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Zeitung für Werther / Westfalen-Blatt , 28.10.2011 :

Ein Mahnmal zum Blättern / Zweites Buch zur Lokalgeschichte während der NS-Zeit dokumentiert Schändungen des jüdischen Friedhofs

Von Marco Purkhart

Werther (WB). Gleich mehrfach haben unbekannte Täter in der Vergangenheit den jüdischen Friedhof in Werther verwüstet. Wie aus einem Ort der Stille immer wieder ein Schauplatz der Schande wurde, lässt sich nun in der Stadtbibliothek nachlesen.

Der Arbeitskreis "Spuren jüdischen Lebens in Werther" hat den zweiten Band einer Sammlung zur Lokalgeschichte während des Nationalsozialismus an die Bibliothek übergeben. Das mit kurzen Texten, historischen Dokumenten und Fotos gespickte Buch im DIN A3-Format stellt die Geschichte des jüdischen Friedhofs dar.

Was der Leser auf den knapp 20 Seiten geboten bekommt, ist - wie so häufig bei Berichten über das Schicksal der Juden in Deutschland - bedrückend. "Wenn man sich manche Geschehnisse vor Augen führt, wird einem wirklich mulmig", sagt Julia Sußiek (17), die mit David Ellerbrake (16) maßgeblich an dem Buch mitgewirkt hat.

Was die beiden Schüler beim Zusammenstellen der Daten und Fakten besonders erschüttert hat: Nicht nur während des Holocausts unter der Herrschaft der Nazis wurde die Ehre der jüdischen Toten in Werther mit Füßen getreten. Auch in der Zeit danach wurde der Friedhof immer wieder geschändet - zuletzt 2007.

Die Geschichte des Juden-Friedhofs beginnt im Jahr 1889. Damals kaufen die Brüder Aron Bendix und Jordan Bendix Weinberg das Grundstück im Bereich Egge. 1895 werden die ersten Gräber angelegt. Bis 1942 wird der Friedhof belegt. Heute gibt es 23 Gräber in 21 verschiedenen Grabstätten, vornehmlich der Familien Weinberg und Sachs.

Zu der ersten dokumentierten Schändung des Friedhofs kommt es im September 1940. Die Pforte wird aufgebrochen, Grabstellen und Steine werden mit Dreck beworfen und ein Grabstein umgerissen. Geradezu makaber wirkt aus heutiger Sicht, welchen behördlichen Weg die Bezirksstelle Bielefeld der Reichsvereinigung der Juden damals zur Aufklärung der Vorfälle gehen muss: Sie schreibt einen Brief an die Geheime Staatspolizei (Gestapo) - jene Nazi-Behörde, die später maßgeblich an der Verfolgung, Deportation und Ermordung der europäischen Juden beteiligt ist.

Schon vier Tage später kommt die ernüchternde Antwort der Polizei: "Nach den angestellten Ermittlungen an Ort und Stelle sind die Grabstellen nicht beschädigt sowie die Pforte zum jüdischen Friedhof nicht aufgebrochen worden." Sämtliche Grabstellen seien vielmehr unbeschädigt mit Ausnahme eines Steines, der leicht an der oberen Kante lädiert sei. Bei der Pforte seien lediglich Nieten durch Rostbildung abgebrochen. Angeblich haben Kinder auf dem Friedhof gespielt, die jedoch bereits verwarnt wurden, heißt es. Der Fall wird zu den Akten gelegt, womit bis heute offiziell lediglich ein Verdacht auf Schändung vorliegt. Ähnlich wird mit einem zeitgleich auftretenden Fall in Borgholzhausen verfahren.

Zu der bislang massivsten Schändung des Friedhofs kommt es 43 Jahre später. Im September 1983 zerstören Unbekannte die Hälfte der Gräber. Dabei wird auch der 1951 errichtete Gedenkstein für die aus Werther und Halle stammenden jüdischen Opfer des NS-Terrors in zwei Hälften zerbrochen. Bürger aus Werther sind fassungslos ob dieser Schande.

Die Tat sorgt auch deshalb für großes Entsetzen, weil erst wenige Tage zuvor Schüler der Böckstiegel-Schule die Grabstätten gepflegt und die Steine mit den Inschriften gesäubert haben. In diesem Fall werden die Täter ebenso nicht gefasst wie bei weiteren Vorfällen in den 80er-Jahren, als Grabsteine mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert werden.

Die jüngste Schändung liegt gerade einmal vier Jahre zurück. Am 9. Dezember 2007 werden neun Grabsteine umgerissen und zahlreiche Gräber verunstaltet. Anwohner bemerken damals drei Jugendliche auf dem Friedhofsgelände und alarmieren sofort die Polizei. Doch auch dieses Mal entkommen die Täter. Wegen der mutmaßlich politischen Motivation wird der Staatsschutz eingeschaltet. Doch die Ermittlungen verlaufen erfolglos und werden schließlich ein Jahr später eingestellt.

