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Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische , 08.09.2004 :

Als Jopie ein Teil der Legende geworden / Jacqueline van Maarsen las im Paul-Gerhardt-Haus aus ihrem Buch "Ich heiße Anne, sagte sie, Anne Frank"

Von Elke Rüger

Rahden/Espelkamp-Altgmeinde. Aufmerksame Stille herrschte am Montagabend im Paul-Gerhardt-Haus. Zahlreiche Besucher waren gekommen, um der niederländischen Autorin Jacqueline van Maarsen zuzuhören, die ihr Buch "Ich heiße Anne, sagte sie, Anne Frank" vorstellte.

"Sie gehören noch zu den wenigen Menschen, die authentisch von Anne Frank berichten können", begrüßte sie Pastor Werner Milstein. Er zitierte die Schriftstellerin Mirjam Pressler, die vor einigen Jahren ebenfalls im Paul-Gerhardt-Haus zu Gast war: "Es kann nicht genug Biografien aus dieser Zeit geben."

Jacqueline van Maarsen, geboren 1929, wuchs als Tochter eines holländischen Juden und einer französischen Katholikin in Amsterdam auf. Nach dem 2. Weltkrieg wurde sie Buchbinderin, ihre Werke sind in zahlreichen Museen zu sehen. Sie lebt mit ihrem Mann Ruud Sanders in Amsterdam.

Schon bald waren sie unzertrennliche Freundinnen

Anne Frank begegnete sie 1941 auf dem Jüdischen Lyzeum. Schon bald wurden sie unzertrennliche Freundinnen: machten zusammen Hausaufgaben, lasen die gleichen Bücher, übernachteten beieinander und gründeten einen Mädchenclub. Als Anne eines Tages nicht mehr da war, war Jacqueline erleichtert, da sie glaubte, die Franks seien in die Schweiz ausgereist. Dass sich die Familie Frank tatsächlich monatelang in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Verfolgungen der Nazis verbarg, schließlich verraten wurde und Anne im KZ Bergen-Belsen starb, ist seit der Veröffentlichung von Annes Tagebuch bekannt.

Erst nach dem Krieg erfährt Jacqueline van Maarsen durch Annes Vater Otto Frank vom Schicksal ihrer Freundin. Und zum ersten Mal sah sie Annes Tagebuch, in dem sie unter dem Namen "Jopie" vorkommt.

Jacqueline van Maarsen erzählt in ihrem Buch darüber hinaus die Geschichte ihrer Eltern, von ihren Kriegserlebnissen und wie sie selbst der drohenden Deportation entkam. Jacqueline van Maarsen las mit leiser Stimme, mit sympathisch niederländischem Akzent.

"Wir verbrachten eine herrliche Zeit zusammen"

Doch ihre Geschichte bannte die Zuhörer. Sie schilderte Anne Frank als lebenslustiges, eher extrovertiertes Mädchen aus Fleisch und Blut. "Wir verbrachten eine herrliche Zeit zusammen", erinnert sie sich. "Ich habe nie wieder einen Menschen getroffen, der das Leben so genoss wie Anne." 60 Jahre lang hat sie diese Freundschaft verschwiegen. "Nach dem Krieg wollte ich die dunklen Jahre einfach vergessen", erklärte sie den Zuhörern.

In ihrem Buch schreibt sie: "Anne wurde eine Legende, und damit wurde Annes Freundin Jopie, die im Tagebuch vorkommt, ein Teil der Legende. Jahrelang habe ich mich hinter dem Namen Jopie verstecken können, ( ... ) denn ich wollte durch Annes Tagebuch nicht ständig an den Krieg erinnert werden. ( ... ) Dazu kam, dass ich mich nicht auf Kosten einer Freundin, die im Konzentrationslager umgebracht worden war, interessant machen wollte."

Erst als sie unangenehm überrascht feststellen musste, dass sich Leute mit Annes Bekanntschaft brüsteten, obwohl das nicht der Wahrheit entsprach, entschloss sie sich, an die Öffentlichkeit zu treten. "Mittlerweile war ich mir jedoch der bedeutsamen Botschaft bewusst, die Annes Tagebuch übermittelt", schreibt sie. "Durch ihre Aufzeichnungen wird deutlich, wohin es führen kann, wenn Diskriminierung und Vorurteile bis ins äußerste Extrem getrieben werden."

Am 12. Juni 2004 wäre Anne Frank 75 Jahre alt geworden.

Diese Veranstaltung wurde gemeinsam von der Kirchengemeinde Rahden mit der Evangelischen Erwachsenenbildung im Kirchenkreisverband Herford, Lübbecke, Minden und Vlotho mit Unterstützung der Volksbank Lübbecker Land durchgeführt.

(Jacqueline van Maarsen: "Ich heiße Anne, sagte sie, Anne Frank", S. Fischer Verlag, ISBN 3-10-048822-9)


lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

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