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Frankfurter Rundschau , 20.02.2004 :

Hauptsache "flugtauglich" / Mehrere Ärztekammern ermitteln gegen Gutachter, die die Reisefähigkeit von Abschiebehäftlingen untersuchen

Von Matthias Thieme und Ursula Rüssmann

Das Westfälische Zentrum für forensische Psychiatrie in Lippstadt-Eickelborn legt großen Wert auf "Kompetenz, Engagement und Toleranz" seiner Mitarbeiter. "Bei der Personalauswahl", heißt es in seinem Leitbild, stelle man "erhebliche Anforderungen an das Einfühlungsvermögen". Doch wenn es um die Begutachtung kranker Ausländer geht, ist dies offenbar nicht mehr so sehr gefragt. Zumindest bei Rainer Gliemann, Leiter des Gutachteninstituts am Zentrum.

Am 2. Februar betritt Gliemann die Flüchtlingsunterkunft am Frankfurter Flughafen. Sein Auftrag: Untersuchung der psychisch kranken Asylbewerberin Suneya Ayari auf "Flugtauglichkeit". Sein Auftraggeber: der Bundesgrenzschutz (BGS). "Auffällig" an Ayari sei "die wirre Frisur", schreibt Rainer Gliemann nach eineinhalbstündiger Untersuchung in sein Gutachten. "Ihr Verhalten ist nicht situationsadäquat, da sie unaufhörlich ihr Schicksal beklagt."

"Zweckreaktion ist wahrscheinlich"

Dass Ayari ihr Schicksal beklagt, hat einen Grund: Der BGS hatte sie am selben Tag aus dem Markus-Krankenhaus in Frankfurt abgeführt. Augenzeugen berichten, dass sie dabei einen Nervenzusammenbruch erlitt. Bei einer Abschiebung der Patientin sei mit einer "einer erheblichen Zunahme der Suizidgefahr zu rechnen", meinte das Krankenhaus. Nicht so Rainer Gliemann: "Die intelligente Probandin weiß natürlich, dass suizidale Handlungen unter Umständen den Rücktransport erschweren oder verunmöglichen." Deshalb sei eine "Zweckreaktion" wahrscheinlich. Zwar sei die Asylbewerberin "fast nicht in der Lage, zum Untersuchungsraum zu gehen" und höre "imperative Stimmen", doch in ärztlicher Begleitung sei sie "reisefähig". Einen Tag später schiebt der BGS Ayari ab. Die Ärztekammer Hessen will den Fall untersuchen. Man werde berufsrechtlich ermitteln, sagt Präsident Michael Popovic. Gliemann lehnt auf FR-Anfrage eine Stellungnahme ab.

Gutachten dieser Art sind kein Einzelfall. Der BGS könne mittlerweile auf eine "reisende Truppe" von Ärzten zurückgreifen, die als freie Gutachter fast immer die "Flugtauglichkeit" des Abzuschiebenden bescheinigen, berichten an Abschiebeverfahren beteiligte Ärzte und Anwälte. Diese "Fachärzte für Abschiebung" bräuchten für ihre Untersuchungen oft nur 20 Minuten. Die Gutachten würden hastig im Auto diktiert. Verfolgt man die Spur manches "freien" Gutachters, landet man nicht nur im Fall Gliemann beim Westfälischen Zentrum für Forensische Psychiatrie (WZFP). Hier ist auch der von Menschenrechtlern kritisierte Turan Devrim angestellt.

Der Psychiater Devrim behandelt als Vertragsarzt in der Abschiebehaftanstalt Büren kranke Häftlinge. Zugleich begutachtet er für die Ausländerbehörde Köln Abzuschiebende. Dass darunter auch seine Bürener Patienten sind, die zu ihm in anderer Rolle Vertrauen gefasst haben, ist für ihn "nur theoretisch ein Problem. In der Praxis wird man dem gerecht."

Das sehen Mediziner und Flüchtlingsbetreuer anders. Zur Begutachtung traumatisierter Flüchtlinge seien die Ärzte des WZFP "völlig unqualifiziert", sagt der Kölner Anwalt Gunter Christ. Devrims Gutachten entsprächen häufig "weder den ethischen noch den fachlichen Anforderungen", sagt Hans Wolfgang Gierlichs, Leiter der Ärztegruppe Standards für die Begutachtung psychisch traumatisierter Menschen (SBPM). Auch der Flüchtlingsrat Köln hat viele Gutachten Devrims studiert. Geschäftsführer Claus-Ulrich Prölß: "Posttraumatische Belastungsstörungen bestätigt er oft, aber dann schreibt er die Leute doch ,reisefähig'." Ob die Kranken ihre Therapie im Heimatland fortsetzen können, "dem geht Devrim nur mangelhaft nach". Inzwischen ermittelt die Ärztekammer Westfalen-Lippe im Fall Devrim. Nicht nur in Köln sucht sich die Ausländerbehörde inzwischen lieber selbst die Abschiebe-Gutachter aus, statt das dem zuständigen Gesundheitsamt zu überlassen. Hamburg verfährt längst so, und Bremen zieht nach.

Im Fall eines Togoers schaltete der Innensenat an der Weser jetzt erstmals selbst einen Psychiater ein, der laut Flüchtlingsanwalt Günther Werner "keine Erfahrung mit Traumapatienten hat". Zuvor hatte sich Innensenator Thomas Röwekamp öffentlich über das Gesundheitsamt mokiert. Das beschränkt sich nämlich nicht auf Transporttauglichkeits-Prüfungen, sondern fragt auch nach der Lage im Herkunftsland. Bremens Ärztekammerpräsidentin Ursula Auerswald nennt den neuen Ansatz "miserabel". Sie hält es für nötig, zu betonen: "Auch Ausländer sind Menschen, auch für sie gilt unser ärztliches Ethos."

Ärtzekammer gegen Innenminister

BGS, Köln, Bremen: Die Mosaiksteine zeigen, wie rührig die Behörden das Projekt vorantreiben, das die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern (IMK) seit längerem verfolgt. Unzufrieden über die Skrupel in der Ärzteschaft, strebt die IMK den zentralisierten Einsatz von "bedarfsgerecht qualifizierten Ärzten" an, die nach einem "bundeseinheitlichen Standard" arbeiten - will heißen: die bloß nach Transportfähigkeit der Kranken fragen und so Abschiebungen erleichtern. Zwar versucht die Bundesärztekammer die Innenminister davon abzubringen. Doch nach drei Treffen ist Ernst Girth, Menschenrechtsbeauftragter der Ärztekammer Hessen, "nicht mehr optimistisch", dass die IMK umzustimmen ist.


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