Ute Dausendschön-Gay vom Arbeitskreis sagt zu den Vorfällen: "Solche Respektlosigkeiten gegenüber den Toten sind einfach nur traurig." Umso wichtiger sei es, dass junge Leute wie Julia Sußiek und David Ellerbrake ein Zeichen setzen, indem sie sich für die Aufklärung engagieren. Das von ihnen erstellte Buch trage dazu bei, dass die Vorfälle nicht vergessen werden und sei ein Mahnmal für alle vernünftigen Menschen.

Gedenkfeier am 6. November

Die Sammlung zur Lokalgeschichte während des Nationalsozialismus kann an einem Lesepult in der Stadtbibliothek eingesehen werden. Bereits veröffentlicht wurde ein Buch über die frühere jüdische Synagoge in Werther. Insgesamt sollen am Ende elf Bände zusammenkommen, die nach und nach hinzugefügt werden.

Im Zusammenhang mit dem jetzt veröffentlichten zweiten Buch weisen die Verantwortlichen bereits auf die jährliche Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof hin. Diese beginnt am Sonntag, 6. November, um 11.15 Uhr. Männer werden gebeten, eine Kopfbedeckung zu tragen.

Die ökumenische Andacht wird mit gestaltet vom Kirchenchor Werther und dem Posaunenchor Langenheide.

Bildunterschrift: Bei der Schändung des Friedhofs im Dezember 2007 warfen die Täter mehrere Grabsteine um und verunstalteten die Gräber.

Bildunterschrift: Bibliotheksleiterin Susanne Damisch (links) nimmt das Buch über die Geschichte des jüdischen Friedhofs entgegen. Die beiden Schüler Juli Sußiek und David Ellerbrake haben an dem öffentlich zugänglichen Werk maßgeblich mitgewirkt.

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Zeitung für Gütersloh, Rheda-Wiedenbrück, Rietberg und Harsewinkel / Westfalen-Blatt, 12./13.01.2008:

Staatsschutz sucht Täter / Grabstätten auf dem jüdischen Friedhof geschändet

Werther (dh). Im Fall der Grabschändungen auf dem jüdischen Friedhof sucht die Polizei nach drei Tätern. Sie sollen im Dezember auf dem denkmalgeschützten Gelände an der Ecke Bergstraße/Egge mehrere Grabsteine umgestoßen haben. Inzwischen ist der Staatsschutz in Bielefeld eingeschaltet.

Grund für den Einsatz des Staatsschutzes ist die Tatsache, dass es sich beim Tatort um einen jüdischen Friedhof handelt. "Deswegen können wir eine antisemitische Motivation nicht ausschließen", sagte Ralf Aumann, stellvertretender Leiter des Kommissariats für politisch motivierte Taten, auf Anfrage des Westfalen-Blattes. Dennoch wiesen auf dem Friedhof in Werther keine Spuren wie Schmierereien oder Ähnliches auf einen antisemitischen Hintergrund hin.

In den vergangenen Wochen hat der Staatsschutz bereits im Bereich der rechten Szene ermittelt. "Wir haben Kontakt zu uns bekannten Personen aufgenommen und abgeklärt, ob die Täter in diesem Umfeld zu suchen sind", erklärt Aumann. Da dieses nicht der Fall zu sein scheint, wendet sich der Staatsschutz nun an die Öffentlichkeit.

Unklar ist nach wie vor der Tatzeitpunkt. Am 9. Dezember 2007 gegen 19.30 Uhr war die Polizei von Nachbarn gerufen worden, die im Bereich des jüdischen Friedhofs verdächtige Personen gesehen hatten. Da die Beamten laut erster Auskunft der Pressestelle der Kreispolizeibehörde keine Schäden hätten feststellen können, war man zunächst davon ausgegangen, dass die Grabsteine erst später umgestoßen worden waren. So war in diesem Zusammenhang die Rede vom zweiten Weihnachtstag. Das Wertheraner Rathaus hatte von der Zerstörung auf dem Jüdischen Friedhof aber erst am 29. Dezember durch einen Hinweis des Westfalen-Blattes erfahren.

Junger Mann mit heller Steppjacke

Inzwischen geht der Staatsschutz aber davon aus, dass der Friedhof doch am 9. Dezember geschändet worden ist. Einer der drei Tatverdächtigen wird wie folgt beschrieben: Die männliche Person soll etwa 16 bis 18 Jahre alt und etwa 1,80 Meter groß sein. Er hat eine schlanke Figur, rotblonde, mittellange Haare bis zu den Ohren (mit Mittelscheitel) und trug eine helle, moderne Steppjacke. Diese Person soll gegen 19.30 Uhr am Friedhof gestanden haben und hat offenbar auf die anderen beiden Täter gewartet, die mit Kapuzenjacken bekleidet waren. Alle drei verließen das Gelände über die Bergstraße in Richtung Werther.

Hinweise nimmt die Polizei in Bielefeld unter 0521/545-0 oder in Halle unter 05201/81 56-0 entgegen.

Bildunterschrift: Sieben der 20 Grabsteine haben Unbekannte umgestoßen. Die Stadtverwaltung koordiniert derzeit die Reparatur.


bielefeld@westfalen-blatt.de

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