Vlothoer Zeitung / Westfalen-Blatt ,
08.10.2011 :
Auf den Spuren des Holocausts / "Stätte der Begegnung" bringt Vlothoer Schüler mit ehemaligem KZ-Häftling ins Gespräch
Von Miriam Finkhäuser
Vlotho (VZ). Es herrscht stille Anteilnahme, während zwei Schüler 40 weiße Rosen niederlegen. Das von den Nazis gesprengte Krematorium in Birkenau dient auch Vlothoern als Gedenkstätte für die Grausamkeiten des Dritten Reiches. Vier Tage lang versucht die Gruppe vor Ort, ihr Bild des Nationalsozialismus zu vervollständigen. Trotzdem fällt das Begreifen schwer.
Bilder von ausgemergelten Körpern und Geschichten von Mord beschäftigen die Jugendlichen, die an der Studienfahrt mit dem Thema "Begegnung mit Auschwitz - Die Erinnerung an das Grauen wach halten" teilnehmen. Der Schwerpunkt der Fahrt liegt in der Besichtigung der Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau.
In kleinen Gruppen wird abends in der Jugendbegegnungsstätte über Gefühle und Gedanken gesprochen. "Die zwei Tonnen abgeschnittener Haare und die Kindersachen haben mich sehr berührt", sagt Franziska Rücker. "Ich habe das Ausmaß gar nicht begriffen, bis ich die Größe des Lagers in Birkenau gesehen habe."
Die Schüler gehen den Weg der Inhaftierten, von den Waggons bis zum Krematorium. "Alles, was wir sonst nur aus Erzählungen kennen, wird hier real", merken sie. Gerade die Fotos, die Augen der abgebildeten Menschen bleiben im Gedächtnis hängen.
"Ich habe das Ausmaß nicht begriffen, bis ich die Größe des Lagers in Birkenau gesehen habe."
Franziska Rücker
Johannes Schröder, Leiter der Fahrt, die von der "Stätte der Begegnung" ausgerichtet wird, organisiert ein Treffen mit einem der letzten Zeitzeugen. Der ehemalige Häftling Wilhelm Brasse hat im KZ als Fotograf gearbeitet und schafft es, den leeren Baracken durch seine Erzählungen Leben einzuhauchen. "Ein Häftling hatte ein besonders schönes Tattoo auf dem Rücken. Ich habe seine gegerbte Haut gefunden, sie sollte als Buchumschlag verwendet werden", beschreibt er und beantwortet geduldig die Fragen der Vlothoer. Ob er heute noch Ängste habe, möchte einer von dem Zeitzeugen wissen. Das bejaht Brasse. Diese schrecklichen Erinnerungen wird man so schnell nicht mehr los.
Auch die Ausstellung namens "Bilder im Kopf" zeigt die Emotionen eines Überlebenden, der durch Zeichnen aufzuarbeiten versucht. "Ganz schön bedrückend", reflektieren die Besucher, als sie sich an die dunklen Gänge und schwarz-weiß Bilder erinnern. Zu sehen sind darauf Dämonen, Skelette, leere Augen, Nummern.
Um den Schülern die Möglichkeit zu bieten, verschiedene Themen zu vertiefen, gibt Schröder Zeit für individuelle Recherche: "Das Sonderkommando" und "Kinder im KZ" sind Themen, in die sich viele Schüler einarbeiten. Die Lehrerinnen Esther Jäger und Ulrike Deierling unterstützen die Schüler und bieten sich als Gesprächspartnerinnen an.
Trotzdem bleibt vor allem die Frage nach dem "Warum" unbeantwortet. Auf der Rückfahrt verbringen die Schüler einen Tag in Krakau im ehemaligen jüdischen Ghetto. Der Besuch einer Synagoge und die jüdische Musik zum Abendbrot eröffnen ihnen die Möglichkeit, jüdische Gebräuche zu entdecken.
Interessant fanden viele von ihnen auch den Besuch der "Schindler-Fabrik", einem Museum über Krakau zur Zeit der NS-Besatzung. Schülerin Marcelina Roos zieht ein Fazit: "Die Fahrt hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen und ich würde jedem raten, einmal selbst dorthin zu fahren."
Bildunterschrift: In Waggons wie diesem sind die Opfer des Dritten Reichs nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager deportiert worden. Die Vlothoer Gruppe zeigt sich tief betroffen, als sie das Lager in Birkenau besucht.
Bildunterschrift: Der Leiter der Reise, Johannes Schröder, im Gespräch mit dem ehemaligen KZ-Häftling Wilhelm Brasse.
08./09.10.2011
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