglied der SS war. Dieser Bruch war endgültig. "Beinah ist oft schlimmer als nein", schreibt sie bereits Jahre zuvor im "Enfant terrible".
In diesen Tagen wird eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts neu entdeckt. Vor allem durch Paula Quast, die ihr Stimme und Gesicht verleiht. Die Sätze treffen mitten ins Herz. Quast spielt so intensiv, dass beide Figuren verschmelzen. Man spürt ihre Einsamkeit, Enttäuschung, Sehnsucht und ihren Hunger nach Leben, der nie wirklich gestillt werden konnte.
Man hätte sie gerne gekannt, diese Mascha Kaléko. Einige Zuhörer sind sichtlich berührt, haben Tränen in den Augen. Und weil man Kaléko nicht mehr umarmen kann, geschieht das immer wieder mit Paula Quast. Sie nimmt sich die Zeit, noch einige Gedichtbände zu signieren. "Zur Heimat erkor ich mir die Liebe", schreibt sie. Wohl eine der schönsten Zeilen von Kaléko. Zu diesem lyrisch-musikalischen Portrait eingeladen hatte das Kreismuseum Wewelsburg. Paula Quast und Henry Altmann schafften an diesem Abend an dem authentischen Ort der Wewelsburg auch Bewusstsein dafür, wie viel Schönheit und Talent diesem Land durch den Terror der SS verloren gegangen sind.
Bildunterschrift: In angeregter Unterhaltung: Paula Quast, Kreisdirektor Heinz Köhler und Henry Altmann diskutieren nach dem Vortrag in der Wewelsburg.
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