Westfälisches Volksblatt / Westfalen-Blatt ,
01.02.2012 :
Abschiebehaft: Gerichte müssen genauer prüfen / BGH bezeichnet frühere Praxis als unzulässig
Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). Ausländer, die abgeschoben werden sollen, dürfen nicht länger als nötig inhaftiert werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden und damit einen Haftbeschluss des Amtsgerichts Paderborn für rechtswidrig erklärt.
Hassan U. war am 19. März 2010 auf Antrag des Ausländeramtes Dortmund in die Abschiebehaftanstalt Büren (Kreis Paderborn) gebracht worden. Weil erforderliche Heimreisedokumente aus Marokko fehlten, beantragte die Behörde nach drei Monaten eine Haftverlängerung um weitere drei Monate. Das Gericht gab dem Antrag statt, ohne zu prüfen, ob die Papiere nicht schneller beschafft werden können - nach höchstrichterlicher Meinung ein Fehler. Der Haftverlängerungsantrag sei unzureichend begründet gewesen, die Haft hätte deshalb aufgehoben werden müssen, befand der BGH. Das Ausländeramt hatte im Prozess noch argumentiert, Hassan U. komme seiner Mitwirkungspflicht nicht nach und weigere sich, mit dem marokkanischen Generalkonsulat zur Beschaffung der Dokumente Kontakt aufzunehmen. Dem hält der BGH entgegen, dass "Abschiebehaft nicht als Beugehaft angeordnet werden darf".
Der Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V." geht davon aus, dass durch das Amtsgericht Paderborn etliche Haftbeschlüsse "unrechtmäßig verfasst worden sind". "Wir kennen mehrere hundert Fälle, die nach dieser Rechtsprechung des BGH rechtswidrig waren", kritisiert Vereinssprecher Frank Gockel.
In den 90er Jahren waren allein in Paderborn 15 bis 20 Haftverlängerungsverfahren pro Woche keine Seltenheit. Ein Richter war damals ausschließlich für Abschiebehaftsachen zuständig. "Inzwischen ist die Zahl deutlich zurückgegangen", sagt Amtsgerichtsdirektor Günter Köhne. 2011 hatte das Amtsgericht Paderborn 167 Abschiebehaftfälle zu bearbeiten, 2005 waren es noch 435 gewesen.
"Wir achten inzwischen sehr genau darf, was die Behörde vorträgt", betont Amtsrichter Stefan Freitag. "Wenn ersichtlich wird, dass die Abschiebung früher möglich ist, wird die Haft ganz sicher nicht pauschal um drei Monate verlängert." Was der Bürener JVA-Leiter Volker Strohmeyer bestätigt: "Heute wird in der Regel zwei bis vier Wochen verlängert, früher war das anders". Die Ausländerbehörden seien zur Eile angehalten.
Abschiebehäftlinge dürfen in Deutschland bis zu 18 Monate inhaftiert werden. Inzwischen liegt die durchschnittliche Haftdauer in Büren laut Strohmeyer bei etwa 30 Tagen. Zur Zeit warten dort 140 Männer und zehn Frauen auf ihre Abschiebung. Mitte der `90er Jahre waren es 500.
Hassan U. (34) ist nach sechsmonatiger Abschiebehaft am 14. September 2010 wieder in die Freiheit entlassen worden, weil sich die marokkanischen Behörden geweigert haben, die Dokumente auszustellen. Er will Deutschland jetzt auf Haftentschädigung verklagen.
Bildunterschrift: Amtsgerichtsdirektor Günter Köhne.
Bildunterschrift: Häftlingsbetreuer Frank Gockel.
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